Wasser tropft auf ein Blatt, dann in einen Messbecher, dessen Inhalt immer schwerer wird. Durch das Gewicht spannt sich ein Band und lässt den daran befestigten Bösewicht nach vorne kippen: ein drachenähnliches rotes Monster mit irrem Blick und kleinen Ärmchen, die ihm aus dem Kopf zu wachsen scheinen. Das Scheusal stürzt auf einen Globus und bringt buchstäblich die Welt aus dem Gleichgewicht. Der Beginn einer fatalen Kettenreaktion, die zahlreiche Opfer fordert.

Was nach einem hanebüchenen Traum klingt, ist die Anfangsszene eines knapp viereinhalbminütigen Videos, das auf Youtube unter dem Titel "Història abreviada i visual de la COVID" zu finden ist:

Der kuriose Clip verarbeitet das Thema der Pandemie auf ungewöhnliche und konsequent metaphorische Weise. Und das Drachenwesen ist dabei der ideale Protagonist: „Wir haben die Kindersachen durchgesucht, da gab es jede Menge Zeug. Und das Monster sah am ehesten nach Virus oder nach etwas Bösem aus", erklärt Carme Verdaguer, die gemeinsam mit Christoph Hafner hinter dem Kurzfilm steckt.

Künstlerisches Ventil

Natürlich sind die beiden nicht die einzigen, die sich auf Mallorca ein künstlerisches Ventil für die Corona-Krise suchten, aber ihr Ansatz ist der vielleicht originellste. Hafner begeistert sich für Videos von Kettenreaktionen oder unsinnigen Maschinen, die beispielsweise nur gebaut werden, um jemandem das Salz zu reichen: „Das sind wertfreie, absurde, faszinierende Dinge, die mir gefallen."

Auch die Pandemie ist letztlich nichts anderes als eine Kettenreaktion. Das deutsch-mallorquinische Paar hat ihren kurzweiligen Film so dicht mit Details und Symbolik bepackt, dass man ihn sich eigentlich mehrmals anschauen muss, um nichts zu übersehen.

Hafner und Verdaguer suchten die Objekte nicht nur aufgrund ihrer Dominoeffekt-Qualitäten aus, sondern auch wegen ihrer Bedeutung: Spielzeugfiguren stellen Sanitäter oder eine italienische Familie dar, ein Kreuzfahrtschiff (die Virenschleuder par excellence) wird mit der Anspielung auf die sinkende „Titanic" verknüpft, schnelle Autos verkörpern den Turbo-Kapitalismus. Bücher stellen das Tramuntana-Gebirge dar, vor dem ein kleines Lufthansa-Flugzeug verunglückt und den Tourismus (in Gestalt von Sonnencreme, Flip-Flops und Co.) hinwegfegt. Und ein Pinguin, der von einem Secondhandmarkt in Stuttgart stammt, gemahnt am Ende an den Klimawandel.

Aus dem Ruder gelaufen

Hafner und Verdaguer leben in der Altstadt von Palma und nutzten für die Produktion Fundstücke aus ihrer Wohnung. Das Video ist ein Ergebnis ihres Lagerkollers in der dritten Woche der Ausgangssperre.

Was als persönliche Herausforderung begann, lief schnell aus dem Ruder und wurde zu einem Projekt, das das Paar über zwei bis drei Wochen fast rund um die Uhr auf Trab hielt und einen Großteil des Wohnraums überwucherte: Es begann in der Sitzecke, ging auf den Esstisch und von dort aus auf die Küche über. Das Konstrukt hatte ein fragiles Gleichgewicht und strapazierte die Geduld der beiden jugendlichen Kinder: „Wir mussten sie dauernd ermahnen: Renn nicht! Beweg dich nicht! Schließ die Kühlschranktür nicht so fest! Vorsicht!", erzählt Verdaguer.

Bei der Produktion ging es experimentell zu und vieles klappte nicht wie geplant: „Ich glaube, in einem Teil des Videos hört man mich lachen", sagt Hafner. „Da haben wir zum fünften Mal die Gebäude aufgebaut, die hoteles. Und die dummen Hotels sind nie eingestürzt. Da mussten wir dann nachhelfen." Auf die Frage, ob sie noch mal ein ähnliches Video machen möchten, reagiert das Paar mit einem leicht entsetzten „Mein Gott, nein!". Nach zwei Wochen des Aufbauens und Umschmeißens reiche es ihnen nun fürs Erste.

Auftritt Pep Lemon

Eigentlich kennt man die beiden aus einem völlig anderen Kontext: als Erfinder der nachhaltigen Mallorca-Limonade Pep Lemon. Die Produktion der Brause für bewusste Konsumenten ist seit Frühjahr 2018 eingestellt, das Paar hatte damals eine „kreative Auszeit" angekündigt. Seitdem suchten Hafner und Verdaguer nach neuen Herausforderungen. „Es ist nicht einfach, ein so cooles Projekt wie Pep Lemon zu finden", sagt Hafner.

Dabei sollte es bei ihnen fast schon Routine sein, sich regelmäßig neu zu erfinden: Nach 18 Jahren Arbeit im Bereich Design und Videoproduktion und Projekten wie Kinderdokumentarfilmen, einer App und eben der lokalen Limo markiert der Covid-19-Clip nun den Beginn einer neuen Phase, in der sich das Paar wieder gemeinsamen Kreativprojekten widmen will.

Ein bisschen Nostalgie darf trotzdem nicht fehlen: So spielt eine Pep-Lemon-Flasche im Film eine tragende Rolle und wird im Abspann als „ein alter Freund" aufgeführt. Die Limo stellt einen dramatischen Wendepunkt im Video dar, der durch den Einsatz von Musik („Also sprach Zarathustra") unterstrichen wird: Eine Siurell-Figur, traditionelle Pfeife und Spielzeug, stößt mit der Nase an eine Zitrone, die eine Pepsi-Cola-Flasche zu Fall bringt, den Wasserhahn des Spülbeckens aufdreht und darin Pep Lemon aufsteigen lässt.

Die Pointe: Pepsi-Cola hatte Pep Lemon einst erfolgreich wegen Verwechslungsgefahr verklagt. Die Botschaft: Multinationale Konzerne und Einwegplastik haben ausgedient, ein anderes Wirtschaften ist möglich, lokale und nachhaltige Produkte sind die Zukunft. Dinge können sich ändern, wir brauchen ein neues Paradigma. Am Ende steht, auf einem Fahrradreifen hin und her pendelnd, die zentrale Frage „avançam o repetim", kommen wir voran oder wiederholen wir uns? Es bleibt eine gewisse Hoffnung, dass sich durch die Krise neue Möglichkeiten und Betrachtungsweisen eröffnen.

Hafner und Verdaguer betonen, dass sie bei all dem kein moralisierendes Manifest kreieren, sondern einen spielerischen und humorvollen Zugang finden wollten. „Uns interessieren Themen wie Nachhaltigkeit und Soziales, aber auch Dinge, die Spaß machen. Es ist sehr wichtig, etwas gern zu tun und auch anderen Menschen eine gute Zeit zu bereiten", sagt Hafner. Über WhatsApp und Facebook verbreitete sich das Video und erntete viele positive Reaktionen. „Zu uns hat ein Filmemacher gesagt, es sei das zweitbeste Video, das er in der Ausgangssperre gesehen hat", sagt Hafner. Und fügt amüsiert hinzu: „Das erstbeste war eins über Eichhörnchen."