Im Vorfeld des 9. Evolution Mallorca International Film Festivals traf die gebürtige Berlinerin und Festival-Gründerin Sandra Lipski die MZ. Sie hat viele Jahre ihrer Kindheit auf der Insel verbracht und lebt mittlerweile in den USA.

Kino ist zu Corona-Zeiten eher out. Waren Sie seit Beginn der Pandemie überhaupt schon im Kino?

Ja, letztens tatsächlich zum ersten Mal. Und ich muss sagen, es war super schön. Auch wenn es erst einmal ein komisches Gefühl war mit Maske und Sicherheitsabstand. Aber Kino ist für mich ein kollektives Erlebnis, es entsteht ein Dialog, den es zu Hause auf dem Sofa so nicht gibt. Es war toll, wieder etwas mit Menschen zu teilen, das ich mag.

Fürchten Sie, dass einige Menschen sich Kinobesuche durch Lockdowns und Online-Streaming ganz abgewöhnen könnten?

Wenn es noch mal zu einem so umfassenden Lockdown kommen würde, könnte das langfristig echt passieren. Es geht wirklich um Gewöhnung. Das darf nicht passieren. Deshalb muss man jetzt entgegenwirken. Es ist ein bisschen, wie ein Pflaster abzuziehen: Erst muss man sich überwinden, aber dann ist es nicht schlimm - im Gegenteil. Einfach hingehen.

Hatten Sie das Festival für dieses Jahr bereits abgeschrieben?

Nein. Ich habe nie daran gezweifelt, dass es stattfinden wird. Zumal ja nächstes Jahr der zehnte Geburtstag ansteht, da stand gar nicht zur Debatte, dieses Jahr auszusetzen. Die Frage war natürlich, in welcher Form es stattfinden kann. Unser Vorteil ist, dass Evolution, anders als viele andere Filmfestivals, recht spät im Jahr stattfindet und wir Zeit hatten, uns vorzubereiten. Obwohl dieser Tage viele Festivals aus dem Frühjahr nachgeholt werden und uns den Raum stehlen. Und ehrlich gesagt: So richtig vorbereiten konnten wir auch nicht, denn man weiß nie, welche neuen Regelungen wann gelten. Das Closing-Event zum Beispiel soll wieder im Kongresszentrum stattfinden, aber ich habe keine Ahnung, wie viele Gäste ich einladen darf. Planen geht dieses Jahr kaum. Aber da muss man halt flexibel sein. Und ich denke, dass die Leute dieses Jahr auch Verständnis dafür haben, dass das Programm erst so spät herauskommt und sich immer noch einiges ändern kann.

Wie wollen Sie das Evolution Mallorca Film Festival Corona-tauglich gestalten?

Ein Teil des Festivals wird sich online abspielen. Wir haben lange darüber nachgedacht und uns die Streaming-Plattform Filmin ausgesucht. Dort werden 70 Prozent der Filme zu sehen sein und man kann sie gegen einen geringen Preis anschauen. Gleichzeitig wird das meiste aber auch präsenziell sein. Nur dürfen eben weniger Zuschauer eingelassen werden und Empfänge mit Essen und Trinken müssen wegfallen. Es gibt weiterhin einen Festivalpass, um alle Filme anschauen zu können, aber man muss 20 Minuten vor Beginn einer Vorstellung da sein. Außerdem gibt's am 24. und 25. Oktober wieder Autokino in Port Adriano.

In den vergangenen Jahren haben Sie echte Filmgrößen aus der ganzen Welt nach Mallorca geholt. Überhaupt gehört Internationalität zum Fundament von Evolution. Das klingt in Zeiten von Reisebeschränkungen nach einer Herausforderung.

Wir wollen mit dem Festival die internationale Filmszene mit Mallorca verbinden, was immer super geklappt hat. Auch dieses Jahr haben wir Einsendungen aus vielen Ländern, und wir werden natürlich Live-Schaltungen mit Filmemachern über Skype machen. Aber ja, was die Präsenz vor Ort angeht, müssen wir uns in diesem Jahr auf die Gäste aus Spanien fokussieren. Ich appelliere an die Locals zu kommen: Dieses Jahr ist es euer Festival!

Die zwei Protagonistinnen dieses Jahr kommen nicht von der Insel, werden aber da sein?

Zum Glück ja. Schauspielerin Ángela Molino ist die Grande Dame des spanischen Filmgeschäfts und bekommt von uns einen Ehrenpreis. Sie wird aus Madrid anreisen, das klappt. Ihr neuer Film „Lalla Aïcha" wird hier spanische Premiere feiern. Ich freue mich wahnsinnig darüber. Und auch Illustratorin und Regisseurin Marjane Satrapi, die 2008 als erste Frau mit einem Animationsfilm für den Oscar nominiert war, kann aus Paris kommen. Ihr Spielfilm „Radioactive" über das Leben der Wissenschaftlerin Marie Curie wird als Eröffnungsfilm im Teatre Principal laufen.

Zwei Frauen stehen im Vordergrund. Absichtlich?

Nein, so bin ich nicht. Es ist einfach so passiert weil sie einfach gut sind. Das finde ich auch viel besser, als eine Extra-Kategorie für Frauen einzuführen. Dadurch werden sie ja automatisch abgegrenzt.

Welcher ist diesmal Ihr persönlicher Lieblingsfilm?

Das sage ich ja eigentlich nicht. Aber der Schweizer Film „Sekuritas" von Carmen Stadler ist toll. Da geht es um eine Nachtwächterin in einem riesigen Bürokomplex und Szenen, die ihr dort widerfahren. Es geht um Liebe, um Imigration und um persönlichen Wandel.

Filme, die Sie hervorheben, haben stets soziale oder gesellschaftliche Aspekte. Darf es nicht auch einfach mal Unterhaltung sein?

Ich finde schon, dass jeder Film einen sozialen Punkt haben soll, damit die Zuschauer ein bisschen aufwachen, zum Nachdenken angeregt werden oder etwas dazulernen. Das ist unser Anspruch bei dem Festival. Und ich hoffe, die Leute warten schon darauf.

Normalerweise führen Sie ein Jetset-Leben zwischen den USA und Mallorca. Diesmal scheinen Sie gesetzter.

Ich bin auf Mallorca und bleibe es erst einmal. Bis Ende des Jahres auf jeden Fall. Mein Mann und ich fühlen uns wohl hier, meine Tochter geht derzeit hier zum Kindergarten. Wir sehen in Europa gerade mehr Lichtblicke als in den USA, und das tut uns gut.

Für immer Mallorca?

Nein, wenn, dann eher Berlin. Aber dann wäre Mallorca öfter mal am Wochenende drin.