Vorfreude bei allen Filmfans auf Mallorca: Vom 26. Juli bis 1. August taucht Palma bei der elften Ausgabe des Atlàntida Film Fest wieder tief in den Kosmos des europäischen Kinos ein. Das geballte Programm des Hybrid-Festivals, das bis zum 26. August auch online auf der Streaming-Plattform Filmin zelebriert wird: 56 Filme in Palma, 102 Filme im Netz, dazu Konzerte, Masterclasses, Workshops für Kinder und jede Menge internationale Gäste. Festivalleiter Jaume Ripoll gibt beim MZ-Gespräch einen kleinen Vorgeschmack.

Der Eröffnungsfilm, das Schiffbruch-Drama „El ventre del mar“ von Agustí Villaronga, hat unlängst beim Festival de Málaga sechs Preise abgeräumt. Jeder spricht über diesen Film, aber keiner hat ihn auf den Balearen bisher sehen können. Schürt das nicht sehr hohe Erwartungen?

Wir hatten „El ventre del mar“ schon vorher ausgewählt. Es ist ein sehr mutiger Film mit unvergesslichen Momenten. Nach Málaga sind die Erwartungen natürlich exponentiell gestiegen, weil der Film jetzt Geschichte geschrieben hat. Aber ich freue mich über die Erwartungshaltung und die Vorfreude, die wir kreieren. Auch wenn der Preis dafür ist, dass vielleicht manch ein Zuschauer enttäuscht ist – das geschieht immer.

Das Bild zum Musical-Film „Annette“ von Leos Carax sieht fast nach einer Villaronga-Fortsetzung aus: Ein Liebespaar tanzt inmitten eines stürmischen Ozeans ...

(lacht) „El ventre del mar“ hat eine Spiellänge von 70 Minuten, „Annette“ dauert 140 Minuten. Das sind dann also quasi zwei ventres del mar. Wir feiern damit die Spanien-Premiere eines Films, der gerade erst die Filmfestspiele von Cannes eröffnet hat. Es ist ein Musical, das nicht jedermanns Geschmack treffen wird. Ich habe ein wenig Angst vor den Reaktionen des Publikums in Ses Voltes, aber vor allem bin ich neugierig: Einige Zuschauer werden verblüfft sein, weil es trotz der bekannten Schauspieler Marion Cotillard und Adam Driver ein inhaltlich wie formell radikaler Film ist. Außerdem wird ununterbrochen gesungen, und die Musik ist an manchen Stellen unbequem.

Dieses Jahr legt das Programm überhaupt einen besonderer Fokus auf die Musik – und auf die Kunst.

Ja, und zwar nicht nur mit den Konzerten, sondern auch bei den Filmen: Wir zeigen zum Beispiel „Stardust“ über David Bowie, „Shoplifters of the world“ mit Bezug zu The Smiths, die Filmbiografie von Lucio Dalla („Para Lucio“) oder einen Leonhard-Cohen-Abend, der Film und Konzert kombiniert. Bei der Kunst ist es wie bei der Musik: Es gibt etliche tolle Filme wie „El Misterio del Salvador Mundi“ oder „Fellinopolis“ über die Welt von Federico Fellini. Und wir bekommen Besuch von Björn Andrésen, der 1971 in Luchino Viscontis Adaptation von Thomas Manns Novelle „Der Tod in Venedig“ den Tadzio spielte. Hier präsentiert er den wirklich außergewöhnlichen Film „El chico más bello del mundo“. Das ist eines dieser Dinge, die nur einmal im Leben passieren. Ein historischer Moment.

Stargast der Abschlussgala ist dieses Jahr Judi Dench, die neben Stephen Frears mit dem Preis „Masters of Cinema“ geehrt wird. Zeit für eine Lobeshymne ...

Judi Dench ist eine enorm engagierte und vielseitige Schauspielerin, die kein Risiko scheut. Als großer Bewunderer von Judi Dench ist es für mich persönlich bewegend, sie beim Festival auf Mallorca zu empfangen. Sie selbst war schon einmal als junge Frau auf der Insel und hat große Lust auf den Besuch. Es wird ein so schönes Bild sein, sie mit Stephen Frears zu sehen, da Judi Dench seine Muse war und die beiden viele Filme zusammen gedreht haben – wie „Philomena“ oder „Victoria & Abdul“. Das wird ein magisches Wiedersehen geben.

Warum haben Sie für den Abschluss ausgerechnet einen Schwarz-Weiß-Stummfilm von 1925 ausgesucht?

Wir möchten heutzutage immer die allerneuesten Filme sehen, dieses Konzept wollte ich infrage stellen. Ich sage: „El jefe político“ ist ein Film, der fast 100 Jahre alt, aber trotzdem viel „neuer“ ist als die große Mehrheit der Serien und Filme, die dieses Jahr herausgekommen sind. Es geht um einen korrupten Politiker, und das im Moment einer Post-Pandemie – in diesem Fall der Spanischen Grippe, als die Menschen mit Masken auf der Straße unterwegs waren. Der Film zeigt uns auch, wie diese Insel vor 100 Jahren aussah. Und es ist eine Hommage an das Arxiu del So i de la Imatge de Mallorca (ASIM) und die Filmoteca Española, die mit ihrer Arbeit die Erinnerung an das Kino am Leben erhalten. Dieser Film ist wie ein Gemälde: ein verschollener Rembrandt, Schicht um Schicht restauriert, damit wir ihn in all seiner Pracht sehen können.

Um das Kino von heute zu unterstützen, zahlen die Besucher der Vorführungen in den Sälen nun erstmals drei Euro Eintritt.

Ja, denn es ist wichtig, uns zu vergegenwärtigen, dass wir einen Beitrag leisten müssen, um das Ökosystem Kino am Leben zu erhalten. Die Einnahmen aus den Kinovorstellungen kommen vollständig den Sälen zugute. Meine größte Sorge ist, dass sich die Kinosäle nicht füllen, obwohl es doch so schön zu sehen ist, dass etwa die Sala Rivoli nach anderthalb Jahren wieder öffnet. Hoffentlich weiß das Publikum die Großzügigkeit und Mühe der Kinos zu schätzen. Noch gibt es viele Karten!

Auf dem Programm steht auch eine ganz besondere Premiere: Die ersten zwei Folgen von „Doctor Portuondo“, der ersten eigenen Serie der Plattform Filmin. Was versprechen Sie sich von dieser Produktion?

Das ist tatsächlich mal eine Neuheit, quasi frisch aus dem Ofen (lacht). Es ist ein sehr ehrgeiziges Projekt. Damit begeben wir uns auf das Niveau von Netflix – obwohl sie vielleicht 28 Eigenproduktionen pro Jahr umsetzen, und wir erst eine haben. Aber es ist ein Anfang. Die Serie beginnt sehr persönlich. Schön ist vielleicht das falsche Wort, aber sie hat etwas fast Quijoteskes. Es ist eine schwarze Komödie über Psychoanalyse, und sie behandelt das Thema mit ungewöhnlich viel Tiefgang.

Das ganze Programm des Atlàntida Film Fest finden Sie auf atlantidafilmfest.com.