Politische Kunst ist in unseren Zeiten, in denen Land für Land von einem Rechtsruck erfasst wird, wichtiger denn je. Ihre Funktion, aus einer Position außerhalb der Gesellschaft genau dieser den Spiegel vorzuhalten, sie zu karikieren oder kritisieren, wird dann geradezu dringlich. Zuweilen kann sie dabei selbst in die Schusslinie des politischen Klimas geraten.

Genau das trifft auf Sükran Morals Kunst zu. Die Türkin kritisiert aus einer feministischen Sichtweise heraus die Gesellschaft ihrer Heimat, aber eigentlich der ganzen Welt. Denn sie kämpft mit ihrer Kunst gegen das Patriarchat und für die Freiheit aller.

Das Es Baluard in Palma zeigt nun in Morals erster Einzelausstellung in Spanien, „El mundo por dentro" (Die Welt von innen), vier ihrer Schlüsselwerke. Es sind die plakativsten und bekanntesten Beispiele der Art und Weise, wie sie patriarchale Strukturen aufzeigen will. Mittel ist dabei oft ihr Körper, der zum Politikum wird. Ziel ist dabei nicht weniger, als die Machtstrukturen zu unterwandern.

Bei der Performance „Bordello" beispielsweise postierte sie sich 1997 als Prostituierte gekleidet in ein Bordell, ein Schild mit der Aufschrift „For Sale" vor sich tragend. „Vor 20 Jahren hatten sich Künstler noch nie in ein Bordell gestellt", erzählt sie im Interview auf der Terrasse des Es Baluard. Ein Bruch mit den Konventionen des Kunstgeschäfts - hier stand die Künstlerin selbst „zum Verkauf" und nicht nur ihr Werk. Sie fordert den dominanten, männlichen Blick auf das Objekt der sexuellen Begierde heraus und entlarvt diesen so. Was bei Prostituierten Teil des Geschäfts ist, fühlt sich bei einer Künstlerin sehr ambivalent an.

Doch was im Istanbul des Jahres 1997 Aufsehen erregte, wäre heute kaum denkbar. Die Performance jetzt so in Istanbul erneut zu machen, sei „quasi unmöglich". „Es könnte alles Mögliche passieren!", sagt Moral. Die immer stärkere ­Einschränkung der Meinungsfreiheit in der Türkei ist auch im Ausland nicht unbemerkt geblieben. „Jetzt ist jede Person in Gefahr", sagt Moral. Inzwischen würden daher viele Künstler und Künstlerinnen aus der Türkei emigrieren.

Auch sie selbst, die bereits seit fast 30 Jahren zwischen Istanbul und Rom lebt, sah sich einmal gezwungen, die Türkei zu verlassen. Nach einer Performance im Jahr 2010 bei einer, wohlgemerkt geschlossenen, Veranstaltung in einer Galerie bekam sie Todesdrohungen. „Es hieß: ,Lasst uns Sükran Moral und ihre Arbeit rauswerfen!'", erinnert sie sich. Es sei geradezu ein Aufruf zur Lynchjustiz gewesen, der da durch wichtige regierungsnahe Zeitungen ging. Innerhalb von 24 Stunden verließ sie das Land und ging an ihren zweiten Wohnort, Rom. Ein Jahr lang kehrte sie nicht in die Türkei zurück.

Sie war durch ihre Arbeit in die Schusslinie geraten. Auf dieses Ereignis bezieht sich „Mirror", eine der Arbeiten, die im Es Baluard gezeigt wird. Es ist die neueste und hebt sich von den anderen drei ab. Denn Moral hat hier nicht ihren Körper oder Performance als künstlerische Ausdrucksweise gewählt, ­sondern Videoanimation. Eine Ratte schlängelt sich durch die Kanalisation, um am Ende auf ihr Spiegelbild zu spucken. Eine Allegorie auf die engstirnigen Geister, die gegen sie hetzen, erklärt Moral: „Dabei bespucken sie sich selbst." Eine Message an all die Hater, könnte man es neudeutsch nennen.

Und diese sind vorprogrammiert, wie bei allen Themen, die nur ansatzweise etwas mit Feminismus zu tun haben. Das Thema polarisiert. Gerade Morals Arbeiten beschäftigen sich sehr explizit damit. In ihrer Arbeit „Marriage with Three Men" beispielsweise inszenierte sie eine Hochzeit in einem kurdischen Dorf. Sie, eine Frau mittleren Alters, ehelicht gleich drei junge Männer. Das Gegenteil ist Realität: Oft werden Mädchen mit älteren Männern verheiratet (ein Thema, dass sie auch in „Love & Violence" aufgreift), mehrere Ehefrauen für Männer seien vielerorts akzeptiert (wenngleich es zumindest in der Türkei nicht legal ist).

Dies zeigt, wie drastisch die Geschlechterungleichheit in der Türkei (noch) ist. „Feministinnen in der Türkei arbeiten sehr hart gegen eine äußerst starke männliche Vorherrschaft an." Sie hofft, dass internationale feministische Bewegungen wie #metoo auch in der Türkei weiterhelfen. Dennoch zeigt allein das Entstehen dieser, dass das Problem ein globales ist: „Auf der ganzen Welt gibt es Ungleichheit. Frauen werden jeden Tag von der machistischen Mentalität erniedrigt", regt sie sich auf. Ihre Stimme wird laut und fordernd, als sie den Frauen dieser Welt zwei Fragen stellt: „Wie lasst ihr das zu? Wie akzeptiert ihr das?!"

Moral richtet sich mit ihren Werken also auch dezidiert an Frauen. Fügen sie sich der ungleichen Gesellschaftsstruktur, stabilisieren sie sie. Durch die Verdrehung der Geschlechterrollen, wie sie es beispielsweise in „Marriage with Three Men" tut, hofft sie, traditionelle Denkmuster aufbrechen zu können. Oder mindestens einen Denkprozess anzustoßen.

Dass auch innerhalb der Kunst Männer dominieren, zeigen viele Beispiele, sei es Literatur, Musik, die Filmindustrie (in der wohl die meisten Missbrauchsfälle in letzter Zeit Gegenstand medialen Interesse wurden) oder bildende Kunst: „Die Geschichte der Kunst ist die Geschichte des Penis", fasst Moral es schmunzelnd zusammen.

Humor ist eine ihrer Waffen, wie auch „Mirror" zeigt. Unabdingbar auf dem Weg zur Gleichberechtigung ist ihrer Meinung nach aber vor allem Bildung. Sie selbst ist das beste Beispiel: Aus einem Dorf an der türkischen Schwarzmeerküste stammend, gibt sie an, in der Pubertät Klassiker der Weltliteratur gelesen zu haben. Ein bemerkenswertes Detail. Möglicherweise erklärt es, wie ein Mädchen wie sie damals mit 18 Jahren eine so drastische Entscheidung traf: vor ihrer Familie „wegzulaufen", wie sie es formuliert, und allein nach Istanbul zu gehen, um Künstlerin zu werden.

Hoffnung inmitten des fortschreitend rückständigeren Klimas in der Türkei und dem Rest der Welt gibt ihr die nächste Generation: „Ich finde es unglaublich, dass meine Fans teilweise 20 Jahre alt sind. Sie verstehen meine Arbeit besser als meine Generation." Junge Frauen aus Ländern wie Russland oder Deutschland würden den Austausch mit ihr suchen. „Das freut mich sehr, weil es mir zeigt, dass meine Arbeit Einfluss haben kann."

Es Baluard, Plaça Porta de Sta. Catalina, 10, Palma. Di.-Sa., 10 bis 20 Uhr, So. 10 bis 15 Uhr, bis 9.9.