Durch diesen Holzreifen springt kein Tiger: Der Zirkuskünstler Mantega (34) bändigt darin stattdessen ein Glas mit einer geheimnisvollen Flüssigkeit. Wie durch Zauberhand bleibt es an seinem Platz im Ring, wenn ihn der Artist schwungvoll um seinen Körper wirbeln und hoch in der Luft kreisen lässt. Dann hüpft der Behälter mit dem Elixier vom Ring auf die Stirn, grüne Tropfen fließen in den roten Bart.

Die Vorführung ist ein Vorgeschmack auf sein Programm „Wonder Drink", die am Samstag (8.5.) beim Zirkusfestival Circaire auf Mallorca zu sehen ist - eine multidisziplinäre Show, die humorvoll beginnt, dann mit präziser Technik überrascht und so erdacht ist, dass sie weltweit funktioniert. Denn ihre Geschichte bedient eine universelle Fantasie: Da ist eine Figur, die uns einen Wundertrunk verkaufen will, der schlauer und stärker macht und all unsere Probleme zu lösen vermag. „In meiner Kindheit habe ich viele Leute beobachtet, die solche ­magischen Mittel verkauften und das ernst meinten", erzählt der Künstler, der abseits der Bühne fast ein wenig schüchtern wirkt.

Alternativer Lebensentwurf

Mantega heißt mit bürgerlichem Namen Martin Isernhagen und wurde in Brasilien geboren. Die Familie mütterlicherseits hat deutsche Wurzeln. Sein Künstlername stammt noch aus präkünstlerischen Zeiten, denn als Sechsjährigen rief man ihn „Butter-Haar". Die Passion für den Zirkus entdeckte er mit 15 Jahren, als ein Schulfreund („Picapau") und er ­begannen, an roten Ampeln mit Holzstäben zu jonglieren. „Für mich war das eine große ­Befreiung. Denn wir hatten schon ziemlich verinnerlicht, dass wir eine Arbeit finden müssten, die wir hassen und der wir viele Stunden unseres Lebens opfern würden", sagt der Künstler. „Und aus dem Nichts haben wir es geschafft, unser eigenes Geld zu verdienen, als wir fast noch Kinder waren - indem wir auf die Straße gingen und Spaß hatten."

Der alternative Lebensentwurf nahm immer mehr Gestalt an: Mantega erlernte neue Jongliertechniken, trat solo und im Duo mit seinem alten Freund auf, reiste viel. „Die Welt ist groß, aber im Geist ähneln wir Menschen uns alle sehr", sagt er. Und der Zirkus bringe das besonders zum Vorschein: „Du kommst an irgendeinen Ort und bringst die Menschen dort zum Lachen. Das schafft sofort eine Verbindung. Spektakel haben etwas Schamanisches." 2007 trieb ihn seine Neugier auf die Welt für eine Zeit lang nach Mallorca, wo er in Hotels und auf der Straße auftrat. Von 2010 bis 2012 lebte Mantega in Deutschland, kämpfte gegen die geballte Künstler-Konkurrenz in Berlin an, bespielte viele Festivals in kleineren Städten und räumte einige Preise ab.

Die Familie kommt immer mit

Seit 2013 hat er einen ungleich exotischeren Wohnort: Kap Verde in Afrika, ein Paradies für den leidenschaftlichen Surfer ­Mantega. Die Inselgruppe sei ein bisschen wie Brasilien in den 60er-, 70er-Jahren und noch nicht Opfer des „Früher war alles besser"-Phänomens geworden. Und dank ihres internationalen Flughafens tatsächlich ein strategisch ­cleverer Standort zwischen Lateinamerika und Europa. Seine Familie nimmt Mantega praktischerweise überallhin mit: „Wir machen eine Art Pingpong durch die Welt", sagt er und lacht. Derzeit leben seine Mutter, sein Bruder, seine deutsche Freundin, sein Kompagnon ­sowie dessen Frau und Kinder mit ihm in Afrika. Denn ­Familie bedeutet für ihn nicht nur Blutsverwandtschaft, sondern auch die Zirkusfamilie. Dazu gehört auch der mallorquinische ­Jongleur und Kreisel-Virtuose Guillem ­Vizcaíno, bei dem er sich aktuell einquartiert hat.

Die Zeit auf Mallorca nutzt er, um alte Bande wieder zu festigen: Seit zwei Jahren veranstaltet er in Kap Verde das Zirkusfestival „Sal y Circo" und will den Austausch mit Künstlern, die bei Circaire auftreten, intensivieren. ­Mantega ist selbst zum ersten Mal bei dem Festival auf Mallorca zu Gast. Und es wird auch das erste Mal sein, dass er „Wonder Drink" unter Corona-Bedingungen aufführen wird. Die auf Interaktion mit dem Publikum ausgelegte Show muss er ­allerdings noch an die neue Normalität an­passen: Das Brainstorming hat er bislang vertagt, weil er einfach nicht fassen konnte, dass hier wieder Zirkusspektakel möglich sind und ­Circaire tatsächlich stattfinden wird.

Die zwei Termine in Alcúdia sind ausverkauft, aber mit etwas Glück wird es noch mehr Gelegenheiten geben, den Künstler auf der Insel live zu erleben. „Mallorca ist sehr gut zu mir", sagt er. „Gerade habe ich mit Guillem darüber geredet, dass ich vielleicht die ganze Saison hier verbringen könnte." Mantega freut sich darauf, endlich wieder die Magie zu erleben, wenn er eine Show beendet - für ihn das größte Glück: „Sobald ich fertig bin, will ich direkt weitermachen. Ich sollte fast die Zuschauer dafür bezahlen, dass sie mir zusehen."