Jim Rakete (70) interessiert sich seit jeher für Menschen. Viele davon hatte er vor der Kamera: Berühmt wurde der Berliner Fotograf mit seinen Schwarz-Weiß-Porträts von Stars aus der Musik- und Filmszene sowie der Politik, von Klaus Kinski über Bruce Springsteen bis Natalie Portman. Am 26. August startet sein erster Kinofilm "Now" in Deutschland – eine inspirierende Dokumentation über junge Klimaaktivisten und ihre Motive. Im Rahmen des Atlàntida Film Fest war die deutsche Produktion am 29. Juli im Museu de Mallorca zu sehen, und ist bis Ende August noch auf dem Streaming-Portal Filmin abrufbar. Regisseur Jim Rakete erzählt der MZ aber im Telefongespräch, welche Momente ihn am meisten beeindruckt haben und warum er bewusst auf ein Interview mit Greta Thunberg verzichtete.

Die Corona-Pandemie hat den Kampf gegen die Klimakrise 2020 überschattet und den Kinostart verzögert. Warum ist jetzt der richtige Zeitpunkt für den Film?

Er ist eigentlich ideal. Diesmal fällt der geplante Veröffentlichungstermin tatsächlich mit Naturereignissen zusammen. Dass wir so viele Fluten und so viele Feuer haben, macht das Thema unentrinnbar. Wir müssen jetzt wirklich darüber reden, wie wir die Gesellschaft umstrukturieren, und vor allem die Wirtschaft, damit die Energiewende gelingen kann und wir im Einklang mit dem Planeten leben. Denn es gibt einfach keine Überlebenschance, wenn wir es nicht tun. Jetzt sind wir ja alle schon ein bisschen weiter. Viele Sachen sind inzwischen vielfältig diskutiert worden. Aber was noch fehlt, ist das Handeln.

Wie findet man als Regisseur die richtige Haltung, wenn einem das Thema nahegeht?

Wenn man so alt ist wie ich, dann hat man natürlich einiges auf dem Kerbholz. Ich vertrete die Generation, die das aus Sicht der Klimaaktivisten mitverursacht hat: Ich bin ja viel geflogen und habe diesen ganzen Quatsch mitgemacht. Dann muss man sich genau überlegen, wo man jetzt steht. Ich bin nicht der Typ, der ein Pappschild in die Hand nimmt und Slogans ruft, sondern der Mann, der einen Film über Aktivisten macht. Deshalb darf ich mich nicht mit einer Bewegung gemein machen, sondern muss schon noch in der Lage sein, einen Schritt zurückzutreten und zu sagen: Wo sind die toten Winkel? Und da gibt es einige. Die ganze Telekommunikation, vor allem aber Streaming ist in der jungen Generation der blinde Fleck. Niemand will sehen, dass das mehr Energie verschlingt als der gesamte Flugverkehr. Das ist wirklich krass.

Welche Momente in den Interviews haben Sie am meisten beeindruckt?

Das waren drei, die mich total umgehauen haben. Gleich am Anfang sagt Nike Mahlhaus (Sprecherin der Anti-Kohle-Bewegung „Ende Gelände“, Anm.d.Red.), sie habe ausgerechnet, dass in Deutschland allein die Straßenbeleuchtung oder die Wasserwerke in solchem Ausmaß mit Braunkohle betrieben werden, dass auf jeden Menschen sieben oder acht Tonnen Kohlendioxid entfallen – noch bevor wir selbst gehandelt haben. Sie sagt an der Stelle: Es ist nicht Sache des Einzelnen, wir brauchen dafür Gesetze, anders geht es nicht. Das zweite, was mich geflasht hat: Luisa Neubauer erzählte, dass sie irgendwann in einen Tunnel geraten ist, weil sie und ihre Freunde so viel Liebe in die ganze Bewegung investiert haben und erst einmal gar nichts erreichten. Sie war so unglücklich, dass sie mit dem Weltschmerz nicht mehr fertigwurde. Wenn man als junger Mensch versucht, die Welt zu verbessern, und darüber Häme und Spott kriegt, muss das eine wahnsinnig frustrierende Erfahrung sein.

Und der dritte Moment?

Das war tatsächlich in New York, wo wir in die UN reingestolpert sind und Greta dort ihre Rede vor der Vollversammlung gehalten hat. Ich muss mal sagen: Das hat gesessen. Es war schockierend für alle Beteiligten. Und die Dramatisierung des Moments ist ja etwas Fotografisches. Darauf bin ich geeicht wie ein Bluthund, bei solchen Kipp-Punkten hinzugucken: Was hat sich in diesem Augenblick für die ganze Welt verändert? Jeder im Raum hat gespürt, dass diese eine Rede ein geschichtlicher Einschnitt ist. Da sagt jemand: Ihr kommt mit den immer gleichen blöden Lügen und ändert gar nichts. How dare you? Ich bin überzeugt, dass das irrsinnig viel bewegt hat.

Trotzdem ist Greta Thunberg keine direkte Protagonistin des Films. Warum nicht?

Ich habe mir relativ früh vorgenommen, kein Interview mit ihr zu führen, weil wir festgestellt haben, dass Greta das, was sie sagt, immer genau dann sagt, wenn sie es sagen will. Und dann auch wirklich richtig gut, vor viel Publikum, kondensiert in wenigen Worten, mit einem sehr bündigen Narrativ. Da habe ich gedacht: Das ist eigentlich eher das Leuchtbild, die überwölbende Erzählung ist Greta. Wenn man sie interviewt und fragt „Vermisst du denn dein Pferd in Schweden?“, dann banalisiert man das. Ich fand es nicht sinnvoll, dichter an Greta heranzutreten. Das wäre ein ganz anderes Gemälde, wenn man das macht.

Es gibt ja auch die Doku „I Am Greta“.

Ja, und da ist nichts falsch daran. Aber mein Thema waren Auswege und die Frage nach dieser Fatigue – wie kommt es, dass solche Bewegungen ermüden? Dazu haben auch Patti Smith und Wim Wenders etwas gesagt.

Inwiefern werten die Stimmen dieser ‚Veteranen‘ den Film auf?

Für mich ist es eine Bereicherung, weil das ja keine dummen Leute sind. Patti Smith ist eine ganz unerschrockene Denkerin. Bei ihr hat die Tochter die Führung in der Klimafrage übernommen und ihre eigene Bewegung gegründet. Der hat sich Patti Smith nicht nur angeschlossen, sie macht richtig mit.

Hat die Doku Ihr eigenes Leben verändert?

Ich hatte schon vorher eine gewisse Affinität dazu, meinen Alltag bescheidener zu gestalten. Aber der Film war dann, ehrlich gesagt, von der Faktenlage her ein ziemlicher Schock: Das sitzt ja alles noch viel tiefer. Der Gegner ist ja größer, als wir ihn machen. Wir verharmlosen das ja eher noch. Was an Umbau erforderlich ist, ist immens. Aber es ist zu schaffen. Man muss es nur irgendwie angehen.