„Es war einmal ein Kind, das gerne malte. Es malte so gerne, dass es das überall und zu jeder Zeit tat, und das brachte ihm Probleme mit der Schule ein. Es bemalte sein Schreibpult, die Wände und sogar die Bücher - und immer wurde es damit bestraft, dass es sich in die Ecke stellen musste, um über sein Verhalten nachzudenken." Dieses Kind war der heute 47-jährige Künstler José Luis Mesas Sánchez. Er wurde als eines von sieben Geschwistern einer aus Andalusien nach Mallorca emigrierten Familie von gitanos, wie die Roma in Spanien genannt werden, in Palma geboren. Die Passage stammt aus dem Kinderbuch „Mi mundo" („Meine Welt"), das er zusammen mit der Autorin Patricia Chinchilla gestaltet hat, und das erzählt, wie Mesas einst zur Kunst fand.

Für den damals Siebenjährigen, der wie drei seiner Geschwister in ein Kinderheim gegeben wurde, nahm die Geschichte eine positive Wendung: Eine neue Kunstlehrerin entdeckte sein großes Talent, förderte ihn und brachte ihn dazu, in ein Skizzenbuch zu malen, anstatt seine Umgebung zu verschönern. Sein Stil entwickelte sich im Lauf der Jahre von Pop-Art und Surrealismus hin zu einer eigenen, farbenfrohen künstlerischen Sprache, die er „Mesismo" nennt. Seine Markenzeichen: Marienkäfer, Fische und Libellen. Heute ist Mesas ein international tätiger Künstler, der laut eigener Aussage in 29 Museen vertreten ist. Doch die Ironie des Schicksals will, dass er nach all den Jahren wieder Ärger bekommt, weil er eine Wand bemalt hat: die Fassade des Hotels Armadams in Palma de Mallorca.

Debatte um die Fassade hält an

Nach nur wenigen Wochen hatte das Rathaus die halb fertigen Arbeiten im Mai 2020 wegen fehlender Genehmigung zum Erliegen gebracht. Die Zukunft des Kunstwerks ist noch immer ungewiss: Die Altstadt-Kommission lehnte das Werk auf einem Gebäude des bekannten Architekten Guillem Forteza Anfang Februar 2021 ab, wobei es sich um eine nicht bindende Einschätzung handelte. Die Politiker sind sich uneinig, Kulturstadtrat Antoni Noguera etwa stimmte für die Fassade, seine Partei-Kollegin Neus Truyol dagegen. Mesas selbst vermutet unter anderem Diskriminierung wegen seiner ethnischen Herkunft als Motiv für die Ablehnung: „Ich habe keinen mallorquinischen Nachnamen, das steckt dahinter", sagt er im MZ-Gespräch.

Ob das Wandgemälde übermalt werden muss, entscheidet das Baudezernat. Beim Besuch am 9. März sagt Hotelbesitzer Jaime España: „Ich denke, sie haben die Nichtgenehmigung inzwischen durchgesetzt, aber wir haben noch keine Benachrichtigung erhalten." Komme, was wolle, er möchte auf jeden Fall weiterhin juristisch für das Projekt kämpfen und wird nicht müde zu betonen: Es gebe keine Regelung und kein Gesetz, die verbieten würden, dass die Fassade eines Gebäude außerhalb des historischen Zentrums oder einer besonders geschützten Zone bemalt wird.

Dass das Rathaus von Palma nun ein Sanktionsverfahren für Fälle wie das Hotel Armadams „aktiviert" hat, das bis jetzt noch nie angewendet wurde, dürfte den Druck auf den Hotelbesitzer noch weiter erhöhen und den Rechtsstreit erschweren: Demnach können bei städtebaulichen Vergehen für einen Zeitraum bis zu einem Jahr monatliche Zwangsstrafen verhängt werden, bis die Auflagen erfüllt sind. In diesem Fall also: solange, bis die Wand überstrichen ist.

Auch im Werk steckt nicht nur Fröhlichkeit

Wenn José Luis Mesas auf einer Terrasse des Hotels an der Wand entlanggeht und über sein Werk spricht, dann ist sein Strahlen zwar keine Fassade, sondern echt: „Ich liebe Farbe! Es gibt Maler, die sagen, dass sie bei mir gewagt ist, aber es kommt einfach so heraus", sagt er, selbst von der Tasche bis zu den Schuhen überall mit Farbklecksen bedeckt. Doch die Momente der Freude sind dieser Tage selten: Dem Künstler geht es nicht gut. Er sagt, er habe Depressionen, verlasse tagelang nicht das Haus. Die Debatte um die Fassade hinterlässt bei dem so entwaffnend herzlichen Mesas Spuren im Inneren, und die sind nicht bunt.

Auch in seinem Werk steckt nicht nur Fröhlichkeit: „In meinem Leben ist vieles passiert, und alles spiegelt sich in meiner Kunst", sagt Mesas. Die überall präsenten Kreisformen symbolisierten etwa das Coronavirus. Der Delfin stehe für seine Ex-Freundin. Ein Pferd repräsentiert Mesas' Mutter: „Bevor sie starb, sagte sie, sie würde als Pferd wiedergeboren werden", erklärt er. An einer Stelle ist die Familiengeschichte von Jaime España zu sehen: Eines seiner Kinder starb mit 22. Mesas verlieh ihm Engelsflügel, die übrigen Familienmitglieder sind in einer umarmenden Geste vereint. Die Trauer findet ihren Platz in Gestalt einer Figur, die mit aufgedrehten Wasserhähnen weint.

Ein Porträt für den Papst

Das Kind bekommt auch eine Christusfigur zur Seite gestellt. Eine von vielen in Mesas' Karriere: Mit „El Cristo de los Gitanos y los cuatro elementos" (Der Christus der Sinti und Roma und der vier Elemente) im Museum Mayte Spínola in Jaén schuf er ein Werk, dass das größte Gemälde Spaniens sein soll. Es erregte die Aufmerksamkeit des Papstes, der daraufhin eine Replik wünschte. 2019 überreichte Mesas dem Oberhaupt der katholischen Kirche das Bild sowie ein Porträt, und erinnert sich immer noch gern an die Begegnung: „Es hat den Papst überrascht, dass ich ihm zwei Fischchen in die Augen gemalt habe, aber er fand es wunderbar", sagt der Künstler.

Er selbst sei nun kurz davor, Atheist zu werden, wie er halb ernst bemerkt: „Nach dem, was jetzt mit der Fassade passiert ist, verliere ich langsam den Glauben." Das eingangs zitierte Kinderbuch ist speziell für den Verkauf im Armadams entstanden: als „Mesas zum Mitnehmen". Sollte Jaime España den Kampf doch noch gewinnen, möchte er das Hotel mit dem vollendeten Wandgemälde im Juni eröffnen. Das wäre wohl ein weiterer Sieg für die Farbe.