Ärgerlicher geht es eigentlich kaum noch. Knapp 3.500 Menschen waren am 28.8. auf dem Gelände Son Fusteret, als wenige Minuten vor dem geplanten Beginn das Konzert der französischen Sängerin Zaz abgesagt wurde. Der Flug, der die Musikerin von Paris auf die Insel habe bringen sollen, wurde abgesagt. Trotz aufrichtigen Bemühens habe man keine verlässliche Alternative finden können. Also alle Mann ab nach Hause. Tickets sollen erstattet werden.

Zaz mag den Preis für die skurrilste Begründung und den denkbar schlechtesten Zeitpunkt haben, es war aber bei Weitem nicht die einzige Absage eines Konzerts in diesem Sommer auf Mallorca. Beinahe wöchentlich fielen seit Mitte Juli teils groß angekündigte Liveshows aus. Ein wenig schien es, als laste ein Fluch auf der Insel und den namhaften Künstlern, die hier auftreten sollten.

Die Mär vom riesigen Markt

„Mallorca kann einen leicht täuschen, wenn man die Insel von außen betrachtet", sagt der Konzertveranstalter Roberto Menéndez. „Man sieht einen schönen Ort, der seine Bevölkerung im Sommer vervielfacht und denkt, dass es hier einen Riesenmarkt für Konzerte gibt." Doch die Situation ist komplex. „Wer sich nicht einarbeitet und den Markt genau studiert, wird schnell Probleme bekommen."

Für das Konzert von Zaz war die Agentur OK Events verantwortlich, ein Nebenarm des Autovermieters OK Cars. Die Firma ist ein Neuling auf dem mallorquinischen Konzertmarkt. „Der Einstieg kam völlig überraschend", sagt der österreichische Veranstalter Roland Michael, der vor wenigen Wochen Nena auf die Insel brachte.

Gerechnet hatte vielleicht keiner mit OK Events, beneiden wird sie nach diesem Sommer aber auch niemand. Neben Zaz hatte die Firma die Konzerte von Gregory Porter (21.7.) und Melody Gardot (30.7.) organisiert. Massive Rabatte von bis zu 45 Prozent auf die Eintrittskarten ließen auf einen schlechten Vorverkauf schließen. Das Konzert von Carla Bruni, das für den 25.7. geplant war, wurde eine Woche vorher abgesagt. Presseberichten zufolge seien zehn Tage vor dem Konzert nicht mal 200 Karten verkauft worden - rund zehn Prozent der Zuschauerkapazität von Port Adriano.

Ein ähnliches Schicksal ereilte wohl das Konzert von Iron & Wine und Calexico, das vier Tage nach Brunis Show im Auditorium stattfinden sollte. Zwar gab es vom Veranstalter, der katalanischen Agentur One World Music, keine offizielle Begründung für die Konzertabsage, aber wenige Tage vor der Show konnte man auf dem Kartenbuchungsportal sehen, dass nur ein Bruchteil der Plätze verkauft waren.

Absagen gab es aber auch noch aus anderen Gründen: Das Konzert des Stargeigers Ara Malikian, für den 14.8. in Son Fusteret geplant, wurde wegen einer Erkrankung des Künstlers abgesagt. Bereits für den 27.7. wurde das Festival IncaMon in Inca abgesagt, bei dem unter anderem die Bands Miss Caffeina und Australian Blonde hätten auftreten sollen. Ein ehemaliger Mitarbeiter der Veranstaltungsfirma Redbellion hatte Sabotage betrieben. Der Fall liegt vor Gericht.

Kurzfristige Ticketkäufe

Der geringe Absatz an Karten im Vorverkauf sei normal, sagt Ana Espina vom Konzertveranstalter Fonart. „Das mallorquinische Publikum entscheidet sich sehr spät, Tickets zu kaufen. Da kann man als Veranstalter schnell mal nervös werden." Häufig kaufen die Zuschauer ihre Tickets erst wenige Tage vor dem Event.

Zudem sei die Zahl von Konkurrenzveranstaltungen sehr groß, ergänzt María Martín, die seit fünf Jahren die Veranstaltungsfirma Redbellion betreibt. „Wenn ein Konzert am gleichen Abend einer verbena (die Sommerfeste in den Dörfern, Anm. d. Red.) ist, gehen die Leute tendenziell eher ins Dorf, wo sie keinen Eintritt zahlen."

Ohnehin sei die Zahlungbereitschaft der Mallorquiner für Konzerte unterdurchschnittlich, sind sich die befragten Veranstalter einig. „Das Publikum ist in der Hinsicht verzogen", sagt Roberto Menéndez. „Seit den 80er-Jahren gab es zwischen den Gemeinden auf der Insel einen regelrechten Wettkampf, wer die größten Künstler auf die Dorffeste holen kann." Es seien jahrzehntelang abenteuerliche Gagen aus der Gemeindekasse an die Künstler geflossen. „Eintritt wurde damals natürlich nicht gezahlt. Die Mallorquiner haben sich so daran gewöhnt, alles gratis zu bekommen." Das sei erst mit der Wirtschaftskrise zu Ende gegangen, so Menéndez. Die Kultur der Sparsamkeit sei geblieben. „Nirgendwo in Spanien gibt es so günstige Konzertkarten wie auf Mallorca."

Dabei dürfe man nicht vergessen, dass ein Auftritt auf Mallorca durch die Insellage einen erheblichen Mehraufwand bedeute, sagt Menéndez. „Wer seine eigene Produktion mitbringt, muss das Equipment mit der Fähre bringen. Da geht ein Tag für Transport und Aufbau drauf. Dazu komme der Konzerttag und häufig ein weiterer Tag für den Rücktransport." Das seien alles Kosten, die das finanzielle Risiko noch erhöhen.

Heterogenes Publikum

Doch vergleichsweise niedrige Preise - Tickets für Nena gab es etwa ab 27,50 Euro, in Deutschland kosteten die Konzerte ab 59 Euro- reichen nicht aus. „Es gibt hier ein sehr heterogenes Publikum", sagt Roberto Menéndez. „Um genug Leute in ein Konzert zu bekommen, muss man gleichzeitig den Geschmack der Mallorquiner, aber auch den der Festlandspanier und der Residenten aus unterschiedlichen Ländern befriedigen. Das sind viele unterschiedliche Hörgewohnheiten."

Menéndez Sohn Felipe, der zusammen mit seinem Vater Roberto Konzerte organisiert und innerhalb der Firma für die junge Musik verantwortlich ist, gibt zudem die ökonomische Situation zu bedenken. „Viele Leute auf der Insel verdienen hier sehr wenig Geld. Da sind maximal zwei, drei Konzerte in einem Sommer finanziell machbar. Und wenn sie Kinder haben, ist es noch schwieriger."

Große Stars, gerade die spanischen wie Pablo Alborán oder David Bisbal (spielte am Samstag, 31.8.,) ein Konzert vor 4.000 Zuschauern in Calvià, Anm. d. Red.), das würde auf Mallorca funktionieren, sagt María Martín, die sich auf Bands aus dem Independent-Bereich spezialisiert hat. Für alle anderen heißt es tiefstapeln. „Bei Gruppen, die auf dem Festland locker 6.000 Menschen in ihre Konzerte locken, kommen hier mit Glück 400 Personen. Da ist es natürlich schwer, wirtschaftlich zu arbeiten." Die Gage der Künstler wird nicht geringer, wenn sie auf Mallorca spielen.

Die Touristen kommen nicht

Auf Touristen könne man nicht zählen. „Die kommen nicht hierher, um Musik zu hören", glaubt María Martín. „Viele der Urlauber, gerade die aus großen Städten in Großbritannien oder Deutschland, haben das ganze Jahr über ein kulturell hochwertiges Angebot. Für sie sind Konzerte auf Mallorca kein zusätzlicher Anreiz. Sie suchen hier das, was sie in der Heimat nicht haben, nämlich Strand und Sonne." Die anderen Veranstalter bestätigen dieses Szenario.

Zudem hätten viele Urlauber, die sich doch für Musik interessierten, häufig ein Problem mit der Logistik, sagt Roberto Menéndez. „Es gibt keine öffentlichen Verkehrsmittel, um nachts wieder heimzukommen. Man muss also ein Mietauto haben, zudem ist die Anreise aus manchen Urlauberhochburgen weit und kompliziert." Vielen wäre das zu viel Planungsstress im Urlaub.

Bei den jungen Leuten klappt's

Natürlich ist nicht alles schlecht. Gerade Angebote für junge Leute sind von der misslichen Lage ausgenommen. Das Ein-Tages-Festival Reggaeton Mallorca 2K19 lockte mit Stars wie Nicky Jam am 5.7. rund 9.000 Zuschauer in die Stierkampfarena. Zwei Wochen später fügten die Veranstalter des Reggaeton Beach Festivals dank starker Nachfrage einen zweiten Tag hinzu. Insgesamt 20.000 Zuschauer sahen in Son Fusteret Stars wie Becky G oder Bryant Meyers.

Und das Elektrofestival Origen Fest hat die Saison mit drei ausverkauften Events abgeschlossen. „Wir hatten den Eindruck, dass die elektronische Musik in den vergangenen Jahren auf Mallorca etwas stiefmütterlich behandelt wurde", sagt Felipe Menéndez. „Der Erfolg von Origen zeigt uns, dass es durchaus eine Nachfrage gibt."

Ana Espina hat ihre eigene Art gefunden, das Risiko zu minimieren. In ihrer Open-Air-Konzertreihe Sons de Nit in verschiedenen Locations auf der Insel sucht sie gar nicht erst das große Publikum. „Die Kapazität bei unseren Konzerten liegt zwischen 200 und 700 Zuschauern." Sie präsentiert lokale und internationale Künstler. In diesem Jahr holte sie die 80er-Jahre-Band Echo & The Bunnymen nach Pollença (11.8.). „Da sind sogar auch einige Urlauber gekommen", freut sie sich.

Großer Vertrauensverlust

Die meisten Veranstalter sind sich darin einig, dass es in diesem Sommer ein Überangebot an Livemusik auf Mallorca gab. „Der Markt war überfordert", sagt Roland Michael. Er habe aus diesem Grund das für den 10.8. geplante Konzert der Les Humphries Singers in Port Adriano abgesagt.

Einig sind sich alle Veranstalter darin, dass die Konzertabsagen der gesamten Branche auf der Insel schaden. „Die Absagen führen zu einem erheblichen Vertrauensverlust", sagt Roland Michael. „Zum einen beim Publikum, weil eine Unsicherheit entsteht, ob ein Konzert überhaupt stattfindet." Zum anderen bei den Managern der Künstler. Mallorca erhalte als Veranstaltungsort international einen schlechten Ruf.

Gerade wenn wie bei Zaz der Eindruck entsteht, dass da unprofessionell gearbeitet wird, weil man die Künstlerin nicht rechtzeitig auf die Insel bringt und Eventualitäten, wie einem stornierten Flug, einen ganzen Abend platzen lässt. Roland Michael fürchtet, dass dies in Zukunft dazu führen könne, dass es schwerer wird, namhafte Künstler auf die Insel zu holen.

Bei OK Events wollte sich trotz mehrfacher Anfrage der MZ niemand zu den abgesagten Konzerten in diesem Sommer äußern. Die Person, die etwas dazu sagen könne, sei im Urlaub. Na dann, schöne Ferien.