Es ist so etwas wie ein Tag der offenen Tür – nur dass sich dabei gleich mehr als 80 Türen in der ganzen Stadt öffnen. Das Architektur-Festival Open House gibt es in rund 50 Städten überall auf der Welt – von London bis New York, von Oslo bis Madrid. Das Ziel dabei ist, dass das lokale Publikum seine (Wahl-)Heimat ganz neu entdecken lernt.

Am 6. und 7. November findet das Mammut-Event zum ersten Mal in Palma statt, gestemmt von dem gemeinnützigen Verein Associació Cultural Open House Palma sowie Heerscharen von freiwilligen Helfern, die Interessierte durch die Gebäude führen. Der junge mallorquinische Architekt Eduard Yuste (31) war Impulsgeber der Initiative – und hat mit der MZ vorab darüber gesprochen, warum ihn vor allem die unbekannten Bauten faszinieren.

Wir haben es Ihnen zu verdanken, dass das Festival Open House zum ersten Mal in Palma stattfindet. Wie kommt das?

Ich bin selbst Architekt, und während ich in Barcelona studierte, startete die Initiative dort. Dabei meldete ich mich als Helfer. Als ich mein Studium beendete, hatte ich schon ein paar Jahre Erfahrung damit. Dann begann ich als Baukoordinator zu arbeiten und wollte Open House unbedingt nach Palma holen. Aber ich war damals erst 25. Nach meinem Master in Kulturmanagement merkte ich, dass der Moment gekommen war, und leitete alles in die Wege. Seit zwei Jahren arbeiten wir jetzt an dem Festival.

Warum ist das Festival hier so wichtig?

Wir wollen vor allen Dingen das Kulturerbe und die Architektur von Palma über das historische Zentrum hinaus bei den Menschen bekannt machen. Denn die typischen Gebäude kennt ja jeder: die Kathedrale, die Llotja und so weiter. Aber es gibt so viel Architektur, die nicht in dem Sinne historisch ist, dass sie aus dem Mittelalter stammt, aber die das 20. oder 21. Jahrhundert abbildet. Wir reisen extra in andere Städte wie Barcelona, um solche Bauten zu sehen, aber in Palma sind sie uns unbekannt.

Initiator von Open House Palma: der Architekt Eduard Yuste (31). Privat

Die Palmesaner halten also ihre Architektur für selbstverständlich und nehmen sie gar nicht bewusst wahr?

Ich glaube, so ist es. Wir laufen alle mit gesenkten Köpfen durch die Straßen, schauen auf den Gehweg und richten unsere Aufmerksamkeit nicht darauf, was diese Stadt ausmacht – das sind letztlich ihre Gebäude. Und wir haben so gute Beispiele für Rationalismus, Regionalismus oder moderne Architektur. Unsere Idee ist, dass die Leute die Köpfe heben, ihre Stadt entdecken und eine stärkere Zuneigung für ihre Kultur empfinden. Das geht nur, indem man ihnen erklärt, warum diese Gebäude wichtig sind. Sie bloß anzuschauen, reicht nicht. Aber bei einer Führung geht es nicht nur um die Architektur selbst, sondern auch um die Anekdoten rund um das Bauwerk, seine historische Bedeutung oder die verschiedenen Zwecke, für die es genutzt wurde. Das Festival ist etwas für alle: Architektur für Nicht-Architekten.

Für die Vermittlung setzen Sie auf freiwillige Helfer. Wie funktioniert das konkret?

Im Moment haben wir rund 300 Freiwillige. Das sind wahnsinnig viele! (lacht). Und wir erwarten, dass es am Ende 350 Helfer sein werden, wenn wir unser Tempo halten. Wir verlangen nur, dass sie Lust haben, ihren Nachbarn die Stadt näherzubringen. Es sind Menschen zwischen 16 und 72 Jahren: Rentner, Studenten, Fachleute wie Historiker oder Ingenieure, Lehrer oder Leute, die im Tourismus arbeiten – wirklich alle sind vertreten. Bevor sie geführte Besichtigungen machen dürfen, bekommt jeder von ihnen drei oder vier Schulungen. Dahinter steckt richtig viel Organisation.

Rund 80 Gebäude unterschiedlichster Art gibt es bei Open House zu entdecken. Welche liegen Ihnen besonders am Herzen?

Allen voran die Sozialwohnungen, die gerade fertiggestellt wurden oder kurz davor sind, besonders jene im Carrer d’Ignasi Barraquer und im Carrer de Salvador Espriu, deren Bau schon weit fortgeschritten ist. Das sind Orte, wo man sonst nie hinkommt, weil diese Wohnungen dann ja vermietet werden. Es ist also eine einmalige Gelegenheit, sie davor noch zu sehen. Andererseits haben wir spektakuläre, aber ziemlich unbekannte Gebäude im Programm, zum Beispiel das Hotel Araxa oder den Palma Tennis Club, der von dem katalanischen Architekten Francesc Mitjans gebaut wurde. Und man kann viele Bauten besichtigen, die architektonisch weniger beeindruckend, aber wichtige Teile der Infrastruktur sind, wie Son Espases, das Hospital Psiquiàtric oder die Anlage zur Trinkwasseraufbereitung. Sie sorgen dafür, dass die Stadt funktioniert, ohne dass wir es bemerken.

Auch der neugotische Palau del Consell öffnet seine Pforten. Consell de Mallorca

Was macht die Sozialbauprojekte so interessant, abgesehen von der seltenen Gelegenheit für eine Besichtigung?

Wir sehen dort aktuelle Vorbilder für hochwertige Architektur sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene, die viele Preise abräumen werden. Die Architekten beziehen soziale Kriterien und drängende Themen wie den Klimawandel in ihre Planung mit ein, etwa indem sie traditionelles und umweltfreundliches Baumaterial wie den mallorquinischen Kalksandstein Marès oder Poseidongras als Dämmmaterial verwenden. Dadurch sind die Bauten sehr energieeffizient und unterstützen noch dazu die lokale Wirtschaft. Im Übrigen überzeugen sie durch ihr Design und ermöglichen es, dass Menschen mit niedrigem Einkommen nicht mehr in beengten Wohnblöcken im Gewerbegebiet leben müssen, sondern in angemessenen Wohnungen mehr Lebensqualität haben.

Neben den zukunftsweisenden Neubauten können die Teilnehmer auch historische Gebäude erkunden. Geht es hier mehr darum, sie mit anderen Augen sehen zu lernen?

Ja, denn wenn man etwa das Casal Solleric oder das Teatre Principal besucht, dann gewöhnlich zu einem bestimmten Zweck: um eine Ausstellung oder ein Theaterstück zu sehen. Konzentrieren wir uns aber auf die „Verpackung“, lernen wir zum Beispiel, dass das Casal Solleric das erste Haus war, das mit Fassade zum Passeig del Born gebaut wurde. Und im Teatre Principal bekommen wir Einblicke von allen Seiten. Wo halten sich die Schauspieler auf, wenn sie nicht auf der Bühne stehen? Man sieht das Gebäude aus einer ganz anderen Perspektive.

Was ist für Sie ein architektonischer Schatz, dem wir viel zu wenig Beachtung schenken?

Da fällt mir als Erstes das Centre Oceanogràfic de les Illes Balears am Moll de Ponent ein. Es ist ein Gebäude der Strömung des Brutalismus, das für Publikum zugänglich ist, das aber keiner kennt. Architektonisch ist es ziemlich spektakulär und repräsentiert gut die Zeit, in der es entstand.

Besucher bekommen auch die Möglichkeit, einen Blick in Privathäuser zu erhaschen.

Die Casa Plywood ist so ein privates Wohnhaus, und die Architekten wohnen selbst darin. Es ist ziemlich eindrucksvoll, weil sie ein bauliches System aus Holz verwendet haben – daher der Name, denn Plywood heißt Sperrholz. Ich glaube, es ist für die Besucher von großem Interesse, Privathäuser zu besichtigen, besonders mit einer Führung. Und wenn sie noch gute Beispiele für Architektur sind, umso besser.

Wahr gewordener Architekten-Traum: die Casa Plywood, eines der Privathäuser, die beim Open House Festival besichtigt werden können. luisdiazdiaz.com

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Was erwartet uns bei den Gesprächsrunden?

Bei den „Open Talks“ haben wir vier Themen ausgesucht, die Architektur mit aktuellen Fragestellungen verknüpfen. Referieren wird jeweils ein Duo: ein Architekt und jemand, der sich mit der Materie auskennt. Es sind Dialoge darüber, welche architektonischen Bedürfnisse wir als Gesellschaft haben, wie das Design von Gebäuden die Klimakrise einbeziehen muss, oder zu Architektur und Gender: Wie schaffen wir inklusive Städte, die wirklich für alle gedacht sind? Ein Talk handelt davon, wie sich unsere Raumwahrnehmung durch die Pandemie verändert hat: Wir schätzen es jetzt sehr, eine Terrasse, Sonne und Platz in der Wohnung zu haben. Die Architektur muss sich wandeln und den neuen Zeiten anpassen: Lange Flure und kleine dunkle Zimmer haben ausgedient.

So können Sie beim Festival Open House mitmachen

Das Programm am 6. und 7. November ist kostenlos und besteht aus zwei Blöcken. Für die meisten geführten Besichtigungen ist keine Reservierung nötig, Ausnahmen mit Anmelde-Button sowie Infos zu allen Gebäuden und den Besuchszeiten finden Sie auf der Website openhousepalma.org. Den zweiten Block bilden die rund 15 Aktivitäten des Rahmenprogramms, darunter vier „Open Talks“, ein Workshop für Kinder, ein Fotowettbewerb und spezielle Rundgänge zu Fuß („Open Walks“) – etwa auf den Spuren des römischen Palma – oder auf dem Fahrrad („Open Bike“), zum Beispiel entlang des Hafens. Für diese Aktivitäten müssen Sie sich anmelden.