Über 250.000 Zuschauer haben Nena schon auf der aktuellen „Nichts versäumt"-Tour gesehen, die 2018 begann. Sie hat in Deutschland gespielt, aber auch in Österreich, der Schweiz, den Niederlanden und Dänemark. Sogar ein Livealbum ist schon erschienen.

Schaut man auf die Trackliste, fällt auf: Nur wenige der Songs, die sie auf der Tour spielt, sind nach den 80er-Jahren erschienen. Nena setzt auf die Klassiker, aus dieser ersten erfolgreichen Zeit mit ihrer Band Nena, die 1982 begann und bis etwa 1986 andauerte. Die Zeit, in der Songs wie „Nur geträumt", „Irgendwie, irgendwo, irgendwann" und natürlich vor allem „99 Luftballons" sie international zu einem Star machten. Danach folgte eine lange Dürrephase, in der kein Album von ihr es in die Top 20 der deutschen Albumcharts schaffte. Bis sie 2002 mit überarbeiteten Versionen ihrer alten Hits zurückkehrte und die zweite Erfolgsphase begann.

Nena setzt auf Nostalgie. Das beweist sie auch mit ihrem bislang letzten Studioalbum. „Oldschool", das im Februar 2015 erschien. Es ist auf kuriose Art ein Album, das dem Puls der Zeit damals schon ein wenig voraus war. Nicht so sehr musikalisch. Klar, es sind ein paar Hip-Hop-Bezüge drauf, was sicherlich an dem Produzenten Sammy Deluxe lag. Sicher, es sind viele elektronische Klänge zu hören, inklusive verzerrter Stimmen. Man will ja auch mit der Zeit gehen.

Rein textlich ist es aber eine Reise in die Vergangenheit, in eine Version von „Früher war alles besser". Das Album beginnt mit dem Titelsong. Musikalisch eine kaum kaschierte Reminiszenz an Trios „Da Da Da", inklusive „Aha"s und minimalistischem Elektro-Orgel-Piepen sprech-singt Nena: „Ihr kennt mich vielleicht noch/ Von ein paar Klassikern/ Aus den Achtzigern/ Das fühlt sich fantastisch an". Der Song danach heißt „Lieder von früher", beginnt mit einem eingespielten Schallplattenrauschen und den Zeilen „Manchmal hol ich meine alten Platten aus'm Schrank/ Und ich tanz die ganze Nacht/ Zu dem Rock?'n'?Roll und Funk". Im Refrain erfährt man dann: „Und so singen wir die ganze Nacht/ Unsere Lieblingslieder/ Lieder von früher".

In einem der wenigen Lieder, das es mit aufs aktuelle Livealbum geschafft hat, setzt sich Nena mit den Tücken des Alters auseinander. Die damals 54-Jährige offenbart ein eher kurioses Bild von dem, wie sich Mittfünfziger so geben: „Muss ich jetzt Ohrringe aus Perlen tragen?/ Muss ich jetzt für euch auf dem Krückstock gehen?", fragt sie sich zum Sound von verzerrten Gitarren. Und äfft ihre Kritiker nach: „Nena sei doch mal nich'/ So berufsjugendlich".

War es das alles Wert?

Es ist nicht so, dass Nenas neuere Songs schlecht wären. Klar, sie bringt immer wieder Zeilen wie „Manchmal sind zwei eins/ Und manchmal sind zwei zwei/ Manchmal heißt es hallo/ Und manchmal heißt es bye-bye" („Genau jetzt"). Aber „Ja das war's" etwa ist ein absolut anständiger Popsong, in dem Nena (auch hier mit eher abgeklatschten Wortbildern arbeitend) auf ihr bisheriges Leben zurückblickt. „War es das alles wert?/ Und ich denke: Ja, das war's".

Aber es sind keine Songs, die die gleiche Intensität versprühen wie ihre alten Hits. Nicht umsonst nimmt der Name der Tour Bezug auf ihre erste erfolgreiche Single „Nur geträumt". Deren Veröffentlichung ist 37 Jahre her. Zum Vergleich: Eine „Atemlos"-Tour von Helene Fischer 37 Jahre nach der Veröffentlichung würde im Jahr 2050 stattfinden. Zuflucht in der Vergangenheit zu suchen, ist ein kurioser Schritt von einer Sängerin, die in ihrem größten internationalen Hit Kritik an der aufgebauschten Kriegsrhetorik der 80er-Jahre relativ glasklar durchscheinen ließ: „99 Kriegsminister/ Streichholz und Benzinkanister/ Hielten sich für schlaue Leute/ Witterten schon fette Beute/ Riefen, „Krieg!", und wollten Macht/ Mann, wer hätte das gedacht?", sagt sie in „99 Luftballons".

Damals wie heute

Dass wir uns immer noch über Nenas alte Hits freuen können, dass wir vielleicht sogar Sehnsucht nach dieser Zeit verspüren, liegt nicht daran, dass es damals besser um die Welt stand. Im Gegenteil. Wenn es eine Zeit gab, die unserer heutigen chaotischen Welt ähnlich ist, dann vielleicht diese. Damals war es der Kalte Krieg und Tschernobyl, heute der Klimawandel. Damals saß ein konservativer Blender aus dem Showbusiness im Weißen Haus, heute ist das nicht anders. Tory-Hardliner in der Downing Street, heute genauso. Nun gut, damals begann die lange Kanzlerschaft von Helmut Kohl, jetzt kommt langsam das Ende von Angela Merkels üppiger Amtszeit.

Wenn wir die Zeilen „Im Sturz durch Raum und Zeit/ Richtung Unendlichkeit" mitsingen, denken wir aber nicht daran. Warum? Weil wir die furchteinflößende Situation damals irgendwie überlebt haben, weil die Erde damals nicht über den Abgrund gegangen ist. Weil alles irgendwie gut gegangen ist. Wenn wir diese Zeilen singen, schwingt natürlich die Hoffnung mit, dass es diesmal irgendwie, irgendwo, irgendwann halt auch gut geht.

Oder: Es sind halt einfach sehr gute Popsongs, die Nena damals gemacht hat. Und die Menschen hören gerne gute Popsongs. Egal, ob sie ein wenig älter sind. Ganz ohne Nostalgie. „Das fühlt sich fantastisch an."

Nena live mit Marc Terenzi, Jonas Monar, 14.8., 22 Uhr, Port Adriano, Karten ab 49,50?Euro unter www.mallorcatickets.com