Pedro Almodóvar (Calzada de Calatrava, 1949) widmet sich erneut den Frauen: In "Parallele Mütter" ("Madres paralelas", Kinostart in Deutschland ist für den 6. Januar 2022 geplant) erzählt er vom Thema Mutterschaft in verschiedenen Generationen, die im Film von Aitana Sánchez-Gijón, Penélope Cruz und Milena Smit repräsentiert werden.

Zum ersten Mal in seiner Karriere thematisiert Almodóvar zudem explizit das politische Bewusstsein und die Vergangenheitsbewältigung in Spanien, indem er die Massengräber des Spanischen Bürgerkriegs anspricht - eine Wunde aus der Vergangenheit, die in der heutigen Gegenwart immer noch schmerzt.

Der Film führt zwei Handlungsstränge zusammen: Mutterschaft und Vergangenheitsbewältigung. Behandeln Sie auf diese Weise sowohl ein persönliches Trauma und das Trauma eines ganzen Landes?

Das Wesentliche des Films war genau das: Nämlich das moralische Dilemma der Protagonistin Janice (Penélope Cruz), die zwischen ihrer Suche nach der kollektiven Wahrheit und ihrer intimen und persönlichen Wahrheit hin- und hergerissen ist. Ich war schon immer sehr sensibel für das Problem der Massengräber, aber ich wollte keinen Film machen, der sich ausschließlich diesem Thema widmet. Doch mir wurde bewusst, dass es so eine Sprengkraft besitzt, dass man es auch nicht einfach mit etwas anderem vermischen kann. Deshalb habe ich mich entschieden, das Problem am Rand zu behandeln, durch den Prolog und den Epilog.

Sie haben häufig erklärt, dass Sie Ihre Filme, insbesondere jene aus der Zeit der Movida (Kulturbewegung der städtischen Jugend in Madrid, die in den ersten Jahren nach dem Franquismus aufkam, Anm. d. Red.) so angelegt haben, als hätte Franco gar nicht existiert - weil Sie sich auf diese Weise an ihm rächen wollten.

Zu Beginn meiner Karriere habe ich das oft gesagt, das war Absicht von mir. Ich habe Filme gemacht, die nicht einmal Francos Schatten anerkannten, denn das war meine Art, gegen die Diktatur zu rebellieren. Zu dieser Zeit war mir nur daran gelegen, auf jede erdenkliche Art Spaß zu haben. Ich war jung und lebte im Moment einer wahren Freiheitsexplosion. Wir wollten nicht von den Gespenstern sprechen, sondern setzten vollkommen auf das Vergnügen, auf den Hedonismus. Es gab in dieser Bewegung weder eine politische Stimmung noch ein gesellschaftliches Bewusstsein.

Was hat sich jetzt geändert?

Ich glaube, es hat mit dem Alter zu tun und damit, dass ich inzwischen eine kritischere Perspektive habe. In gewisser Weise komme ich über die Ernüchterung wieder auf die Transición zu sprechen. Wir machten unsere ersten Schritte in der Demokratie auf ganz pragmatische Weise, aber mit dem Amnestiegesetz blieben viele Wunden offen. Und mit diesem Pakt des Vergessens lebten die Opfer im Untergrund weiter. Die Sozialisten waren über mehrere Legislaturperioden mit absoluter Mehrheit an der Macht, ohne dieses Problem zu lösen. Es wäre ihre Aufgäbe gewesen, die Gräber zu öffnen. Es ist ein sehr wichtiges Thema, denn es ist eine Art der Entmenschlichung: Die Opfer wurden ausgelöscht, als ob es sie niemals gegeben hätte.

Wenn man Ihre internationale Reichweite bedenkt: Dient dieser Kinofilm dazu, das Thema auch außerhalb Spaniens sichtbar zu machen?

Ich hatte nie einen pädagogischen Anspruch an meine Filme. Das passt nicht zu mir. Ich mag auch politisches Kino nicht besonders, weil es mir aus filmischer Sicht sehr armselig vorkommt, und mein Stil steht dazu in krassem Gegensatz. Aber wenn ich im Laufe der Zeit etwas gelernt habe, dann dass wir Filmregisseure die Macht haben, unsere Visionen in der Welt durchzusetzen. Und damit geht auch Verantwortung einher. Besonders in diesem Fall, da die Gesellschaft eine moralische Pflicht hat, keine neuen Wunden aufzureißen, sondern sie vielmehr alle heilen zu lassen. Ich glaube, das ist ein Thema, das man überall auf der Welt verstehen wird.

"Parallele Mütter" ist extrem zurückhaltend. Einer dieser Filme, bei denen man mit trockenen Augen weint.

Das ist eine gute Definition. Er hätte vom Genre her perfekt ein Melodrama werden können, aber das wollte ich nicht. Tatsächlich bestand meine Arbeit mit Penélope Cruz vor allem darin, sie vom Weinen abzuhalten. Das war ihre Art, die Rolle zu spielen, denn sie hat beim Schauspielern ein sehr hitzköpfiges Naturell und muss die Dinge fühlen. Aber hier musste sie einen großen Widerspruch in ihrem Inneren spüren. Und das vernichtet einen, es trocknet einen innerlich aus, weil da Schuld und Scham ist. Ich glaube, seit dem Film "Julieta" (2016) habe ich einen Weg eingeschlagen, bei dem es kein Zurück mehr gibt. Ich war immer sehr barock, und jetzt schlage ich andere Töne an und bin prägnanter, wenn es um die Zurschaustellung von Emotionen geht.

Es ist ein Film über alleinstehende Frauen, über Mütter, die ihren Weg ohne die Präsenz von Männern weitergehen.

Ich wollte eine generationenübergreifende, weibliche Geschichte erzählen und die Mütter dabei ins Zentrum stellen. Ich glaube, wir Männer werden niemals die Größe der Mutterschaft verstehen, so sehr wir uns auch bemühen - es steckt nicht in unseren Genen. Hier ist die Frau die absolute Hauptdarstellerin, und so muss es sein. Es spielt keine Rolle, dass es keine perfekten Mütter sind, dass sie Ecken und Kanten haben. Sie sind Mütter.

Sie behandeln auch alternative Familienmodelle.

Das Konzept der Familie hat sich schon vor langer Zeit verändert, und sie hat nichts damit zu tun, was uns der Vatikan diktiert. Ich rege zu einer offenen Vorstellung von Familie an, wo es mehrere Frauen oder mehrere Männer geben kann. Das wichtigste ist, dass dieses Gefüge zu einem Zentrum der Fürsorge für die ganz Kleinen wird. Etwas Ähnliches schlug ich schon in "Das Gesetz der Begierde" (1987) vor - in gewisser Weise war das Thema schon immer in meinen Filmen präsent. Aber hier wollte ich eine Hommage an Mütter aus Berufung und an Familien mit einem alleinerziehenden Elternteil schaffen, weil darin tiefe Sehnsüchte stecken und viele Hindernisse auf dem Weg liegen. Ich glaube, deswegen überlebt die Idee von Familie, und sie hat nichts mit der Norm zu tun.

In diesem Sinne brauchen die Figuren in "Parallele Mütter" kein Etikett, um ihre Zuneigung zu zeigen. Das ist etwas, wofür Sie sich mit Ihren Filmen immer eingesetzt haben.

Für mich war Sexualität immer eine Art, sich auszudrücken und sich zu vergnügen - sie ist eines der großen Geschenke, die mit dem Menschsein einhergehen. Während der Movida ging man problemlos mit Leuten beiden Geschlechts ins Bett, man brauchte dafür keine Etiketten zu vergeben. Aber sie waren etwas Positives, wenn es darum ging, eine Reihe von Rechten zu erkämpfen. Für mich ist das Geschlecht im Kopf jedes Einzelnen, und deshalb auch so weitgefasst. Daher macht es mich traurig, dass viele Feministinnen und Feministen vom alten Schlag trans Personen ablehnen. Tatsächlich sollte diese Bezeichnung eigentlich verschwinden, denn es sind vollwertige Frauen und Männer, und es hat sie viel gekostet, das zu erreichen. In jedem Fall stecken wir gerade tief in dieser Debatte, und dabei gibt es eine Menge verletzter Empfindlichkeiten.

Ihr provokantes Debüt im Jahre 1980 war "Pepi, Luci, Bom und der Rest der Bande". Könnten man so einen Punkfilm in der heutigen Zeit noch machen?

Ich habe keine Ahnung. Ich weiß nur, dass ich ihn machen würde. Ich glaube, es ist wichtig, dass junge Leute, die gerade erst loslegen, sich trauen, so weit wie möglich an die Grenzen zu gehen. Sie sollten versuchen, persönlich und authentisch zu sein, mit dem Bewährten zu brechen und Dinge auf eine Art und Weise zu sagen, die es noch nie gegeben hat. Die Zukunft hängt von ihnen ab. Deshalb freut es mich so, Filme wie "Titane" oder "Annette" zu sehen: Sie sind mit nichts Bekanntem vergleichbar, und das gibt mir Hoffnung.