Wenn Barbara Radinger etwas sieht, das sie inspiriert, dann weiß sie sofort, wie ihr Gemälde am Ende aussehen soll – und vertieft sich gänzlich in ihr Werk. Norbert Schäfer geht es ähnlich. „Ich gehe auf die Straße und sehe die Bilder direkt. Und wenn ich sie später bearbeite, bin ich ganz in meinem inspirativen Flow“, sagt er. Radinger malt mit Pinseln, Schäfer tut dies mit der Fotokamera und später mit Bearbeitungsprogrammen. Es sind zwei verschiedene Welten von Kunst, doch die Schnittmengen sind unverkennbar. In der Gemeinschaftsausstellung „Los dos“ zeigen die beiden deutschen Mallorca-Liebhaber auf eindrucksvolle Weise, wie aus bestehender Kunst Neues erwachen kann – und wie sehr auch ihre Wahlheimat dazu beiträgt.

Schäfer entfremdet seine Fotos nachträglich am Computer Norbert Schäfer

Vom Sehen kennen sich Radinger und Schäfer schon länger – die Malerin aus dem Berchtesgadener Land und der Fotograf aus Düsseldorf verbringen einen großen Teil des Jahres auf Mallorca. Sie in Artà, er in Cala Ratjada. Die Idee, zusammenzuarbeiten, kam Schäfer vor etwa drei Jahren und war so simpel wie inspirierend: Radinger sollte aus Schäfers riesigem Fotoarchiv Bilder auswählen, die in ihr etwas auslösten – und die Leinwanddrucke dann übermalen, ganz so, wie es ihr in den Sinn kam. Zwei Jahre dauerte die Zusammenarbeit an, jetzt hat das Künstler-Duo 13 Werke im Centre Melis Cursach in Capdepera der Öffentlichkeit präsentiert.

Ausdrucksstarke Farben und ansehnliche Motive prägen Radingers Stil.

„Es ist für mich faszinierend, was Barbara aus meinen Fotos gemacht hat“, findet Schäfer und hat recht. Auf einigen Werken ist das Original noch deutlich wiederzuerkennen, auf anderen ist es gänzlich anders interpretiert. So wie bei der Aufnahme einer New Yorker Häuserschlucht, die jetzt zwei stilisierten Männchen als Bühne dient. „Ich habe in diesem Wolkenkratzer sofort einen Vorhang gesehen, es ist ein riesiger Schauplatz, die Menschen sind nur kleine Akteure“, so Radinger. Ein Pärchen mit Hund, das Schäfer bei einer seiner vielen Reisen durch die Welt am Strand von Perth in Australien aufgenommen hat, schlendert in Radingers Version durch die Fußgängerzone von Artà. „Mein Foto war eher ein Schnappschuss, nichts, was ich in einer Ausstellung präsentiert hätte. Aber Barbara hat es inspiriert, und ihr Werk gefällt mir deutlich besser“, so Schäfer ohne Neid.

Während des Treffens mit der MZ gibt sich der Fotograf betont bescheiden. Will nicht, dass im Artikel die Namen all der bekannten Unternehmen und Promis genannt werden, für die er während seiner jahrzehntelangen Laufbahn als Werbe- und People-Fotograf ge-shootet hat. Es solle mehr um seine künstlerischen Aufnahmen gehen, jene Leidenschaft, die er anfangs, in den 80ern, nur für sich allein ausgelebt hat und die heute schon lange ein weiteres Standbein seiner Arbeit ist. Es sind Werke, bei denen er durch verschiedene fotografische Techniken mit der Kamera Momente so einfriert, wie unser Auge sie zwar eigentlich aufnimmt, unser Gehirn sie aber nicht wiedergibt. „Es geht um das selektive, das wahre Sehen, das in unserer Wahrnehmung verfremdet wird“, so Schäfer. In seinen nächtlichen kreativen Schaffensphasen am Computer entfremdet Schäfer dann selbst, auf seine eigene Weise. Heraus kommen farbenfrohe, dynamische und lebensbejahende Werke und Kollagen, auf denen der Betrachter oft auch nach langem Hinschauen immer wieder neue Details entdeckt.

Die Lebensfreude, sie ist noch so ein Punkt, der Schäfer und Radinger verbindet. „Ich bin ein positiver Mensch und meine Arbeit fokussiert die positiven Dinge“, so Schäfer. „Ich will nichts abbilden, was verstört“, sagt auch Barbara Radinger. Ihr vom Leipziger Maler Max Beckmann inspirierter Stil ist ebenfalls geprägt durch ausdrucksstarke Farben, oft sind auch die Motive ansehnlich: Frauen, Landschaften oder pittoreske Dörfer Mallorcas, vorzugsweise Artà. Die Bayerin kam erst über Umwege, nach einer kaufmännischen Ausbildung, Erfahrungen in der Modewelt und einem literaturwissenschaftlichen Studium dazu, die Malerei in den Mittelpunkt ihres Lebens zu rücken. „Vielleicht recherchiere und analysiere ich deshalb immer sehr viel, wenn ich mich mit einem Motiv befasse. Beim Übermalen von Norberts Fotos wurde mir dieser Teil der Arbeit quasi abgenommen, schließlich war die Basis ja bereits da“, berichtet sie. Gleichzeitig habe sie ihrerseits Schäfer zu neuen Bildideen inspiriert.

Beide haben neben den „Los dos“-Werken in Capdepera auch ihren eigenen Raum, mit Werken nur von sich. Radinger lässt dort mit magenta-dominierten Bildern, Musik und Rosenblättern weibliche Schwingungen im mediterranen Flair aufkommen, Schäfer fokussiert sich – diesmal ganz ohne Entfremdung oder Selektion – auf verschiedene Ansichten von Capdepera. Beide wollen damit auf ihre Art ihrer Wahlheimat danken – für eine weitere, unerschöpfliche Inspirationsquelle.

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