Auch wenn sie stilecht unter einem Kronleuchter Platz nimmt – einen Thron oder gar eine Krone braucht Judi Dench (86) nicht, um den kleinen Raum mit ihrer Aura auszufüllen: Die britische Schauspielerin zieht beim Pressetermin am Vortag der Abschlussgala des Atlàntida Film Fest alle Anwesenden von der ersten Sekunde an in ihren Bann. An Denchs Seite: Regisseur und Filmproduzent Stephen Frears (70), im entspannten Freizeit-Look wie kurz vor Antritt eines Kreuzfahrt-Törns. Beide sollten im Rahmen des Filmfestivals eine Masterclass geben und mit dem Preis "Masters of Cinema" geehrt werden, und sie genießen die süße Freiheit in Palma sichtlich: "Seit anderthalb Jahren hat keiner von uns Großbritannien verlassen", sagt Judi Dench, erklärter Workaholic, die während des Lockdowns schweren Herzens drei Projekte auf Eis legen musste. "Jetzt plötzlich nach Mallorca zu kommen, ist wie eine Feuerwerksexplosion."

Eine Freude ist es auch, Zeuge der ungezwungenen Dynamik zwischen Dench und Frears zu werden, die schon etliche Filme zusammen gedreht haben ("Victoria & Abdul", "Philomena" oder "Mrs. Henderson Presents") – die beiden sind alte Freunde und frotzeln zuweilen wie ein altes Ehepaar. So überlegt Dench etwa: "Bei unserem ersten gemeinsamen Film habe ich eine ziemlich herrische Krankenschwester gespielt, kann das sein?" Darauf Frears: "Das klingt in meinen Ohren ganz nach dir." Der Regisseur bewundert Dench ("Sie ist verdammt gut! Und ganz schön frech."), und beide schwärmen von ihrer guten Arbeitsbeziehung. "Stephen meint immer, dass er sich zurückhält, aber in Wahrheit sagt er sehr wichtige Dinge", so Dench.

Von "M" in James Bond bis zur Königin Victoria

Obgleich der Anlass des Besuchs ein Filmfestival ist: Judi Dench fand ihren Einstieg in die Welt des Kinos erst in fortgeschrittenem Alter. Einmal, so erzählt die Schauspielerin, sollte sie jemanden wegen einer möglichen Filmrolle treffen. "Der Mann sagte zu mir: Alles an Ihrem Gesicht ist falsch und ich glaube nicht, dass Sie jemals einen Film machen werden." Dieser Herr dürfte heute wohl ebenso über seine Wortwahl denken wie diverse Verlage über ihre Entscheidung, das erste Harry-Potter-Buch abzulehnen: Von "Chocolat" über "Tagebuch eines Skandals" bis hin zu "Best Exotic Marigold Hotel", die Oscar-Preisträgerin muss heute niemanden mehr davon überzeugen, dass sie auf der Kinoleinwand glänzt.

Unvergessen ihre Darstellung von "M" in der James-Bond-Reihe. Darauf angesprochen, was die Rolle für ihre Karriere bedeutete, antwortet Dench: "Für meinen Ehemann war das eine große Sache: Er sehnte sich nach einem Bond-Girl an seiner Seite." Sie selbst sei überrascht gewesen, überhaupt für die Rolle angefragt zu werden. "Es war sehr beängstigend und sehr erfreulich. Abgesehen davon, dass sie mich zum Spielen die ganze Zeit in diesen winzigen Raum steckten. Alle anderen durften zu wundervollen Drehorten reisen, und ich saß nur dort an diesem Schreibtisch."

Ungleich glamouröser waren Denchs Auftritte als Königin, 1998 als Elisabeth I. in "Shakespeare in Love" oder gleich zweimal als Königin Victoria ("Ihre Majestät Mrs. Brown", 1997, "Victoria & Abdul", 2017). "Vielleicht sind die Royals das Größte und Dramatischste, was das englische Leben zu bieten hat. Heute kann man keinen Film in England mehr machen, wenn darin keine Queen vorkommt. Das ist ein Gesetz", sagt Frears mit gespieltem Ernst. Und Judi Dench sei für ihn eine perfekte Queen: "Theaterschauspieler spielen Könige und Königinnen, darüber hat Shakespeare ja geschrieben. Deshalb sind sie alle sehr gut darin. Judi und Helen (Mirren, die 2006 in Frears Historienfilm "Die Queen" die Hauptrolle spielte, Anm. d. Red.) waren beide stark. Ich kenne ihre Macht, weil sie mir Angst machen."

Brennende Leidenschaft für Shakespeare

Die Beziehung zum Schöpfer von Romeo und Julia entzweit hier allerdings die Gemüter: "Ich bin nicht sicher, ob ich Shakespeare liebe", erklärt Frears. Darauf Dench mit tiefempfundener Entrüstung: "Wie kannst du das nur sagen?" Als Beweis für ihre Shakespeare-Leidenschaft sagt sie mit dem Eifer einer Musterschülerin im Leistungskurs: "Oh, ich könnte jetzt aus dem Stand den gesamten 'Sommernachtstraum' für Sie zum Besten geben!" Kein Wunder: Einer ihrer Brüder habe schon als kleiner Junge stundenlang aus "Julius Caesar" rezitiert und damit die Familie in den Wahnsinn getrieben. Heute kenne sie fast alle Stücke sehr gut. "Während des Lockdowns habe ich mich entschlossen, alle 154 Sonette auswendig zu lernen. Bisher habe ich erst acht, aber ich bleibe dran", sagt Dench.

Trotz der Film-Erfolge schlug und schlägt ihr Herz für ihre erste Liebe, das Theater. "Alles, was ich jemals wollte, war am Old Vic Theatre in London zu spielen", sagt die Schauspielerin. Und sie habe das enorme Glück gehabt, dass sich dieser Traum schon direkt nach der Schauspielschule erfüllte: 1957 stieg sie dort als Ophelia ein, später spielte sie in der Royal Shakespeare Company. "Ich genieße es, Teil eines Ensembles zu sein", sagt Dench. Besonders schätze sie am Bühnenschauspiel die direkte Reaktion des Publikums. Sie erinnert sich gut an einen Auftritt als Kleopatra bei einer Inszenierung im National Theatre, zusammen mit Anthony Hopkins: "Ich wusste, es gibt dabei einen Satz, der die Leute zum Lachen bringen sollte. Aber ich habe 99 Aufführungen gebraucht, bis ich den Lacher endlich hatte. Beim 100. Mal hat es geklappt."

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Im Theater verändere sich alles beständig, während man sich beim Film mit dem Leinwand-Resultat abfinden müsse. "Was sie eigentlich sagt, ist: Sie hat eine zweite Chance. Ich hingegen habe nur einen Versuch", kommentiert der Regisseur. Auch er outet sich im Gespräch als Bühnenfan: "Wenn man lernen möchte, wie man Filme macht, sollte man ins Theater gehen." Drama, Charakterisierungen, Konflikte: Wie all das funktioniere, erlebe man am besten auf einer Bühne. Er achte im Übrigen vor allem auf das Material. Halte er es für interessant, sei es ihm gleich, ob daraus dann eine Film- oder Fernsehproduktion werde.

Auf die Frage, wie sie den Kampf für Frauenrechte und Diversität in den 1960er-Jahren erlebt hätten und heute erleben würden, folgt kurzes Schweigen. Frears bricht es mit einem ironisch machistischen "Lass mich das beantworten!" Natürlich weiß er, dass hier für einen "alten weißen Mann", wie er selbst über sich sagt, Zurückhaltung angebracht ist. Judi Dench antwortet: „Das verschafft nun mehr Menschen eine Chance, und das ist großartig. Es ist der einzig richtige Weg. Und es gab ohnehin noch nie genug Rollen für Frauen."