Die Dirigentin ruft den Tenor zu sich und lässt ihn eine Stelle noch mal und noch mal singen. „Ebben proviamo", singt er. Und noch mal. Nach dem sechsten oder siebten Mal ist es dann okay. Der bärtige junge Mann geht in den Zuschauerraum des Auditoriums von Palma, während sich auf der Bühne Sänger und künstlerische Leitung auf die Probe einer anderen Szene vorbereiten.

Es ist nichts weniger als die Revolution der Oper, die hier anhand des „Barbiers von Sevilla" geprobt wird und die am 4. und 5.9. aufgeführt wird. So zumindest ist der Anspruch der italienischen Sängerin Giuliana Retali und dem deutschen Cembalo-Bauer Matthias Kramer, die Erfinder der sogenannten Oper 4.0. Das Ziel: das Genre der Oper von seinem verstaubten, elitären Image zu befreien und es wieder verständlich zu machen - sodass man nicht unbedingt vorher das Libretto gelesen haben muss, um der Handlung zu folgen.

Es sind vor allem drei Dinge, die zum besseren Verständnis beitragen, erklärt Kramer. „Zum einen werden die Konsonanten deutlich mitgesungen, sodass man die einzelnen Worte besser versteht." Zweitens unterstützen die Sänger das Gesungene durch Gestik. Und das Orchester akzentuiere die Sprache ebenfalls durch das Spiel. „Verändern muss man das Stück dafür nicht", sagt Kramer. „Es steht alles in den Noten."

Karges Bühnenbild

Vor zwei Jahren fand die erste Oper 4.0 statt. Im Auditorium wurde die „Hochzeit des Figaro" aufgeführt. Die Szenografin Deda Cristina Colonna, die auch dieses Mal wieder dabei sein wird, setzte auf ein karges Bühnenbild. Ein paar Strandliegen, ein paar Sonnenschirme und ein Sessel, das war's. Auch dieses Mal soll die Sprache im Vordergrund stehen, auf der Bühne befinden sich nur drei angedeutete Weinfässer. Die Handlung soll in einer mallorquinischen Bodega spielen, erklärt Kramer, der mit seiner Frau seit einigen Jahren in der Nähe von Manacor ein Haus besitzt.

Auch wenn die Initiatoren ein Deutscher und eine Italienerin sind, ist das Projekt Oper 4.0 durchaus weitgehend mallorquinisch geprägt. Das Orchester setzt sich komplett aus Musikern von der Insel zusammen. Auch die Sänger sind teilweise von hier, wie die Sopranistin Maia Planas und der Bariton Tomeu Bibiloni. „Es gibt viele ausgezeichnete Musiker auf der Insel", erklärt Kramer die ­Entscheidung.

Etwas anderes, etwas Neues

Ob die Oper 4.0 wirklich eine Revolution ist, werde sich zeigen, sagt der argentinische Tenor Francisco Brito, der den Conde d'Almaviva singt. „Erst wenn alle es so machen, können wir wirklich dieses Wort gebrauchen." Brito hat schon mehr als 50 Mal diese Rolle in verschiedenen Produktionen gesungen. „Aber hier machen wir etwas anderes, etwas Neues. Das ist es, was mich reizt." Für ihn als Sänger sei vor allem dieser Fokus auf eine möglichst klare Aussprache die Herausforderung.

Als die Oper 4.0 vor zwei Jahren ihr Debüt feierte, zeigte sich die Kritik zumindest ­be­eindruckt. Der Rezensent des Fachmagazins „Crescendo" sprach von der Aufführung ­einer Oper, „von der sich manch arriviertes deutsches Haus eine dicke Scheibe abschneiden könnte."

Den ersten Praxistest können die Direktoren deutscher Häuser schon bald machen, ohne dass sie dafür auf die Insel kommen müssen. Am 8.9. wird die Oper 4.0 im Admiralspalast in Berlin gezeigt. Auf Mallorca soll es fortan jedes Jahr mindestens eine neue Aufführung geben. Auch über ein Opernfestival auf der Insel denkt Kramer nach.

Karten ab 49 Euro: auditoriumpalma.com