Wenn sich jemand mit Verteidigungsanlagen auskennen sollte, dann wohl das Es Baluard - schließlich war das Museum einst selbst Teil der alten Befestigung der Stadtmauer von ­Palma de Mallorca. So wird in der aktuellen Ausstellung „Memoria de la defensa: arquitecturas físicas y mentales" (bis 26.9.) auch die Vergangenheit des Gebäudes reflektiert. Vor allem untersucht die Schau im Untergeschoss jedoch in drei thematischen Bereichen, wozu wir Menschen unterschiedliche Arten von Barrieren schaffen, Grenzen ziehen und Mauern errichten. Vor wem oder was wollen wir uns damit schützen?

Der erste Blickfang im Raum ist die Installation „All that I lost" (2019) des marokkanischen Künstlers Mounir Fatmi. Sie besteht aus einem Stück gewickelten Stacheldrahts, von dem sich Teile gelöst haben und am Boden verstreut liegen. Metallische Kalligrafie-Elemente haben sich darin verfangen wie verletzte Zugvögel. Der Anblick schmerzt und ruft ins Gedächtnis, dass der Preis dafür, eine Grenze zu überschreiten, manchmal sehr hoch ist.

Mauern, Bunker und Gefängnisse

Im linken Teil des Raums wirft dagegen die Reproduktion eines Freskos aus dem 13. Jahrhundert, das die Eroberung von Mallorca zeigt, die Frage auf, aus welcher Perspektive man Geschichte erzählt: Wer wird als „anders" de­finiert, und wie setzt sich die Angst vor dem ­„Anderen" bis in die Gegenwart fort? Zwischen historischen Exponaten wie Karten der Insel und Fotografien aus dem balearischen Militär-Archiv setzt ein zeitgenössisches Werk des Künstlers Jorge García den passenden Akzent: Für seine „Arquitectura de defensa I, II y III" goss er die Grundrisse mittelalterlicher Bastionen in dreidimensionale Skulpturen.

Ein zweiter Teil der Ausstellung beschäftigt sich mit der Mauer und den Parallelen zwischen alten Festungen sowie aktuellen Bunkern und Gefängnissen, mit Werken wie „Six prisons" (2009) von Peter Halley, Gefängniszellen in ­grellen Neonfarben. Auch im dritten ­Bereich, der mehrere Installationen und Videokunstwerke versammelt, ist das Thema präsent: etwa bei „Las 7 puertas" (2011) von ­Patricia Gómez und María Jesus González, die ein eindrucks­volles Zeugnis der ehemaligen Bewohner eines Gefängnisses schufen, ein ­Abbild der hinter ­Gittern verbrachten Zeit.

Aktuelle Fotografien aus New York

Die fünf Video­arbeiten widmen sich unter ­anderem der Zerstörung, die im Namen der Verteidigung ­geschieht, und führen zu verschiedenenen Orten, die unlängst Schauplätze bewaffneter Konflikte waren, wie dem Mittleren Osten und dem ­Kosovo. Einen Sprung zum brandaktuellen ­Geschehen schafft das Projekt ­„Closed/Locked" (2020) von Antoni Muntadas. Es zeigt ein ­Ensemble von Fotografien aus New York, die einerseits die vertrauten Pandemie-Schilder à la ­„Sorry, we're closed" abbilden, ­andererseits die mit Holzplatten vernagelten Läden zum Schutz vor Schäden im Zuge der Black-Lives-Matter-Proteste - ein subtiler Verweis auf die Angst vor kritischen Ideen.

Das Es Baluard selbst fordert als kritischer Raum zum Nachdenken darüber auf, wie physische und mentale Blockaden uns daran hindern, als Gemeinschaft zusammenzuwachsen. In dieses Verständnis fügt sich hervorragend eine weitere Ausstellung ein, die seit Kurzem (und auch bis 26.9.) im Erdgeschoss zu sehen ist: „La utopía paralela. Ciudades soñadas en Cuba (1980-1993)".

Architektenträume aus Kuba

Die von Iván de la Nuez und dem Atelier Morales kuratierte Schau präsentiert uns ein Kuba, das es so nie gegeben hat. Zeichnungen, Collagen, kleine Modelle und 3-D-Animationen zeugen von den Visionen einer zur Zeit der Kubanischen Revolution geborenen Generation von untereinander gut vernetzten Architekten, Künstlern und Aktivisten. Sie arbeiteten zum Teil zwar als Architekten für den Staat, doch dieser gab ihnen die Richtung vor. In ihrer Freizeit suchten sie sich ein Ventil für ihre Kreativität und arbeiteten an städtebaulichen Projekten, die Havanna für eine utopische Architektur öffneten - die aber niemals realisiert wurden. Denn der Staat unterstützte den Luxus solch experimenteller Bauvorhaben nicht, und private Initiativen waren im sozialistischen Kuba tabu.

Kurioserweise sind es Utopien innerhalb der größeren Utopie der Kubanischen Revolution, und sie konnten laut dem Kurator vielleicht nur in ­einem sozialistischen Staat in dieser Form ­erblühen: Die Architekten waren keine Einzelkämpfer, sondern arbeiteten immer im Kollektiv. Sie verstanden die Neugestaltung ihrer Stadt als gemeinschaftliche Aufgabe, die auch von den Bewohnern ausgehen sollte.

Grenzenlose Fantasie und Detailverliebtheit

Um die Ausstellung in all ihrer Komplexität zu erfassen, braucht es ein gutes Grund­wissen über Architektur und kubanische ­Geschichte sowie Zeit für die Lektüre der Erklärungstexte. In jedem Fall lässt sich jedoch die grenzenlose Fantasie und Detailverliebtheit der Entwürfe bewundern: Da wird die Skyline der Stadt neu erfunden, ungeliebte Gebäude wandern in ein Kellergeschoss, stattdessen kommt ein Eiffelturm nach Havanna. Oder die legendäre Uferstraße Malecón streckt ihre Fühler aus und wird um Spazierwege mit ­Wellenbrechern bereichert, die weit ins Meer hineinragen.

Auch vermeintlich unscheinbarere Skizzen haben es in sich: So greift ein Projekt die sowjetische Wohnblock-Architektur auf und „tropisiert" sie mit Terrassen, hohen Dächern und groß­zügigen Innenhöfen. Im Gegensatz zu solch „vernünftigen" Entwürfen stehen Ideen wie eine schwebende Stadt, die Verkörperung der maximalen Utopie. Zumindest im Geist leidenschaftlicher Architekten gibt es keine Grenzen.