Gabriel Tomàs Alemany hat gewisse Ähnlichkeiten mit der hochgewachsenen Palme im Innenhof des von außen völlig unscheinbaren Hauses in Andratx auf Mallorca, in dem der 80-Jährige heute lebt: Die Pflanze lebt fest verwurzelt in einer in sich geschlossenen Welt und ragt dabei dennoch weit über die Mauern, als wollte sie (im Rahmen ihrer Möglichkeiten) darüber hinausschauen.

Bei Tomàs, der 1940 in Andratx geboren wurde, war es vor vielen Jahren ein solcher Ausblick in die Welt der Literatur: Im Jahr 1970 bekam er für seinen Debütroman "Corbs afamegats" (Hungrige Krähen) über die Anfänge des Tourismus auf Mallorca prompt den „Premi Ciutat de Palma". Der Schriftsteller Baltasar Porcel lobte es als das realistischste Werk der mallorquinischen Literatur seit dem Spanischen Bürgerkrieg. Auch für seine darauffolgenden Erzählungen erhielt er Literaturpreise oder Nominierungen - ein vielversprechender Start für eine Karriere als Schriftsteller.

Der Autor wundert sich selbst über die Neuauflage

Doch nach einem zweiten Roman 1977 arbeitete Tomàs, der schon mit elf Jahren die Schule verließ, bis zur Rente nur noch in Hotelküchen (zuerst in Peguera, zuletzt in Magaluf) und verschwand als Autor komplett von der Bildfläche. Bis heute, denn der Verlag Nova Editorial Moll hat seinen ersten Roman nun neu aufgelegt - sehr zur Verwunderung des Autors. "Alles, was jetzt rund um dieses Buch passiert, ist für mich eine große Überraschung, angefangen bei diesem Interview", sagt Gabriel Tomàs beim Besuch der MZ in Andratx. „Dem Verlag hat mein Buch sehr gefallen, und er hat sich um alles gekümmert. Ich habe mich hier nicht vom Platz bewegt."

Wie einem Gemälde entsprungen wirkt er, im blühenden Garten Eden des Hofes, nebst Zitronenbaum und einem wie für ein Stillleben reich gedeckten Tisch mit Schalen voll Obst, Mandeln und Keksen. Nach einem Hüftbruch bewohnt er das Erdgeschoss des Hauses. Es gehörte der Familie des Mannes seiner verwitweten Lebensgefährtin, mit der er seit 15 Jahren glücklich liiert ist (geheiratet hat er nie, sondern seine Freiheit genossen).

Liebe auf Mallorca in den 1960ern

Menschliche Beziehungen sind auch das Kernthema von „Corbs afamegats", welches wie kaum ein anderes Buch das Mallorca der ausgehenden 1960er-Jahre zeichnet und, wie Nicolau Dolç schrieb, den tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel anhand persönlicher Geschichten aufzeigt: Der Protagonist ist ein Mallorquiner aus einfachen, ländlichen Verhältnissen, der eine Beziehung mit einer Frau aus Albacete beginnt, die als Saisonarbeiterin in einem Hotel arbeitet.

„Es gab Dutzende Geschichten wie diese: Er wollte eine Freundin finden und nahm die Erste, die ihn beachtete. Sie kam vom spanischen Festland und wollte jemanden von der Insel erobern, um bleiben zu können. Manchmal entstand daraus Liebe und eine Heirat", sagt Tomàs. Er spricht bedächtig, manchmal etwas undeutlich, mit leicht gepresster Stimme.

Man arbeitete und schlief im Hotel

Diese Zeit habe er noch absolut präsent: Damals habe man in einem Alter zu arbeiten begonnen, das uns heute wüst erscheint, mit zwölf, fünfzehn Jahren. Es blieb nur die Wahl zwischen Hotelgewerbe (ohne entsprechende Ausbildung), Landwirtschaftund Fischerei, viel mehr gab es nicht. Man arbeitete und schlief im Hotel, in Zimmern mit vier oder fünf Kollegen, und sparte vielleicht auf ein Moped.

Tomàs erzählt von jungen Männern, die tagsüber arbeiteten und nachts bei Volksfesten auf Brautschau gingen. Es zog sie dorthin, wo getanzt wurde, um mit Touristinnen anzubandeln. Und die Mallorquinerinnen hätten sich beschwert: An uns erinnert ihr euch nur im Winter.

Spontan zum Autor geworden

Erlebnisse wie diese haben Einzug in Tomàs' Roman gefunden. Doch zum Autor sei er, der begeisterte Leser und Liebhaber der mallorquinischen Sprache, der aber eigentlich nie Schriftsteller werden wollte, eher spontan geworden: „Ich arbeitete in einem Hotel und traf dort auf Menschen aus Spanien, die mir ihre Geschichten erzählten. Das war meine Welt, und ich habe über meine Welt geschrieben. Ich wüsste gar nicht, wie ich über etwas schreiben sollte, das ich nicht selbst erlebt habe."

Doch dann entschied sich Tomàs bewusst für den Rückzug aus der Literatur: „Man hat sein Leben dafür geopfert und musste zusehen, wie die Freunde auf die Piste gehen, während man selbst geschrieben und gelesen hat", erklärt Tomàs. Weitere Gründe, die eine Rolle spielten, waren die Tatsache, dass er seinen Lebensunterhalt verdienen musste, dass es keinen richtigen Markt für Literatur und längst noch keine so gute Infrastruktur im Verlagswesen gab und dass die Verlage der Zensur Francos gehorchten.

Rädchen im Getriebe der Tourismusindustrie

Auch habe er Autoren gesehen, die zwar Erfolg gehabt hätten, aber trotzdem noch arm geblieben seien. „Als Schriftsteller warst du hier sehr, sehr allein. Das hat mich dazu gebracht, mit all dem zu brechen: Mit diesen paar Büchern war es genug", sagt Tomàs.

Sein restliches Arbeitsleben verbrachte er auf der anderen Seite: nicht als Beobachter der Tourismusindustrie, sondern als Rädchen im Getriebe. Das genügte ihm. Beruflich habe er nie große Ambitionen gehabt, sagt Gabriel Tomàs. Dass er das Schreiben bis auf einige wenige Zeitungsartikel aufgab, habe er in den vergangenen 50 Jahren nie bereut. Als Rentner wolle er sich nun entspannen, lesen und dabei zusehen, wie sich die Welt weiter wandelt. Zum Abschluss des Besuchs signiert er seinen Roman mit den Worten „Ein Stück Geschichte aus einem fernen Mallorca".

„Corbs afamegats", Nova Editorial Moll, 239 Seiten, 18 Euro.