Mit Kunstprojekten verhält es sich ein wenig wie mit dem Kuchenbacken: Das Naschen am Teig kann ebenso reizvoll sein wie die fertige Torte. Genau das konnte man am 27. November bei der Präsentation des zweiten Künstler­residenzprogramms tun, welches das Goethe-Institut Barcelona gemeinsam mit dem ­Kulturzentrum Casa Planas in Palma ermöglicht hatte. Für ein begrenztes Publikum wurde auf Mallorca eine kreative Kostprobe gewährt, Einblicke in das Zwischenergebnis künstlerischer Forschung, die seit dem 15. Oktober im Planas-Archiv stattfand.

Die drei Stipendiaten, die sich gegen mehr als 90 Bewerber behauptet hatten, sind die Mallorquinerin Laura Torres, der Deutsche Gunnar Friel und der in Sofia ­geborene und in Berlin lebende Georgi Tomov Georgiev. Beim MZ-Besuch eine Woche vor Ende der Residenz wirken die drei absolut vertraut miteinander: eine Schicksalsgemeinschaft im besten Sinne des Wortes.

„Es war super, dieses Archiv eine Zeit lang zusammen zu erleben und sich darüber kennenzulernen", sagt Friel. Der gewaltige Fundus, den der Fotograf Josep Planas i Montanyà einst zusammengetragen hatte, dokumentiert auf einzigartige Weise die Zeit des Tourismus-Booms auf Mallorca. Das Archiv sollte den drei Künstlern als Ausgangspunkt für ihre Reflexionen dienen. Ein weiteres Kriterium: Bezüge zur deutschen Kultur.

Hildegard Knef lässt grüßen

Bei Georgiev, der in Berlin „Sound Studies and Sonic Arts" studiert hat, klingt dieser Bezug nach Hildegard Knef. Er bastelt an einer fiktiven deutschen Radiosendung aus den 1970er- Jahren. Der Projekttitel „Ferienzeit" bezieht sich auf das gleichnamige Lied der Sängerin, das ihn zu der Arbeit inspirierte: „Meine Idee war, diesen Moment herauszustellen, als die Industrialisierung so bedeutend wurde, dass sie überall war - selbst in der Pop-Kultur, selbst in einem Song", so der Künstler. „Ich mochte das Lied schon immer wegen seiner ironischen und kritischen Art, um über ernste Ereignisse zu sprechen."

Als Knef die „lahme, lähmende Ferienzeit" besang, ließ sie, wie selbstverständlich, in einem Atemzug mit den Sonnenbrand-geplagten Touristen auch die Toten in Pakistan (Opfer des verheerenden Zyklons von 1970), einen Flugzeugabsturz oder Olympia anklingen. Georgiev interessiert diese Normalisierung traumatisierender Vorfälle - und die Tatsache, dass es den Menschen jener Zeit trotzdem wichtig war, in Urlaub zu fahren. Er geht der Frage nach, wie die Bewohner der Balearen über die rasante Urbanisierung ihrer Inseln dachten, und welches Echo diese folgenreiche Entwicklung in Deutschland fand.

Georgiev arbeitet unter anderem mit Tourismus-Magazinen und Postkarten aus der Casa Planas und mit Aufnahmen aus dem Deutschland-Radio-Archiv. „Er ist ziemlich schräg", sagt der Künstler über den Tonfall, der in den damaligen Radiosendungen angeschlagen wurde. Zum Beweis spielt er eine Aufnahme vor, in der zwei Sprecher in despektierlichem Duktus über faule Pauschaltouristen herziehen, die neuerdings zu sportlichen Aktivitäten animiert werden sollen. Dazu geschnitten ist Pferdegewieher und die Stimme einer Reiterurlauberin, die feststellt: „Den ganzen Tach lang am Strand liegen, des kann ich net."

Mallorquinische Kamele

Bei dem Projekt von Laura Torres ist die Verbindung zu Deutschland subtiler: Ihr Spezialgebiet ist der deutsche Filmemacher Harun ­Farocki. In der aktuellen Arbeit orientiert sie sich an seiner Methodik: „Was Farocki sehr gut beherrscht, ist das Innehalten vor den Bildern", erklärt sie. „Er schaut sie aufmerksam an und fragt sich: Warum sind sie da? Wer hat sie gemacht? Und warum auf diese Weise?" Übertragen auf die Bilder und Postkarten aus dem Planas-Archiv untersucht die Künstlerin nun, wie die Idee konstruiert wurde, was Mallorca und was Mallorquinisch ist - das Bild eines idyllischen, fiktiven, exotischen Mallorcas, das aber tatsächlich weiterhin im Kontext von Armut und einer Diktatur existierte.

Torres ist bei ihrer Recherche auf irritierende Phänomene gestoßen, wie das Kamel am Strand von Arenal als beliebtes Postkartenmotiv oder den Keramikverkäufer, der sich nur als Einheimischer verkleidet und in Wirklichkeit Töpferwaren aus der Extremadura ­feilbietet. Zentral für ihre Sammlung von Geschichten seien ihre Gespräche mit Menschen aus Mallorca: „Ich habe gemerkt: Auch wenn das Visuelle sehr wichtig ist, brauchen wir das Mündliche, um Bilder zu verstehen."

Krabbenkisten und Erinnerung

Auch dem Video- und Medienkünstler Gunnar Friel geht es bei seinem Projekt um persön­liche Erzählungen und Erinnerungen. „Das Überthema ist Mobilität und Identität", erklärt er. „Ich spreche mit Leuten, die längere Zeit in zwei verschiedenen Ländern gewesen oder zweisprachig aufgewachsen sind, speziell fokussiert auf Spanisch-Deutsch." Per Mund-zu-Mund-Propaganda fand Friel, der selbst ­lange Zeit in Barcelona gelebt hat, bislang zwölf Menschen, die er zum Video-Interview einlud - häufige Sprachwechsel inklusive.

Die Gespräche entzünden sich dabei an Bildern aus dem Archiv, die später neben der Projektion arrangiert werden. Wiederkehrende Themen sind etwa Heimat, Familie, Sehnsüchte und Wünsche, die mit Reisen und Ortswechseln zu tun haben. „Interessant ist, dass auch zwischen den Gesprächen Querverbindungen auftauchen", sagt Friel. So gebe es zum Beispiel viele Geschichten mit Orangen, wie die eines alten Mannes in Cas Concos, welcher der Tochter einer Protagonistin zum Namenstag stets die besten Früchte von seinem uralten Orangenbaum schenkte.

Und nicht nur die Kartons im Planas-Archiv bergen Schätze: Eine Künstlerin erzählte Friel von einem Projekt im Hafen, bei dem sie von den Fischern allerhand über Krabbenkisten lernte. „Da habe ich gedacht: Oh, schon wieder eine Kiste." Es tauchten sehr viele Kisten auf; Menschen befüllen sie mit Fotos oder eben mit Krabben. Doch trotz so manch verblüffender Parallele betont der Künstler: „Jeder hat seine ganz eigene Geschichte, und das ist gerade das Schöne."