Wer eine Stadtführung in Palma de Mallorca unternimmt, verirrt sich normalerweise nicht in Luftschutzbunker oder Privathäuser. Doch beim Architektur-Festival Open House haben Sie neben Schmuckstücken wie Stadtpalästen auch die Möglichkeit, spannende Orte zu besuchen, die sonst (fast) nie für Publikum geöffnet sind – und die kaum jemand auf dem Radar hat.

Der Architekt Eduard Yuste (31) gibt Tipps für diese rare Gelegenheit, bei der man Neues über Stadtgeschichte oder brandaktuelle Architektur kennenlernen kann. Darüber hinaus lockt das Programm mit vielen weiteren Gebäuden, speziellen Touren zu Fuß oder auf dem Fahrrad, Diskussionsrunden und Angeboten für Familien. Bei den meisten Einzelbesichtigungen ist keine Anmeldung nötig, es gibt jedoch Ausnahmen, und in jedem Fall gilt es jeweils ein Zeitfenster zu beachten. Alle Infos dazu finden Sie auf der Website openhousepalma.org.

Sozialwohnungen im Carrer dels Blanquers

In Absprache mit dem Wohnungsbauinstitut der Balearen-Regierung IBAVI zeigt Open House einige frisch vollendete Gebäude. Dazu zählen die fünf Sozialwohnungen im Carrer dels Blanquers, 5. „Sie sind bereit dafür, dass die ersten Mieter im Dezember einziehen“, sagt Eduard Yuste. „Jetzt ist also die erste und letzte Chance, sie zu sehen.“ Das Gebäude ist ein Paradebeispiel für hochwertiges Design, kombiniert mit Energieeffizienz und umweltfreundlichem Baumaterial.

Für die Besichtigung der Wohnungen ist eine Anmeldung nötig. Open House

Sede Institucional de la Autoridad Portuaria de Baleares

Der institutionelle Sitz der Hafenbehörde der Balearen wurde seit 2012 restauriert. Nun sind die Arbeiten abgeschlossen: Die neoklassizistische Fassade des Baus von 1940 blieb erhalten, der Rest besticht durch eine Konstruktion mit viel Glas für den Panoramablick. Ein Termin für die Eröffnung steht noch nicht fest. Das Festival bietet also eine exklusive Preview ins Innere. „Da das Gebäude noch leer steht, kann man sehr gut die Essenz der Architektur sehen“, so Yuste.

Das Design aus Stahl und Glas trifft auf die Fassade von 1940. Xisco Kamal

Bastión de Santa Margalida

Einen seltenen Blick in die Eingeweide der Stadt bekommen Sie bei der Bastión de Santa Margalida im Carrer de Sant Miquel, 66A: Es handelt sich um einen Teil der ehemaligen Befestigungsanlage, die im 16. Jahrhundert ausgebaut wurde. „Zwar kann man durch eine Glasscheibe sehen, dass sich dort altes Mauerwerk befindet, der Ort ist aber normalerweise nicht zugänglich“, erklärt Yuste. Er wird als Lagerraum für Bibliotheken genutzt und kann erstmals besichtigt werden.

Ursprünglich befand sich hier eines der Eingangstore der Stadt.

Ursprünglich befand sich hier eines der Eingangstore der Stadt. Open House

Cripta de Sant Llorenç

Direkt unter der bekannten Església de la Santa Creu versteckt sich ein Juwel: die Cripta de San Llorenç. „Dort gibt es keine Messen, und sie ist nur sporadisch geöffnet“, sagt der Architekt. Dabei ist die Krypta in Palma einer der besterhaltenen Bauten aus dem Mittelalter, wo sich Details gotischer Architektur studieren lassen. „Als die neue Kirche erbaut wurde, wurde das alte Bauwerk beibehalten. Das passiert praktisch nie und ist ein wirklich einmaliger Fall“, so Yuste.

In der Cripta de Sant Llorenç. Simone Werner

Luftschutzbunker der Delegación de Defensa

Dass auch der Luftschutzbunker im Untergrund der Zweigstelle des Verteidigungsministeriums auf den Balearen im Programm auftaucht, ist der Initiative des Experten Bartomeu Fiol zu verdanken. „Die Bunker stoßen auf großes Interesse und spiegeln einen wenig bekannten Aspekt der Stadtgeschichte wider“, sagt Yuste. Tatsächlich befänden sie sich überall, und das völlig unbemerkt. Dieser Luftschutzbunker wurde vermutlich nach Ende des Bürgerkriegs (1936–1939) erbaut.

Ein Bunker-Besuch bringt Licht in ein Kapitel von Palmas Vergangenheit. Open House

Casa Plywood

Die Architekten Aina Salvà und Alberto Sánchez öffnen am Sonntagvormittag die Pforten ihres Wohnhauses, bei dem sie ihre eigenen Vorstellungen verwirklichten: „Sie nutzten natürliche Materialien wie Holz und den Kalksandstein Marès“, erklärt Yuste. Die lichtdurchflutete Casa Plywood ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich ein traditionelles Wohngebäude ästhetisch überzeugend und zugleich nachhaltig sowie mit lokalem Baumaterial umgestalten lässt.

SMS arquitectos zeichnen verantwortlich für das Projekt. Luis Díaz Díaz

Casa Cladera

Einen Katzensprung vom Carrer de Blanquerna entfernt steht die Casa Cladera. Auf den ersten Blick keine Augenweide, doch Yuste erklärt: „Sie ist ein wichtiger Bau in dem Sinne, dass sie ästhetisch klar der architektonischen Stilbewegung des Rationalismus folgt.“ Außerdem verspreche dort der Besuch, ein besonders vergnügliches Erlebnis zu werden: „Im Haus lebt eine Schauspielerin, die die Führungen selbst durchführt und mit ihrer Schauspielkunst bereichern wird.“

Eine Bewohnerin führt unterhaltsam durch das 1939 erbaute Haus. Open House

Sozialwohnungen im Carrer d'Ignasi Barraquer

Weitere acht just fertiggestellte Sozialwohnungen, die einen Besuch lohnen, befinden sich im Carrer d’Ignasi Barraquer, 58 im Norden von Palma. „Interessant ist, dass sie auf den traditionellen Rohstoff Marés zurückgreifen“, sagt Yuste. Weitere spannende Details: das Tonnengewölbe im Erdgeschoss, die Holzstruktur im ersten Stock oder die Verwendung von Poseidongras für die Decke. Bei dieser und auch bei allen anderen Sozialwohnungen muss man sich vorher anmelden.

Das Bauprojekt zeichnet sich durch besondere Klimafreundlichkeit aus. José Hevia

Molino d'en Carreres

Im wahrsten Sinne des Wortes ein Urgestein der Geschichte von Palma ist die Mühle Molí d’en Carreres, zu der das Rathaus jedoch selten Zugang gewährt. Der dort befindliche Mühlstein geht auf Isam al-Khawlani zurück und ist auf 902 und 903 datiert, als die Insel zum Reich al-Andalus gehörte. „Für mich ist das eine der interessantesten Sehenswürdigkeiten, die wir im Programm haben, aber ich glaube, dass die wenigsten das zu schätzen wissen“, sagt der Architekt.

Die Mühle gab es schon vor der Eroberung Mallorcas durch Jaume I. Open House

Casa patio en el Rafal

Die Casa patio en el Rafal ist ein Schmuckstück von einem Privathaus im Nordwesten der Stadt. 1983 erbaut, diente das Erdgeschoss zunächst als Geschäft und hat sich durch das 2020 abgeschlossene Umbauprojekt des Refuge Studio in eine großzügige Wohnfläche mit Innenhof und Swimmingpool verwandelt. „Alles ist jetzt voller Licht, das Gebäude hat eine tolle Atmosphäre bekommen“, schwärmt Yuste. Am Sonntagnachmittag können Sie einen Blick hineinwerfen.

Ein lichtdurchfluteter Wohntraum auf 110 Quadratmetern. Jaume Rebassa

Dampfmaschinengebäude und Schornstein

Eisenbahn-Liebhaber aufgepasst: Was sich im „Edificio de la máquina de vapor y la chimenea“, einem um 1874 erbauten Industriegebäude, befand, trieb dereinst sämtliche Züge am Bahnhof von Palma an. „Die innovative Dampfmaschine war bis 1959 in Betrieb und ist immer noch intakt, weil sie in all den Jahren danach nicht angerührt wurde“, sagt der Festivalleiter. Ein hochinteressanter Teil des industriellen Erbes der Insel, der sich mitten im Parc de ses Estacions versteckt.

Selbst regelmäßigen Besuchern des Parks ist der Bau meist unbekannt. Open House

Fundstätte Yacimiento de Son Espases

Auf den Spuren der Römer wandeln Sie bei einem Besuch der Fundstätte Son Espases. „Sie ist zwar prinzipiell immer zugänglich, aber nicht sehr bekannt und hat eine kuriose Geschichte“, sagt Yuste. „Denn sie befand sich dort, wo heute das Krankenhaus steht, und wurde Stein für Stein versetzt.“ Die Ausgrabungsarbeiten fanden in Rekordzeit statt. Die Fundstätte gehört mit ihren 62.000 Quadratmetern zu den bedeutendsten der Balearen.

Dank Open House gibt es eine geführte Besichtigung der Anlage Open House

Viviendas tuteladas Via 10, betreutes Wohnen

Ein Gebäude, bei dem man als Außenstehender sonst nur die Bar betreten darf, ist das von 2010 bis 2013 umgesetzte Sozialprojekt für betreutes Wohnen in der Passatge de Cala Figuera, 10: „Wohnungen, Restaurant, Werkstatt, Ausbildungsschule – alles ist unter einem Dach“, so Yuste. Wegen Covid gibt es zwar keinen Zugang zu den Wohnräumen, aber zwei Bewohnerinnen werden bei der Führung durch das Haus von ihrem Leben erzählen.

Das Projekt ist ein Musterbeispiel für nachhaltiges Bauen. Open House

Estación depuradora de aguas residuales

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Sie mag selbst keine Touristenattraktion sein, und doch filtert die Anlage EDAR 1 seit 1971 das Abwasser von Urlaubern an der Playa de Palma. Dass das Klärwerk Teil des Festival-Programms ist, liegt daran, dass Eduard Yuste einmal in Bilbao eine solche Anlage besichtigte und die Erfahrung überraschend interessant fand. „Besucher bekommen die biologischen Prozesse der Wasseraufbereitung erklärt, das ist extrem spannend.“

Die Kläranlage wird sonst höchstens von Schulklassen besichtigt. Joan Lladó