Wenn Pedro Deltell den Schauspielern das Zeichen gibt, dass die Aufnahme startet, dann ist es ein wenig so wie im wahren Leben: Er weiß selbst nicht genau, welchen Lauf die Szene nehmen wird. Dabei ist er der Regisseur. Mit dem Künstlerkollektiv ESimprocine dreht Deltell Kurzfilme und Serien, die ausschließlich auf Improvisation basieren. Gedreht wird auf Mallorca- jenen zwei Orten, die Deltells Leben am stärksten geprägt haben. In seinen Filmen kann sich jeder, der Auswandern selbst erlebt hat, ein bisschen wiederfinden.

Alles hinschmeißen, die Sachen packen und zurück in die Heimat. Drei Mal war Pedro Deltell in den vergangenen 18 Jahren an diesem Punkt. Jedes Mal kehrte er nach Mallorca zurück - und zog dann letztlich doch wieder nach Berlin. Mittlerweile hat der 42-jährige Festlandspanier, der einen Großteil seiner Kindheit und Jugend - „meine prägendsten Jahre", wie er selbst sagt - in Valldemossa verbracht hat, eine deutsche Frau und drei Kinder in Berlin, und bezeichnet sich als integriert.

Trotzdem fühlt er sich in Deutschland noch immer als Ausländer - und manchmal geht ihm das gewaltig auf die Nerven. „Vor allem wegen der Sprache", sagt er. Nicht dass seine Deutschkenntnisse nach all den Jahren nicht gut seien. Doch er stoße noch immer an Grenzen. Wenn ein Brief vom Finanzamt in feinstem Behördendeutsch im Briefkasten liegt beispielsweise. Oder wenn er beim Drehen deutschsprachiger Filme das Gefühl hat, dass das Produkt besser würde, wenn er über sprachliche Feinheiten eines Muttersprachlers verfüge.

Herausforderung Auswandern

Auswandern ist eben eine Herausforderung - und auf gewisse Weise immer Improvisation. Das weiß auch Gonzalo Piñan nur allzu gut. Der 37-jährige Madrilene hatte im Jahr 2013 ganz spontan mit den Kumpels seiner damaligen Musikgruppe beschlossen, die eintönigen und schlecht bezahlten Jobs in Spanien zu schmeißen und sich in Berlin den Lebensunterhalt mit ihrem gemeinsamen Hobby, der Musik, zu verdienen. „Die Band löste sich schnell auf, aber ich bin immer noch in Berlin", berichtet Piñan.

Er gründete die spanischsprachige Improvisations-Schauspielschule ESIMPRO Escuela. Dort lernte er 2016 bei einem Filmworkshop Pedro Deltell kennen, der froh war, in Berlin in seiner Muttersprache künstlerisch tätig werden zu können. Schnell kam den beiden die Idee, gemeinsam ein langfristiges Projekt anzugehen. Es war der Anfang von ESimprocine, dem sich kurz darauf auch Schauspielerin Paula Galimberti anschloss.

Wer bei Youtube den Namen des Künstlerkollektivs eingibt, stößt auf zwei Serien, die die Spanier in den vergangenen Jahren produziert haben. Die eine heißt „Berlineses" und wurde in Berlin gedreht. In mehreren Kapiteln voneinander unabhängiger Kurzfilme bekommt der Zuschauer Einblicke in das Leben junger Spanier, die in der Millionenstadt auf der Suche nach Heimat sind. Startschwierigkeiten, Heimweh, das Gefühl der Fremde, aber auch zarte Bande zu dieser neuen Welt sind Schwerpunkt der ersten Staffel, die mit englischen und deutschen Untertiteln zur Verfügung steht.

Auffällig: Es sind vor allem die Dialoge, die im Vordergrund stehen. Sie sind lang, sie sind lebendig und sie reißen mit - vermutlich gerade weil die Schauspieler sich nicht an vorgefertigte Skripts halten, sondern komplett frei improvisieren.

Neue Serie: Aislados

„Das Einzige, was wir vorgeben, sind die Charaktere und die Vorgeschichte sowie die Situation, in der sich die Darsteller befinden", so Regisseur Pedro Deltell. Je durchdachter und ausgearbeiteter diese Angaben sind, umso

einfacher sei es für die Schauspieler, vor der Kamera aus dem Stegreif tiefgründige und unterhaltsame Gespräche zustande zu bringen.

„Es ist eine besondere Herausforderung, die Zuschauer mit den eigenen Worten in den Bann zu ziehen und spontan auf den Partner zu reagieren, ohne genau zu wissen, wohin das Gespräch führt. Aber es macht Spaß und verleiht den Filmen eine spontane Frische", sagt Paula Galimberti. Sie pendelt selbst seit vier Jahren als Schauspielerin und Schauspiel-Coach zwischen Madrid und Berlin und ist genau wie Gonzalo Piñan in mehreren Episoden auch selbst vor der Kamera zu sehen.

Im Sommer 2018 starteten die Auswanderer dann ein neues Projekt in Pedro Deltells Heimat: In Valldemossa, wo bis heute seine Eltern wohnen, drehten sie an nur einem halben Tag den Kurzfilm „Las cenizas" (die Asche) für die neue Serie „Aislados". Vor der Kamera sind Schauspieler des Improvisations-Ensembles TrampaTeatre aus Palma zu sehen. Es ist ein etwas makabrer, aber durchaus unterhaltsamer 18-Minüter. Im Vordergrund stehen zwei Brüder, die darüber in Streit geraten, wo sie die Asche ihrer Adoptiveltern - einem reichen deutschen Auswandererpaar - auf Mallorca verstreuen sollen.

Nach zwei Mal im Kasten

Die Drehorte für die Szenen suchte Deltell aus, über die Wendungen in der Handlung bestimmten - mal wieder - spontan die Schauspieler. „Der Dreh an sich geht wirklich schnell, normalerweise filmen wir eine Szene nur etwa zwei Mal", so Deltell. Natürlich müsse das Kamera-Team entsprechend spontan reagieren. „Das ist nicht leicht, gleichzeitig haben wir aber viel mehr Freiheiten als beim herkömmlichen Kino." Die Montage des Videomaterials zu einem kurzatmigen Endprodukt dauere dagegen umso länger.

Drei weitere Kapitel von „Aislados" sind ebenfalls auf Youtube zu sehen. Sie alle handeln von Themen, die den Zeitgeist der mallorquinischen Gesellschaft treffen: Ferienvermietung, Auswirkungen des Massentourismus, Beziehungskrisen in Zeiten sozialer Medien. Mit „Las cenizas" besuchten die Macher von ESimprocine bereits mehrere internationale Filmfestivals. „Wir wollen uns mit ,Aislados' weiter professionalisieren", so Gonzalo

Piñan. Eine Zusammenarbeit mit dem balearischen Regionalfernsehsender IB3, auf die das Künstlerkollektiv ursprünglich hingearbeitet hatte, kommt zwar mittelfristig nicht zustande. „Aber vielleicht finden wir alternative Finanzierungsmöglichkeiten, um das Projekt weiter zu verbessern", so Piñan.

Bis dahin wollen die drei Spanier ihre Serien in Berlin und auf Mallorca weiter in ihrer Freizeit auf Low-Budget-Niveau produzieren. „Für mich ist es toll, Teil dieses Projekts zu sein. Es gibt mir das Gefühl, dass ich Berlin etwas

zurückgeben kann", sagt Gonzalo Piñan. In einschlägigen digitalen Gruppen spanischsprachiger Auswanderer in Berlin, aber auch in anderen Städten Europas, weisen die Filmemacher regelmäßig auf die neuen Kapitel ihrer Serien hin. „Schauspieler haben erzählt, dass sie im Urlaub auf der Straße erkannt worden sind. Das sind dann kleine Erfolge, auf die wir stolz sind", so Pedro Deltell.