Nein, schöne Worte hat die konservative Flamenco-Kritik für die Arbeit von Francisco Contreras nicht übrig: Er sei ein „Luftikus, der die Kultur schändet, mit der ich groß geworden bin, einer, der sich auf dem Flamenco übergibt", schreibt etwa der geachtete Kritiker Manuel Martín Martín in „El Mundo". Als „Hochstapler" betitelt ihn Alberto García Reyes von „ABC" in einer mit Obszönitäten gespickten Rezension. „Allein in meiner Straße gibt es sechs oder sieben Leute, die besser singen als er."

Liest man, was so über ihn geschrieben wird, stellt man sich unter Niño de Elche, so der Künstlername Contreras, den musikalischen Antichrist vor. Schaut man dann Interviews mit ihm, ist da plötzlich ein auffallend freundlicher, etwas rundlicher Mann mit einem verschmitzten Lächeln, Halbglatze und Bart. Das ist also der Mann, „der den Flamenco bombardiert", wie das Magazin von „El País" kürzlich ein etwas unaufgeregteres Porträt über Niño de Elche betitelte.

Auch am Telefon klingt der 33-Jährige, der am Samstag (17.11.) im Teatre Principal in Palma auftritt, sympathisch. „Ach", sagt er auf die Frage nach seinen Kritikern, „ich kenne diese Leute schon länger. Ihre Kritik richtet sich ja nicht gegen meine Arbeit - mit der setzen sie sich ohnehin nicht auseinander. Sondern es geht um meine Person. Ich habe mich als einer der wenigen Künstler gegen sie gestellt. Ich höre nicht auf ihre Meinung."

Schon als Kind Flamenco-begeistert

Es ist nicht so, dass Contreras ohne Vorbildung auf den Zug einer Flamenco-Mode aufgesprungen ist. „In meiner Familie wurde viel Flamenco gehört", erzählt er. Mit acht Jahren begann er, Gitarre zu spielen und zu singen. Mit zehn Jahren gewann er seinen erstenGesangswettbewerb für Kinder. In dieser Zeit entstand auch sein Künstlername. „Ich war ein Junge aus Elche. Es ist typisch für den Flamenco, dass man so einen Namen verpasst bekommt. Als ich größer wurde, hat mich das amüsiert, und ich habe den Namen behalten."

Warum also die Wut im Flamenco-Establishment? „Vor ungefähr zehn Jahren habe ich gemerkt, dass ich Sachen ausdrücken wollte, die nicht ins Korsett des traditionellen Flamenco passen", sagt Niño de Elche. In Madrid sah er eine Ausstellung mit Bildern von Francis Bacon. Er entwickelte daraus eine Show, die Flamenco mit Rockmusik fusionierte. Und machte fortan so weiter, experimentierte unter anderem mit elektronischer Musik. Im Mai dieses Jahres hat Niño de Elche die „Antología del cante flamenco heterodoxo" veröffentlicht, ein Monumentalwerk mit 27 Songs. Er hat es zusammen mit den Produzenten Pedro G. Romero und Raül Refree aufgenommen. Letzterer ist auch für das Debütalbum von der Neo-Flamenco-Sensation Rosalía aus dem vergangenen Jahr verantwortlich.

Die „Antología" ist eine Mischung aus Eigenkompositionen und eigenwilligen Interpretationen von alten Flamenco-Weisen. Eine bizarre Stilmischung aus Folklore, sakraler Musik, Tango - und eben auch Flamenco. Es ist alles andere als ein Album, das man schön im Hintergrund hören kann. Niño de Elche fordert seine Hörer heraus.

Vorbild Blixa Bargeld

Seine Einflüsse speisen sich aus vielen Quellen. Im MZ-Interview erzählt er, dass man seine Arbeit nicht ohne den Einfluss von Blixa Bargeld, den Sänger von Einstürzende Neubauten, erklären könne. Er zitiert auf dem neuen Album Andy Warhol genauso wie Dmitri Schostakovitsch, den US-Folksänger Tim Buckley oder die Sängerin und Schauspielerin Lola Flores. Es gehe ihm dabei weniger um deren Kunst an sich, sondern um die Einstellung, die Attitüde, die sie vermittelt, sagt er.

Doch auch das ist noch nicht die Erklärung für die Wut der Kritiker. Da gab es andere, nicht zuletzt Rosalía, deren Arbeit Contreras übrigens schätzt. Niño de Elche weiß, wie man provoziert. Dass die Sprache in seinen Shows von Sexual- und Fäkalsprache geprägt ist, ist dabei eigentlich nur Nebensache. Vor allem ist er eine kritische Stimme in einem Umfeld, das sich auf „Rasse und Tradition" etwas einbildet. Und auch wenn er sich gegen die seiner Ansicht nach faschistische Grundstimmung in Spanien wettert, so ist er auch nicht dezidiert links, kann sich genauso gut über die Linkspartei Podemos und ihre Anhänger lustig machen.

So geht Nationalhymne

Vielleicht verdeutlicht eine kleine Szene am besten, wie Niño de Elche aneckt: Vor Kurzem war er zu Gast in der Talkshow „Late Motiv". Moderator Andreu Buenafuente bat ihn am Ende des Interviews, doch noch ein kleines Stück zu singen. Der Sänger setzte sein Spitzbubengrinsen auf und erklärte, er habe unlängst eine eigene Version der spanischen Nationalhymne entwickelt. „Das wird jetzt nicht sehr Mainstream sein, was ich mache", warnte er noch.

Dann setzte er an, die Melodie der bekanntlich textlosen Hymne in einem abgehakten „Ex-paña" zu singen. Er steigerte sich in seine Performance hinein, die Hände wanderten in sein Gesicht, bis er sie zu einer Art Knebel einsetzte. Am Ende stieß er einen krächzenden Schrei aus. Das Publikum brach in Applaus aus. Was eine solche Performance bei den in Spanien immer lauter werdenden Nationalisten bewirkt, kann man sich denken.

Niño de Elche, Teatre Principal, 17.11., 20 Uhr, Karten 8 bis 25 Euro.