Der Stil ist unverwechselbar und seit über 30 Jahren unverändert. Mit Zierkamm und Sonnenbrille steht María Isabel Quiñones Gutiérrez auf der Bühne. Eine Ikone mit dem Namen Martirio (zu Deutsch: Martyrium). Eine Sängerin, die Genregrenzen gesprengt hat, zwischen Flamenco und Jazz, zwischen Tango und Pop.

Die heute 65-Jährige tritt am Samstag (7.12.) im Rahmen des Jazz Voyeur Festivals in Palma zusammen mit dem Pianisten Chano Domínguez auf. Mit ihm arbeitet sie seit den 80er-Jahren immer wieder zusammen. Im Auditorium präsentieren sie ihr neues Projekt: eine Hommage an den kubanischen Pianisten und Sänger Bola de Nieve (1911-1971).

Hymne der Übergangszeit

Martirios Karriere begann, damals noch unter ihrem bürgerlichen Namen, 1972 in ihrer Heimatstadt Huelva. Dort wurde sie Teil der Gruppe Jarcha, die sich auf traditionelle andalusische Musik konzentrierte. Der Song „Libertad sin ira" (Freiheit ohne Zorn) aus dem Jahr 1976 wurde zu einer der inoffiziellen Hymnen des Übergangs von der Franco-Diktatur zur Demokratie. Zu dem Zeitpunkt hatte Martirio schon geheiratet und einen Sohn zur Welt gebracht, Raúl Rodríguez, der heute ein anerkannter Gitarrist ist. Seit Mitte der 90er-Jahre treten Mutter und Sohn regelmäßig zusammen auf.

Ab 1977 sang sie in der Band des bekannten spanischen Flamenco-Rock-Sängers Kiko Veneno, bevor sie 1986 ihre Solokarriere begann und damit die Figur Martirio schuf. Wobei dies für sie eine Methode war, um auf der Bühne ihre Träume auszuleben, wie sie kürzlich der MZ-Schwesterzeitung „Diario de Mallorca" sagte: „María Isabel ist quasi die Sekretärin in einer Phantasiewelt, Martirio hingegen macht sich hübsch und singt das, was die andere sich nur vorstellen kann."

Kein Marketing dahinter

Mit Hits wie dem schelmischen „Sevillanas de los bloques" baute sie sich schnell eine Karriere auf. Sie setzte auf Tabubrüche, kombinierte traditionelle und moderne Elemente, sowohl was die Musik als was ihr Auftreten betrifft. Der Look war stets eine wichtige Facette ihrer Kunstfigur. „Heute würde man denken, es stecke Marketing dahinter", sagte sie vor einigen Jahren . Dabei habe sie vor allem gespielt und experimentiert. „Auch wenn ich als Persiflage der Folklore daherkam, waren meine Botschaften immer sehr real."

Rund 300 Zierkämme befänden sich in ihrer privaten Kollektion, erzählte sie kürzlich dem Late-Night-Talker Andreu Buenafuente. Das außergewöhnlichste Stück sei der Kamm, auf dem ihr eigenes Gesicht zu sehen ist. Demnächst wolle sie alle Exemplare in einer großen Ausstellung zeigen. Sie sei zwar sehr spanisch und liebe die hiesigen Traditionen, sagte sie dem „Diario de Mallorca". „Aber alles muss sich weiterentwickeln und ändern." Mit den Parolen der vorgeblich traditionalistischen Rechtspartei Vox will sie jedenfalls nicht in Verbindung gebracht werden.

Die guten Kroketten

Ihr gehe es vor allem darum, Emotionen beim Publikum auszulösen, Kontakt mit den Menschen aufzunehmen. „In meinen Konzerten lachen sich die Leute tot, sie weinen aber auch. Und nach der Show sagen sie mir, dass sie das selbst erlebt haben, wovon ich singe." Dieser Hang zu echten Gefühlen ist auch das, was sie zu Bola de Nieve hinzieht, dessen Lieder sie in Palma singt. „Dabei neigte der weder zur Protzerei noch zur übertriebenen Dramatik." Der in den 40er- und 50er-Jahren legendäre Musiker sei stets bescheiden geblieben. „Bola de Nieve wusste sowohl Zärtlichkeit als auch Schmerz zu vermitteln. Er ist viel zu lange in Vergessenheit geraten, wir sollten ihn wieder aufleben lassen", sagt Martirio.

Mit ihrem Bühnenpartner Chano Domínguez arbeitet sie bereits seit Mitte der 80er-Jahre zusammen. „Er ist der beste Jazz-Flamenco-Pianist der Welt", lobt Martirio ihren Kollegen. Er habe häufig um ihre Hand angehalten, scherzte der Pianist bei Late Night-Talker Buenafuente. „Aber doch nur, weil ich so gute croquetas mache", entgegnete ihm Martirio.