Im London der späten 1960er konnte man als Teenager problemlos spontan in Keith Richards Büro hineinspazieren. Keiner weiß das besser als Andrew Maclear, der genau diese Szene selbst erlebt hat: „Man denkt ja von Leuten wie den Rolling Stones gar nicht, dass sie Büros haben", sagt der 70-jährige Brite, der sich Ende der 1980er auf Mallorca niederließ und aktuell in Campanet lebt. „Ich bin eines Nachmittags einfach vorbeigegangen. Keith saß dort, las und sagte kein Wort zu mir. Ich machte drei Fotos und verschwand wieder, weil ich ein wenig eingeschüchtert war."

Das so entstandene Porträt des Rockstars ist eines von 26 Bildern, die Liebhaber der Vintage-Fotografie noch bis Ende Mai in Montuïri sehen können. Die von Carmen Celiá kuratierte und von dem jungen Galeristen und Fotografen Gaizka Taro organisierte Ausstellung „The Swingin' Sixties. A Photographic Memoir by Andrew Maclear" entführt uns in eine legendäre Ära.

Beim MZ-Besuch in der Ausstellung schildert Maclear das damals vorherrschende Lebensgefühl: „Alle Möglichkeiten standen offen, es gab kaum Zwänge - ­ und niemand hatte wirklich Geld." Er selbst brach mit 15 die Schule ab und zog mit 16 zusammen mit seinem Bruder und einigen Mitbewohnern in eine große Wohnung in London. Seine ersten Karriereschritte verliefen äußerst holprig: Er verdingte sich zunächst als Fahrradkurier, begann dann eine Ausbildung und wurde nach 18 Monaten gefeuert. Maclear sagt: „Mein Vater gab mir schließlich eine Kamera, weil er sich sagte: Was sollen wir nur mit diesem Jungen machen? Geben wir ihm etwas zu tun."

Ein Draht zu Yoko Ono

Seine analoge, schwere Nikon F. von 1968, die er heute noch hütet wie einen Schatz und die in späteren Jahren auch für einen Bildband über Sóller zum Einsatz kam, vereinnahmte ihn bald völlig: Durch seine Zeit als Bote war ihm die Stadt bereits bestens vertraut, und er knipste alles, die Menschen auf der Straße, Freunde und Bekannte. Technische Erfahrung hatte er keine, er brachte sich alles selbst bei. Dass er dann als 18-jähriger Autodidakt die Gelegenheit bekam, die Prominenz der späten 60er zu fotografieren, verdankte er einem glücklichen Zufall: Seine Schwägerin ging in Japan mit Yoko Ono zur Schule. Über diesen Kontakt bekam er immer mit, wenn irgendwo etwas Interessantes geschah: „Ich rutschte so in dieses Netzwerk mit Events und anderen jungen Fotografen hinein", erzählt Maclear.

Wer mitbekam, wo etwas los war, hatte bereits die größte Hürde geschafft, denn es gab keine Bodyguards, Security, Presse-Akkreditierungen oder Genehmigungen. „Es war unglaublich leicht. Man konnte als Fotograf bei jedem dieser Events einfach auftauchen. Und wenn man an die Tür vom Umkleideraum klopfte, machten die berühmten Leute persönlich auf und fragten: Was willst du? Komm rein." So verbrachte Maclear zum Beispiel eine Woche am Filmset von „Performance" (1968) mit Mick Jagger. Nach dem Dreh ließ man ihm jeweils fünf Minuten Zeit zum Fotografieren. „Die meiste Zeit war er dann mit zwei Frauen im Bett. Und meistens schmissen sie mich nach kurzer Zeit wieder raus."

Eines von Maclears Lieblingsbildern zeigt John Lennon und Yoko Ono, die mit Marihuana erwischt worden waren und sich im Oktober 1968 nach Verlassen des Gerichtsgebäudes durch eine Menschenmenge den Weg zu ihrem Auto bahnen mussten. „Ich stand irgendwo ganz hinten und dachte: Ich werde dieses Foto nie bekommen", erzählt er. Dann folgte er einer glücklichen Eingebung und versuchte es von der anderen Seite des Autos aus. „Und das ist einfach das perfekte Bild: Alles zieht den Betrachter ins Zentrum hinein, und es erzählt eine Geschichte."

Maclear betont: Der Grund, all diese Bilder aufzunehmen, war, dass sie da waren und festgehalten werden wollten. „Es ging nicht darum, sie zu verkaufen. Darin habe ich nicht viel Energie investiert." Konnte man einen Bildredakteur überzeugen, bekam man mit viel Glück 15 Pfund für ein Foto. Finanziell lukrativ wurden die Bilder erst viel später: Heute kann man sie in der Bilddatenbank Getty Images kaufen. Und vor rund 15 Jahren begann Maclear, mit Galerien zusammenzuarbeiten, die limitierte Editionen verkauften.

Mehr denken, weniger knipsen

Bei der Ausstellung in Montuïri kann man nicht nur eine eindrucksvolle Auswahl aus diesem fotografischen Fundus betrachten, sondern auch bei einem Workshop am 15. Mai mit dem Titel „Think more, shoot less" selbst zur Analog-Kamera greifen: Der Brite wird die Teilnehmer persönlich in die Kunst dieser Fotografie einweihen, im Anschluss soll eine Live-Band in der Nähe der Galerie als Modell zur Verfügung stehen.

Maclear bezeichnet sich selbst übrigens nicht als Fotografen. Denn beruflich folgte er lange Zeit anderen Wegen, arbeitete für Film und Fernsehen, ließ als Drehbuchautor die Kamera sogar ganz pausieren. Heute findet der 70-Jährige gewissermaßen back to the roots: Seit einem Jahr fotografiert er aus Leidenschaft die Stadt Sa Pobla und ihre Bewohner. Inzwischen arbeitet er zwar auch digital. Doch wenn er über analoge Fotografie spricht, leuchten seine Augen. Maclear fühlt noch ganz genau, wie es war, als es diesen Spannungsmoment gab, weil man nie wusste, ob es funktioniert hatte - oder ob die Aufnahme womöglich unterbelichtet war. Über ein Close-up-Porträt von John Lennon sagt er: „Ich erinnere mich genau, wie ich auf dem Heimweg dachte: Ich weiß, dass das ein gutes Bild wird. If I didn't fuck it up."

Cas Retratista, Carrer es Pujol 10, Montuïri, bis 31.5., mit Termin: casretratista@gmail.com oder Tel. 620-57 33 29, Fotografie-Workshop am 15.5. ab 10.30 Uhr, Teilnahme: 25 Euro, nur mit Voranmeldung