Dass William Graves so ganz anders tickt als sein Vater Robert von Ranke Graves (1895-1985), wird schon in einem halbstündigen Telefonat mit dem 81-Jährigen deutlich. Er der Naturwissenschaftler, Geologe, nüchtern und sachlich. Auf der anderen Seite sein Vater, Dichter, Schriftsteller, Lebemann, ausschweifend und exzentrisch.

„Ich finde, man darf diesen Teil meines Vaters nicht verschweigen", sagt Graves der MZ. Zum Beispiel, dass er sich mit seiner Muse Laura Riding von London über Frankreich nach Mallorca absetzte und seine Frau Nancy samt der vier Kinder in England zurückließ. Oder, dass er gern und häufig die Bars der englischen Hauptstadt frequentierte und dort nicht nur Wasser zu sich nahm.

All diese Vergangenheit und natürlich vor allem das reiche literarische Erbe, das Robert von Ranke Graves der Nachwelt hinterlassen hat, verwaltet sein Sohn William im ehemaligen Wohnhaus der Familie etwas außerhalb von Deià an der Straße Richtung Sóller. Ca'n Alluny (Haus weit außerhalb) wurde das große Anwesen genannt, das sich Graves und Riding Anfang der 30er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts errichteten.

Ehrung der britischen Königin Elizabeth II.

Für diese Hingabe, das Erbe seines Vaters zu verwalten und in dem im Graves-Haus eingerichteten Museum der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, wurde William Graves zum Jahreswechsel mit einer Ehrung der britischen Königin Elizabeth II. bedacht. Sie ernannte Graves zum Mitglied des Britischen ­Königreiches. Die Auszeichnung heißt auf Englisch MBE, was für Member of the British Empire steht, und wird Jahr für Jahr an zahlreiche verdiente Briten vergeben, unter anderem drei weitere in Spanien. Daneben gibt es noch zwei höherwertige Auszeichnungen, die sogenannten CBE und OBE.

William Graves, bescheiden wie es ein guter Engländer nun mal ist, sprach von einer „unerwarteten und unverdienten" Auszeichnung, die ihn aber in höchstem Maße ehre. Zur Begründung für die Ehrung hieß es, Graves habe sich um die „Verbreitung der englischen Kultur und Literatur in Spanien" verdient gemacht.

6.000 Besucher zählt sein Museum jedes Jahr

Und das macht er mit seinen 81 Jahren noch immer mit viel Enthusiasmus. Etwa 6.000 Besucher zähle sein Museum jedes Jahr, berichtet Graves. Besonders viel Freude machten ihm Schulklassen und einheimische Besucher, die sich für das Leben und Werk seines Vaters interessierten. Deshalb werde das ­Museum, in dem es eine große Zahl an Manuskripten, Büchern und Briefen von Robert von ­Ranke Graves zu entdecken gibt, auch immer wieder verändert und verbessert. So habe er erst kürzlich ein neues Bewässerungssystem für den Garten angelegt, demnächst wolle er ein kleines Theater, das auf dem Grundstück in Ruinen liege, restaurieren.

Das Museum richtete Graves in Ca'n Alluny ein, nachdem die Balearen-Regierung im Jahr 2006 das Haus gekauft hatte und in die vom Govern ins Leben gerufene Fundación Robert Graves übergehen ließ. William Graves ist verantwortliches Gründungsmitglied der Stiftung und treibt die Arbeit ehrenamtlich voran. In Deià leben will er deshalb aber nicht. „Das wäre mir viel zu gefährlich. Da würde ich ja ständig auf meinen Vater angesprochen", sagt er lachend. Er habe sich mit seiner Frau im anonymeren Palma niedergelassen, fahre aber regelmäßig ins Bergdorf, um nach dem Rechten zu sehen.

Briefe transkribieren für die Forschung

Ein weiteres Projekt verfolgt William Graves zurzeit mit großer Hingabe. Er hat sich zum Ziel gesetzt, möglichst viele Briefe, die sein Vater im Lauf seines Lebens geschrieben hat, zusammenzustellen, zu transkribieren und der Forschung zur Verfügung zu stellen. Auch mit dem Ziel, dass sich vielleicht eines Tages doch noch ein Autor findet, der eine ­Biografie verfasst, die dieser Bezeichnung ­würdig ist. „Bisher hat niemand auch nur eine annähernd akzeptable Biografie meines Vaters geschrieben", bedauert Graves.

Das Aufspüren der Briefe ist eine mühsame Aufgabe, allerdings verfügt Graves bereits über eine detaillierte Datenbank, auf der zahlreiche Korrespondenzen seines Vaters hinterlegt sind. Dabei sind viele Briefwechsel mit berühmten Persönlichkeiten seiner Zeit dabei, vor allem mit Frauen, wie etwa den Schauspielerinnen Ava Gardner oder Ingrid ­Bergman. „Ich schätze, dass rund 9.000 Briefe von ihm heute noch erhalten sind", sagt Graves der MZ. Man müsse sie nur finden.

Private Einblicke

Die meisten von ihnen befänden sich heute im Besitz von Universitäten, aber hin und wieder finde er Schätze dank eines befreundeten Archivars auch auf Online-Plattformen, wie etwa eBay. „Ich kann die natürlich nicht alle kaufen, das wäre ja viel zu teuer. Aber ich mache von dem Brief mehrere Screenshots. Dann kann ich den Inhalt ja lesen, und das reicht mir", erklärt Graves.

Aber sind denn die Briefe etwa mit befreundeten Frauen nicht zu privat, um an die Öffentlichkeit zu gelangen? Hier hat William Graves eine klare Antwort: „Nach so langer Zeit doch nicht mehr. Außerdem ist es nicht meine Aufgabe, meinen Vater zu interpretieren oder zu zensieren. Ich möchte, dass die ­Öffentlichkeit Zugang zu allem hat, was mein Vater geschrieben hat."