Es ist zwanzig Jahre her, dass die mallorquinische Popband Antònia Font ihr drittes Album herausbrachte. Einer der bis heute beliebtesten Songs – nicht zuletzt, weil man mit ihm wunderbar TikTok-Videos und Instagram-Stories unterlegen kann – heißt „En s’estiu“ (Im Sommer).

Es beschreibt einen unbeschwerten Sommertag auf einem kleinen Boot vor der mallorquinischen Küste. Ein Gläschen Wein, eine Kippe, die Sonne brennt, der Wind kühlt die Haut – so klang 2002 das Mallorca-Feeling aus der Perspektive von hundert Prozent hausgemachten Mallorquinern. „Es que estic de puta mare / d’ençà que és en s’estiu / gairebé no recordava / el que és viure tranquil“, lautet der Refrain. („Es geht mir ausgezeichnet / seit es Sommer ist. / Ich erinnerte mich kaum noch / wie es ist, so in Ruhe zu leben.“)

Seit der vorläufigen Auflösung zum Mythos geworden

Wir spulen zwei Jahrzehnte vor bis zum vergangenen Freitag. Da erscheint, nach knapp zehnjähriger Pause, das neue Album „Un minut estroboscòpica“. Zehn neue Lieder von einer der erfolgreichsten Bands, die Mallorca je hervorgebracht hat. Einer Gruppe, die nach der vorläufigen Auflösung 2013 nicht nur im Gedächtnis der Menschen geblieben, sondern auch zum Mythos geworden ist.

Denn Antònia Font waren mehr als nur eine weitere Popband von der Insel. Sie waren Ausdruck eines Lebensgefühls. Eine Band, die im mallorquinischen Dialekt sang. In manchen Momenten mit etwas verqueren Texten, manchmal ironisch, häufig verträumt. Mit teilweise unwiderstehlichen Melodien aus der Feder von Bandleader und Gitarrist Joan Miquel Oliver. Und ziemlich erfolgreich.

Nur ein Songtitel auf dem Plakat

Wie bedeutend die Band in Spanien ist, zeigte sich vergangenes Jahr: Als das größte Festival des Landes, Primavera Sound in Barcelona, die Ausgabe für 2022 ankündigte, stand auf dem Plakat nicht mal ein Bandname, sondern nur ein Songtitel: „Alegria“, eines der bekanntesten Lieder des Quintetts. Mit der Festivalankündigung wurde zugleich das Comeback der Band bekannt gegeben.

„Un minut estroboscòpica“ enthält einige gute Songs, wie etwa den Titeltrack, eine luftige Popnummer in bester Antònia-Font-Manier. Auch die Singles „Una daixona de pols“ und „Oh la la“ sowie die Hommage an den 2019 verstorbenen mallorquinischen Kletterer „Miquel Riera“ schließen an die besten Momente der Band mit dem Frauennamen an.

Ein Album für die Fans

Es ist vor allem ein Album für die Fans: jene von früher und diejenigen, die in den vergangenen Jahren hinzugekommen sind. Anders könnte man aber auch sagen: Die Musik klingt nicht gerade nach einer Weiterentwicklung. Irgendwie hat man diese Sounds, diese Melodien, die Wortspiele schon gehört. Antònia Font macht eben Antònia Font. Lass es stehen, wenn es dir nicht schmeckt. Um Innovation können sich andere kümmern.

Das Cover des Albums „Un minut estroboscòpica“. | FOTO: ANTÒNIA FONT

Und doch ist dieses Album nicht aus der Zeit gefallen, vielleicht setzt es sogar ein Ausrufezeichen zur richtigen Zeit. Das liegt insbesondere am Song „Cultura silenci“ (Schweigekultur). Denn wenn man davon ausgeht, dass es immer schon die Gabe dieser Band war, das Lebensgefühl der Inselbewohner in Songs auszudrücken, liegt einiges im Argen.

„Comprar-se una casa, nedar a s’Almunia / de cada vegada hi hem de posar més fantasia / Poder desplaçar-se, anar a passar un dia /sa vida normal i corrent és luxúria assassina“, klagt die Band an. („Sich ein Haus kaufen, in der Cala Almunia schwimmen / dafür braucht es immer mehr Fantasie. / Irgendwo hinfahren, einen Tag verbringen / der Alltag ist mörderische Wollust.“)

Tourismus und Aufwertung

Von dem entspannten Nachmittag auf dem Boot im Jahr 2002 ist nicht mehr viel übrig. Überfüllung, Überteuerung und Stress markieren den Alltag. Tourismus und Aufwertung sind daran schuld – da muss man nicht groß zwischen den Zeilen lesen. Die Band hegt unmissverständliche Zweifel, dass die Mallorquiner wirklich etwas davon haben: „I què mos donen? No mos donen res. / I què mos deixen? No mos deixen res.“ (Und was geben sie uns? Sie geben uns nichts./ Und was lassen sie uns übrig? Sie lassen uns nichts übrig.“)

Das mag man nun übertrieben finden, gar unfair oder einfach blöd. Aber gut aufpassen sollte man. Denn wenn Antònia Font etwas singen, hören viele Menschen zu. Auch wenn am Ende nur TikTok-Videos von Stränden, Villen und Yachten mit dem Song unterlegt werden.