Die russische Schriftstellerin Ljudmila Ulizkaja ist am Donnerstag (28.4.) mit dem renommierten, mit 50.000 Euro dotierten Literatur-Preis Prix Formentor (ehemals: Premio Formentor) ausgezeichnet worden. Die Jury, die im Haus des Romanciers José Saramago auf Lanzarote zusammenkam, begründete ihre Entscheidung mit dem "kraftvollem erzählerischen Atem", der Sensibilität und dem Feingefühl der Autorin.

Sie gilt als eine der tiefgründigsten und einflussreichsten Schriftstellerinnen der russischen Gegenwartsliteratur, sodass ihr Name wiederholt als Kandidatin für den Literaturnobelpreis genannt wurde.

Im März Umzug nach Berlin

Ljudmila Ulizkaja wurde 1943 im Ural geboren, ihre jüdischen Vorfahren stammen aus der Ukraine. Sie schloss ihr Biologiestudium an der Moskauer Universität mit einem Magister ab, arbeitete als Genetikerin am Akademie-Institut in Moskau und war zwei Jahre lang am Jüdischen Kammermusiktheater als literarische Beraterin tätig. Dann etablierte sie sich als als freischaffende Autorin und Publizistin. Im März 2022, kurz nach Beginn der russischen Invasion in der Ukraine, zog sie nach Berlin.

Die Schriftstellerin ist Kreml-Kritikerin, hat bei verschiedenen Gelegenheiten angeprangert, wie die Behörden in ihrem Land versuchten, eine kulturelle Ideologie durchzusetzen, die in vielerlei Hinsicht dem Propagandastil der Sowjetzeit ähnele, und brachte ihre Besorgnis über die zunehmenden Einschränkungen der Meinungsfreiheit in Russland zum Ausdruck. Auch unterzeichnete sie Briefe, in denen sie bessere Haftbedingungen für den Oppositionspolitiker Alexei Nawalny und den Schutz der Investigativjournalistin Jelena Walerjewna Milaschina fordert.

Eine "Erbin der großen Erzähltradition ihres Landes"

Die Jury des Formentor-Preises bestand aus Elide Pittarello, Marta Rebón, Gustavo Guerrero, Enric Bou und dem Vorsitzenden Basilio Baltasar. Sie betonte, dass Ulizkajas Romane unbequeme Fragen aufwerfen, die Sieger und Besiegte, Helden und Verräter, Mörder und Opfer gleichermaßen betreffen. Mit einem hohen moralischen und religiösen Gehalt - dessen Quellen im Judentum und im Christentum zu finden sind - erforsche das Werk der Autorin die zweideutigen und komplexen Beziehungen zwischen Gut und Böse. Baltasar bezeichnete die Gewinnerin nach der Bekanntgabe als "Erbin der großen Erzähltradition ihres Landes."

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Wie einen "Hauch von Luft, einen Hauch von Licht, vielleicht sogar einen Hauch von Hoffnung in einem Raum, der gestern noch lebendig und vertraut war und der in einem Augenblick seine Konturen verloren hat", empfing die Schriftstellerin die Nachricht vom Formentor-Preis, für den sie sich zutiefst bedankte: "Ich hätte nie erwartet, meinen Namen in einem so großartigen literarischen Umfeld zu sehen", versicherte sie laut der Formentor-Stiftung.

Der Prix Formentor wird im kommenden September aufgrund des Besitzerwechsels des historischen Hotels Formentor auf Mallorca nicht mehr auf den Balearen, sondern in Las Palmas de Gran Canaria verliehen. 1961 wurde der Preis zum ersten Mal vergeben. Zwischen 1967 und 2011 wurde der Preis nicht ausgeschrieben. Zu den bisherigen Gewinnern zählen Carlos Fuentes, Juan Goytisolo, Javier Marías, Enrique Vila-Matas, Ricardo Piglia, Roberto Calasso, Alberto Manguel, Mircea Cartarescu, Annie Ernaux (2019), Cees Nooteboom (2020) und César Aira (2021). /bro