Sonntags nach dem Kirchgang - die Einwohner von Llucmajor hatten sich für den Gottesdienst ohnehin in ihre besten Kleider geschmissen-, kam die Stunde des Fotografen. Tomàs Montserrat (1873-1944), praktischerweise in Personalunion auch der Pfarrer im

Gemeindeteil Arenal. Er nahm die Gläubigen mit nach Hause, dort hatte er im Hof eine Leinwand aufgehängt. Montserrat platzierte seine Protagonisten davor, meist begleitet von irgendwelchen Requisiten wie einem Stuhl, Büchern oder einem Tischchen mit Uhr.

Die Bilder, die zwischen 1910 und 1925 entstanden, gehören zu den spannendsten Exponaten, die die Ausstellung „Col·leccionant fotografia" im Claustre Sant Bonaventura in Llucmajor zu bieten hat. Die Schau lässt die Geschichte der Fotografie anhand von Werken aus der Sammlung des mallorquinischen Fotografen Toni Catany (1942-2013) Revue passieren, sie beinhaltet technisch aufwendigere und ältere Techniken der Fotografie wie Daguerrotypen, Ambrotypen oder Fotoplatten. Auch sind große Namen dabei wie Man Ray, Alfred Stieglitz oder auch „Alice im Wunderland"-Autor Lewis Carroll, ein begnadeter Kinderporträtist. Aber es sind die Bilder von Montserrat, die ins Auge stechen. Sie erzählen ein Kapitel Fotogeschichte Mallorcas.

Faszination Familienfotos

Dass sie überhaupt erhalten sind, ist Toni Catany zu verdanken. Als Kind schaute er sich immer wieder fasziniert die Familienfotos an, die bei ihm zu Hause in einer Schublade aufbewahrt wurden. Besonders begeisterte er sich für ein Bild seiner Oma, die er nie kennengelernt hatte. „Dieses Bild hat senyor Tomàs gemacht", erzählte ihm seine Mutter.

Viele Jahre später, Catany war zu dem Zeitpunkt schon selbst als Fotograf tätig, beschloss er, das Erbe des Priesters zu retten. Er besuchte Montserrats Nichten Rosa und Antònia. Sie führten ihn zu einem Stall. Und, Tatsache, dort lagen etwa 150 Fotoplatten in den Formaten 9x12 und 13x18 cm. Die Nichten überließen sie Catany. Der Fotograf reinigte sie und stellte die Bilder 1965 beim Dorffest von Llucmajor aus. 18 Jahre später veröffentlichte er das Buch „Tomàs Montserrat. Retratista d'un poble" (Tomàs Montserrat. Portraitist eines Dorfes). Darin erzählte er auch die hier wiedergegebene Geschichte.

Nicht in die Seele schauen

In der Ausstellung sind neun dieser Aufnahmen zu sehen: ganze Familien, aber auch Einzelbilder von Kindern, Männern und Frauen. Ihre Blicke sind ernst, aber nicht ausdruckslos. Der französische Fotoarchivar Jean-Claude Lemagny, schreibt in einem Vorwort in Catanys Buch, Montserrat habe keine Inszenierung gesucht, aber seinen Protagonisten auch nicht in die Seele zu gucken versucht. Vielmehr habe er sie so darstellen wollen, „wie sie in sein Haus reingekommen waren und wie sie gleich wieder hinausgehen würden."

Gleichzeitig prägt die Bilder eine charmante Imperfektion. Zwar ist vor dem Vorhang alles hübsch in Szene gesetzt, gleichzeitig zeigen die Bilder teilweise das Drumherum, eine Wand und ein vergittertes Fenster. Man kann davon ausgehen, dass die Familien einen Ausschnitt des Fotos bekamen. Und auf einem Bild ist ein „Fotobomb" zu sehen. Während eine ältere Dame mit ernstem Blick für den fotografierenden Priester posiert, platzt von hinten eine junge Frau ins Bild.

Montserrat fotografierte immer zur gleichen Tageszeit in der gleichen Ecke des Hofes. Die Bilder aber sind nicht repetitiv, zeigen vielmehr den Facettenreichtum der Gesellschaft eines mallorquinischen Dorfes vor hundert Jahren. Dem fotografierenden Pfarrer wird demnächst mehr Aufmerksamkeit zuteil. Sein Geburtshaus wird Teil des Internationalen Zentrums für Fotografie, das für die Sammlung Toni Catany in Llucmajor gebaut wird.

Claustre Sant Bonaventura, Eintritt frei, Mo. bis Fr. 9 bis 14 Uhr und 17 bis 21 Uhr, Sa. 17 -20 Uhr. Bis 11.8.