Wer in diesem Moment in die Schusslinie des Blicks von Tomàs Barceló Castelà geriete, würde sich nicht wundern, einen Laserstrahl abzubekommen. „Ich wirke verärgert, aber das bin ich überhaupt nicht!", sagt der 45-jährige Künstler kurz darauf mit leicht kratziger Stimme, die gut zum wild wuchernden Bart passt, und lacht sein sympathisches Lachen, in dem stets ein Hauch von Unsicherheit mitzuschwingen scheint.

Der starre Blick ist lediglich Ausdruck höchster Konzentration, wenn Barceló völlig in seiner Arbeit versinkt: die Brust eines Knaben aus Ton mit dem Spatel modelliert, ihm vorsichtig über die Stirn streicht oder die Masse mit Wasser besprüht.

In seinem kleinen Atelier neben der Garage des Elternhauses mit Panoramablick hoch über Cala Millor auf Mallorca arbeitet er immer an mehreren Werken gleichzeitig. Die Ton-Modelle sind die Vorlagen für Kopien aus Gips, die er anschließend mit Farbe und zum Teil mit zusätzlichen Elementen wie Spielzeugteilen anreichert. Das Resultat ist ein Reigen aus skurrilen Skulpturen: Wenn die Bewohner von Atlantis Besuch von Cyborgs aus der Zukunft bekommen und diese porträtiert hätten, wenn die alten Griechen mit Aliens auf einem anderen Planeten eine neue Mythologie kreiert hätten oder wenn es eine versunkene Zivilisation von Gothic-Fans geben würde, die runzelige alte Roboter-Frauen als Gottheiten verehrten - dann sähen die Zeugnisse davon wohl exakt so aus wie Barcelós Schöpfungen.

Der Weg führte erst in eine kreative Sackgasse

Zeugnisse seiner eigenen Vergangenheit sprechen jedoch davon, dass das nicht immer so war: Im Nebenraum befindet sich eine Art Friedhof von unspektakulären, ganz klassischen Skulpturen, die brav in einer Reihe stehen und die Hände in den Schoß legen. „Die haben nie irgendjemanden interessiert. Selbst wenn ich Freunden eine Skulptur schenken wollte, haben die gesagt: ,Nein danke'", erzählt der Künstler.

Doch auch in diese kreative Sackgasse war er nicht auf direktem Weg gelangt. Als Kind musste sich Barceló aufgrund der abgeschiedenen Wohnlage oft allein beschäftigen. Er war fasziniert von Filmen aller Art, liebte „Die unendliche Geschichte", baute „Indiana Jones"-Tempel und ganze Filmsets im Kleinformat. „Alles war Fantasie", sagt Barceló über diese Zeit. Sein großer Traum war eine Karriere als Filmregisseur. Als er in Barcelona Bildende Kunst studierte und sich mit 21 zwischen Bild und Ton sowie Skulptur entscheiden musste, wurde ihm bewusst, dass er eigentlich schon immer ein Bastler und Erbauer gewesen war. Die Skulptur gewann. „Vielleicht ist es nicht das, was ich mir am meisten erträumt habe, aber es ist das, was ich bin", so der Künstler.

Zwischen Film und Bildhauerei

Die folgenden 20 Jahre arbeitete Barceló als Zeichenlehrer und Bildhauer. In all der Zeit habe er sich so stark auf die Form konzentriert, dass er darüber den Inhalt vergaß. „Griechische Göttinnen interessieren mich aber überhaupt nicht, sie haben nichts mit meinem Leben zu tun", sagt Barceló. Erst mit 40 Jahren kam der Geistesblitz: Warum nicht die Leidenschaft für die klassische Formensprache mit Themen verbinden, die ihn schon als Kind begeisterten?

Fast zeitgleich mit dem neuen Twist bei seinen Skulpturen gelang ihm auch der Sprung in die Filmwelt, die heute sein zweites Standbein ist. Als Filmbildhauer sowie Concept Artist für Science-Fiction- und Fantasy-Produktionen gab er sein Debüt beim chinesischen Film „Asura" (laut Barceló ein Riesen-Flop), und wirkte schließlich bei internationalen Blockbustern wie „Maleficent 2" oder der Neuverfilmung von „Dune" mit.

Die Kunden: Tätowierer und Steampunk-Fans

Wenn er gerade keine Gürtelschnallen und Rüstungsteile für Krieger auf der Kinoleinwand entwirft, arbeitet er an seinen Skulpturen, die online auf Facebook, Instagram und Pinterest präsentiert sind. Er verkauft sie über die Plattform Etsy im Shop „LaMathomeria" für Preise zwischen drei Euro (kleiner Käfer) und 650 Euro (aufwendige Skulptur). Barceló kreiert meist Serien, wobei jede Gipskopie anders gestaltet ist. „Man sagt, ich sei sehr gut darin, Materialien zu imitieren", bemerkt der Künstler bescheiden. Die federleichten Werke sehen aus, als seien sie aus Marmor, Holz oder Metall. Manche sind filigran und detailreich bemalt, andere puristischer.

Dass sie es eher selten in die Welt der Galerien schaffen, wie kürzlich in Barcelona mit der Ausstellung „Anachronic Deities" bei der Galerie Ex Machina, stört ihn überhaupt nicht: „Ich habe da noch nie gut reingepasst", sagt er. „Das Desinteresse beruht aber auf Gegenseitigkeit."

Sein Problem mit zeitgenössischer Kunst liege darin, dass interessante Avantgarde-Kunst nur einer kleinen Gruppe vorbehalten sei. Populäre Kunst habe dagegen heute ein so schlechtes Image, dass sich folglich kaum noch jemand Kunst ins Haus hole. Das bedauert Barceló sehr. „Ich liebe es, wenn mir jemand sagt: Das ist das allererste Mal, dass ich ein Kunstwerk kaufe", sagt er. „Meine internationalen Kunden sind normalerweise keine Kunstsammler, sondern kommen aus anderen Welten: Das sind Tätowierer oder Steampunk-Leute." Letztere hätten ihn gewissermaßen als einen der ihren adoptiert: Zuvor hatte er von Steampunk, einer kulturellen Strömung, die man als „Retro-Futurismus" bezeichnen könnte, noch nichts gewusst, aber letztlich vertritt er genau dieselbe Vision wie sie.

Auf Mallorca mangelt es an Fantasie

Der Fantasiereichtum der Steampunk-Anhänger, die zwar Vergangenheit und Zukunft zu einer ästhetischen Einheit verschmelzen, dabei aber nichts Dagewesenes imitieren, sondern neue Geschichten und Charaktere kreieren wollen, findet auf Mallorca nicht unbedingt den fruchtbarsten Boden. „Die gängigste Reaktion eines Mallorquiners auf mein Werk ist: ai, quina por (Was für eine Angst)", erzählt der Bildhauer. „Wenn sie einen meiner Roboter sehen, sagen sie: Què és, el dimoni gros (Was ist das, der große Teufel)?"

Die Menschen auf der Insel hätten, abgesehen von den dimonis, keine reiche Vorstellungswelt, aus der sie schöpfen könnten. Sie suchten daher immer nach Anhaltspunkten, an denen sie sich festhalten können, um ein Werk zu interpretieren. Barceló spricht aber eher amüsiert als frustriert über diese Beobachtung.

Und auch wenn er hier mitunter als Sonderling gilt, weiß er, was er an seiner Heimat hat: „Man lebt hier sehr gut. Es ist zwar eine kulturelle Wüste, aber gleichzeitig ein Paradies. Und den verwüsteten Teil kann man schließlich durch das Internet oder durch Reisen ersetzen." Dass ihm seine Filmprojekte die Möglichkeit geben, immer mal wieder für ein paar Monate im Ausland zu leben und zu arbeiten, macht es ihm leichter, die Basis auf Mallorca beizubehalten. Und seine Werke reisen vom Atelier aus ohnehin zu Käufern aus aller Welt.

Die Superkraft einer Skulptur

Bei seinen Objekten strebt Barceló nicht nach maximalem Realismus. Das hat mit einer Art Superkraft zu tun, über die Skulpturen grundsätzlich verfügten. „Sie lügen nicht. Zeichnung und Malerei tun das in gewissem Sinne, weil sie Fenster zu einer anderen Welt sind. Die Skulptur ist dagegen ein reales Objekt, und ihre Präsenz ist sehr viel stärker und mächtiger als eine Repräsentation", sagt der Künstler. Eine Skulptur schaut zurück, ein Bild tut das nicht.

Um den Effekt, mit einem Objekt um Zeit um Raum konkurrieren zu müssen, etwas abzumildern, würden sich viele Bildhauer für geschlossene Augen der Skulpturen entscheiden. Barceló versucht hingegen mit einer anderen Strategie zu erreichen, dass sich der Betrachter nicht so unwohl fühlt: Er fertigt seine Werke in relativ kleinen Größen an und entmenschlicht sie bis zu einem gewissen Grad. „Wenn ich die Haut türkis oder grün mache, löst man sich geistig vom Dargestellten und tritt in eine Beziehung zum Objekt selbst. Mir geht es um diese sinnliche, primitive Erfahrung", erklärt er.

Auf die Frage, wie er bei all seiner Begeisterung für antike Formen und futuristische Visionen eigentlich zur wirklichen Welt der Gegenwart steht, wird Barceló kurz still. Und antwortet dann mit einem Tolkien-Zitat. „Er sagte sinngemäß: Der Eskapismus ist eine Art Flucht, aber nicht vor den Verpflichtungen der Realität. Sondern aus dem Wunsch heraus, ein wenig Luft zu holen."