Am Ende ihrer Masterclass kommen Melissa Leo die Tränen. „Danke dafür, dass Ihr mir das Gefühl gegeben habt, wichtig zu sein." Das kann man natürlich bei einer Oscargewinnerin (als beste Nebendarstellerin für ihre Rolle in „The Fighter" 2011) als Koketterie auslegen. Andererseits:

Die 58-Jährige ist auch kein geborener Star. Sie ist eine Hollywood-Arbeiterin, die irgendwann mit der Zeit ihre verdiente Anerkennung erhalten hat. Das wird in der zweistündigen Masterclass deutlich, die am Montag (29.10.) im Rahmen des Evolution Film Festivals im Museum Es Baluard stattfand.

Die US-Amerikanerin hatte im Vorfeld angekündigt, „den Mythos vom Glamour zu entkräften, den Schauspieler und Schauspielerinnen umweht." Sie erzählt, dass es 27 Jahre gedauert habe, bis sie sich zum ersten Mal getraut habe, eine Rolle abzulehnen. Sie verrät, was sie für ihre Hauptrolle in „Frozen River" verdient hat, jenem Film, der ihr 2009 ihre erste Oscar-Nominierung einbrachte: den mit der Schauspielergewerkschaft vereinbarten Mindestlohn von 100 Euro pro Tag bei 25 Drehtagen. „Ich habe das nicht für das Geld gemacht." Das nimmt man ihr an dieser Stelle sogar ab.

Vor allem haut sie aber in der Masterclass auf den Putz. Und richtet ihren Zorn weniger gegen übergriffige Studiobosse oder andere erwartbare Angriffsziele. Im Gegenteil. Zum Einstieg ledert sie gegen eine junge Regisseurin, bei dessen Debütfilm „Novitiate" sie im vergangenen Jahr die Hauptrolle spielte. Der Filmtitel? „Absoluter Blödsinn". Das Drehbuch? „Shit". Die Regisseurin? „Hat die Kohle von Daddy bekommen, zudem war sie respektlos und hatte keine Ahnung."

Ob der Film gut oder schlecht ist, kann keiner außer ihr im bis auf den letzten Platz gefüllten Auditorium des Museums sagen. Als sie fragt, wer den Film gesehen hat, hebt keiner die Hand. Beim Sundance Festival jedenfalls gewann die junge Regisseurin Maggie Betts, deren Namen Leo kein einziges Mal nennt, den Nachwuchsregie-Preis. Warum also die Wut? Offenbar, so wird in Leos Ausführungen deutlich, hat die junge Regisseurin nicht auf die Ratschläge und Verbesserungsvorschläge der erfahrenen Schauspielerin gehört. Damit habe sie den Film kaputt gemacht.

Ganz anders der Autor und Regisseur des Films „Leave Not One Alive", Jodan Galland, dem Leo Ratschläge für das Drehbuch gab und der sie befolgte, indem er das Buch nochmal komplett umschrieb. Oder Courtney Hunt, die Regisseurin von „Frozen River". Auch sie hat sich in den Augen der Schauspielerin bewährt. „Sie hat viele Fehler gemacht, aber sie hat keinen Fehler wiederholt."

Keine Ansprüche Stellen

Melissa Leo ist nicht unsympathisch. Sie ist eine charismatische Frau mit einem kleinen, unauffälligen Nasenring und einem unprätentiösem Kleidungsstil. Die Masterclass ist über weite Strecken unterhaltsam und informativ. Nur handeln die Lektionen, die man aus ihren Geschichten

erfährt, meist nur von anderen Leuten. Über eigene Fehler spricht sie kaum. Erst später, im Gespräch mit der MZ, erzählt sie, was sie bereut: „Meinen größten Fehler habe ich gemacht, als ich den Oscar bekam. Alle Leute fragten mich: Was machst du als nächstes? Ich dachte: Naja, jetzt werden sicher alle großen Studios bei mir anklopfen. Und ich habe zum ersten Mal Dinge erwartet. Als ob ich einen Anspruch darauf gehabt hätte."

Im Interview zeigt sie auch ihr Unwohlsein mit der Filmindustrie: „Ich habe vor wenigen Jahren in der Serie „Treme" mitgespielt. Jede einzelne Folge hat sechs Millionen Dollar gekostet. Das ist doch nicht nachhaltig. Was da an Equipment zur Verfügung steht, lenkt davon ab, worum es eigentlich geht: eine Geschichte erzählen." Sie habe den Filmemachern auf Mallorca, denen sie in den vergangenen Tagen begegnet sei, geraten, den in der hiesigen Filmindustrie allgegenwärtigen Mangel an Geld als Chance zu sehen, nicht als Manko: „Es regt einen kreativen

Umgang mit dem eigenen Stoff an."

Die Filmindustrie sei ein wunderbarer Ort. „Ich sage immer: Dasganze Dorf kann vom Film leben." Es seien nicht nur die Schauspieler und Regisseure. „Sondern auch die vielen Techniker. Licht, Ton, Kamera. Wir brauchen Leute, die uns einkleiden, Menschen, die uns Essen bringen. Es gibt genug bedarf an Arbeitskräften, dass alle was davon haben können." Fühlt es sich denn in der Realität auch so an, wie ein wundervoller Ort? „Nein", antwortet Melissa Leo.