Wer eine historische Bibliothek betritt, begibt sich in eine eigene Welt. Und in eine andere Zeit. Nicht nur Buchliebhaber genießen das Gefühl, von vergilbtem Pergament und dem Wissen früherer Generationen umgeben zu sein. Das Kulturerbe in solchen Bibliotheken will bewahrt werden. In Palma kümmern sich im Rathaus Bibliothekare um die kostbaren Bücher und im Kloster La Real ein 83-jähriger Mönch: Pater Josep Amengual.

Die Klosterbibliothek wirkt wie aus einem Märchen. Überall stapeln sich Manuskripte und Bücher in Ledereinband, teils kunstvoll per Hand geschrieben, teils mit den ersten Druckmaschinen in Mainz erstellt. Eine enge Wendeltreppe verbindet die drei Stockwerke miteinander. Staub flirrt in der Luft, Holzdielen knacken bei jedem Schritt. Es duftet nach Moder und jahrhundertealten Gedanken.

Pare Josep Amengual kümmert sich um die Bücher in der Bibliothek des Klosters la Real. Nele Bendgens

Umgeben von Geschichte, die auf leicht zerknickbarem Papier steht, geht Pater Josep Amengual gelassen durch die Regale. Immer wieder zieht er ein Manuskript aus dem 15. Jahrhundert oder ein Büchlein aus der Renaissance heraus. Die eine Hand in einem Plastikhandschuh, um die Bücher nicht zu verdrecken, die andere in der Hosentasche. In dem untersten Stockwerk der Klosterbibliothek gibt es 15.000 Bücher. Gefühlt kann Amengual zu jedem einzelnen eine Geschichte erzählen.

Die Bibliothek im Kloster la Real ist seit vier Jahren geschlossen

Auf die Frage hin, welches sein Lieblingsbuch ist, bedenkt er einen mit einem zweifelnden Blick. Es ist direkt klar, die Frage scheint ihm eher unnötig. Aber der Mönch bleibt höflich und zeigt auf das nächstbeste. „Das hier“, sagt er völlig ohne Erklärung. Dann geht er auch schon zum nächsten Regal. Amengual, der älteste der fünf Mönche, die noch im Kloster leben, liebt offenbar alle seine Bücher gleich. Er ist seit Jahren der Hüter der Bibliothek. Und einer ihrer wenigen Besucher, denn die Bibliothek ist seit über vier Jahren geschlossen. Obwohl hier einige Bücher sind, die sonst nicht auf den Balearen zu finden sind. Obwohl das Kloster historisch wichtig ist, weil hier der mallorquinische Gelehrte Ramon Llull zwei seiner Bücher schrieb.

In diesem Manuskript sind Klosterregeln festgehalten. Nele Bendgens

Der Inselrat ist dafür zuständig, dass die Bibliothek im Betrieb ist. Doch im Juli 2017 schloss er sie, um die Verträge mit den Betreibern der Bibliothek zu erneuern. Es mussten Stellen ausgeschrieben werden, alles verzögerte sich. Erst zwei Jahre später stand ein Vertrag – doch seit 2019 hat sich nichts getan. Die fünf Klosterbrüder sind mit den historischen Büchern auf sich allein gestellt. Amengual sagt, sie fänden es schade, dass die Bibliothek geschlossen sei. Der Inselrat sei aber auf einem guten Weg, Corona habe den Prozess nur verlangsamt. Bis der Inselrat Bibliothekare einstellt und Dokumentare, die den Bestand zu Ende katalogisieren und digitalisieren, kümmert Amengual sich um die Bücher. Wobei der Mönch auch andere Verpflichtungen hat, zum Beispiel die Messe halten. Aber wenn Historiker und Sprachwissenschaftler aus der Universität die Bücher konsultieren wollen, verschafft er ihnen Zugang und sucht ihnen die Bücher raus. Sonst gibt es keine Besucher.

Palmas Klosterbibliothek wurde 1930 neu gegründet

Die aktuelle Bibliothek wurde 1930 von Pater Gaspar Munar neu gegründet. Auch zuvor hatte das Kloster eine Bibliothek, aber von den über Jahrhunderte von den Mönchen zusammengetragenen Büchern ist nur wenig erhalten. „Das meiste wurde nach Madrid gebracht“, sagt Amengual. Im 18. Jahrhundert verstaatlichte das Königshaus sämtliche Besitztümer der Kirche. Im Zuge dessen wurde auch die Kloster-Bibliothek aufgelöst. Ab 1930 sammelten die Mönche neue Schätze. Das älteste und wertvollste Exemplar ist das „Llibre del Consolat de Mar“, ein Buch aus dem Jahr 1385, das das damalige Meeresrecht behandelt. Es ist das älteste Buch über den Rechtskodex im Mittelmeer, auf dünnem Leder in gotischer Schrift per Hand geschrieben. Das Buch war nach seinem Druck jahrhundertelang verschollen. Ein Pfarrer kaufte es dann einem Bauern ab, der es mit einem Stapel anderer Bücher rumliegen hatte. Gaspar Munar erwarb es wiederum Jahre später für eine Bibliothek.

Mit den Büchern der Kloster-Bibliothek haben Generationen gelernt. Nele Bendgens

Amengual sieht es als seine Pflicht, die Bücher für zukünftige Generationen zu bewahren. „Dank derer, die vor uns geschrieben haben, schreiben wir. Es ist unsere Kultur“, sagt er. „Alles andere wäre Verrat an den nächsten Generationen.“ Das Bewahren alter Schriften und Bücher ist tatsächlich die Hauptaufgabe historischer Bibliotheken. Manuel José Pedraza, Historiker an der Universität von Zaragoza, ist Experte für diese Art von Sammlungen. Für ihn ist es nicht so tragisch, dass die Bibliothek im Kloster von La Real geschlossen ist, solange Wissenschaftler Zugang zu den Büchern erhalten. „Die Funktion einer solchen Bibliothek ist nicht die eigentliche Nutzung der Bücher, sondern ihr Erhalt. Wenn die Gefahr besteht, dass ein Buch beschädigt werden könnte, sollte die Nutzung sogar verboten werden“, sagt er.

Die Biblioteca de Cort befindet sich in Palmas Rathaus. Von alten Büchern umgeben büffeln hier Schüler und Studenten, während andere Besucher in den Tageszeitungen blättern. Nele Bendgens

Ähnlich handhaben es die Bibliothekare Toni Rubio und Luisa Calafat von der Biblioteca de Cort. Die älteste städtische Bibliothek ist in Palmas Rathaus untergebracht. Sie wurde 1935 gegründet und sammelt ebenfalls Bücher aus verschiedenen Jahrhunderten. Das älteste ist eine Ausgabe der „Blanquerna“ von Ramon Llull aus den frühen Zeiten des Buchdrucks, dem Jahr 1521. Wer eines der Bücher aus dem historischen Bestand sehen will, muss einen schriftlichen Antrag stellen und es gut begründen. „Es muss schon einen wissenschaftlichen Nutzen haben“, sagt Rubio. Dann bekommen die Forscher Handschuhe, um das Buch zu schützen und auch ein kleines Podest, damit das Buch nicht zu stark geknickt wird. „Unsere oberste Priorität ist die Konservierung des Buches.“ Wie viele Bücher aus ihrem Bestand, ist die „Blanquerna“ digitalisiert. Wer nicht wirklich die originale Ausgabe für seine Forschung blättern muss, kann die abfotografierten Seiten auf seinem Rechner studieren.

Die Holzmaserung in der Biblioteca de Cort ist aufgepinselt

Die Biblioteca de Cort ist wie auch schon die Bibliothek im Kloster wunderschön. Dunkle Regale, die Balustrade um die Galerie herum, Holz, wohin das Auge blickt. Zumindest sieht es so aus. Die Decke ist nicht aus Holz, sondern verputzt, allerdings ist darauf kunstvoll eine Holzmaserung gepinselt worden. Nur an wenigen Stellen ist die Farbe abgebröckelt, dort unterbrechen weiße Punkte die dunkle Holzfarbe. Gebaut wurde die Bibliothek an der Stelle, an der im 19. Jahrhundert die Feuerwehr untergebracht war. Nachdem das Rathaus 1894 niedergebrannt war, wurde das Gebäude neu gegliedert und hier die Bibliothek eingerichtet.

Toni Rubio ist Bibliothekar in der Biblioteca de Cort. Nele Bendgens

Dass zwei von Palmas historischen Bibliotheken ausgerechnet in einem Kloster und im Rathaus zu finden sind, ist in den Augen von Manuel José Pedraza nicht verwunderlich: „Historische Bibliotheken befinden sich normalerweise in Institutionen, die selbst eine Geschichte haben“, erklärt er. Beispiele dafür seien Universitäten, Kathedralen und auch die Bibliothek in Spaniens Zentralbank, der Banco de España.

Jedes historische Buch ist ein Einzelstück und ein Kunstwerk

Abgesehen von der historischen Sammlung bietet die Rathausbibliothek moderne Bücher an. Sie ist auf Balearen-Thematik spezialisiert. Das können wissenschaftliche Bücher sein, aber auch Literatur und Kunst von den Inseln. „Wir haben als Bibliothek die Aufgabe, das Moderne mit dem Überlieferten zu verbinden“, sagt Bibliothekarin Luisa Calafat. Und so büffeln an diesem Tag Schüler und Studenten an den Tischen, einige Rentner blättern durch die lokale Presse. „Manche kommen hier jeden Tag, um ihre Zeitung zu lesen“, erzählt Rubio. In der Bibliothek liegen auch die deutschen Mallorca-Zeitungen sowie der „Spiegel“. Nachrichten aus der Moderne, umgeben von jahrhundertealten Ideen. Für die Bibliothekare ist diese Verbindung zwischen alt und neu das Schöne an ihrer Bibliothek. „Man fühlt sich hier als Teil der Geschichte“, sagt Rubio.

Wer eine historische Bibliothek wie die im Rathaus betritt, begibt sich in eine andere Welt. Nele Bendgens

Die Digitalisierung, wie sie in der Rathausbibliothek bereits betrieben wird und im Kloster La Real geplant ist, ist wichtig, um möglichst vielen Menschen den Zugang zu den historischen Werken zu eröffnen. Doch ein digitales Dokument mit Bildern der einzelnen Seiten ersetzt das Buch nicht. Und erst recht keine Bibliothek. Jedes Buch sei ein Kunstwerk für sich, sagt Pedraza. Es geht nicht nur um die Information im Text, sondern auch darum, wie es gebunden ist, wie gedruckt oder geschrieben. Auch die Notizen, die Menschen vor Hunderten Jahren auf die Seiten gekrakelt haben, die Knicke, der Mottenbefall und teils improvisierte Reparaturen tragen zu dem Gesamtkunstwerk bei. „Jedes einzelne Buch wird mit der Zeit einzigartig“, sagt er.

Und so ist jede historische Bibliothek auch eine Art Museum oder Kunstsammlung, deren Werke bewahrt werden müssen. Pater Amengual geht dieser Aufgabe mit Ernsthaftigkeit nach. Er bringt alle Bücher wieder an ihren angestammten Platz, streicht ihnen über den Rücken. „Manche Leute sagen mir, dass diese Bücher doch niemanden interessieren“, erzählt der Mönch. Dabei stimme das so nicht. Millionen Menschen interessiere ein historisches Buch vielleicht nicht, aber eine Minderheit eben schon. „Und das wird auch in den nächsten Generationen so bleiben“, fasst er zusammen und beschützt weiter die Bücher in seiner verschlossenen Bibliothek.