Ein gewisses Knistern liegt in der Luft. Eine mit Vorfreude aufgeladene Spannung. Elf Tage sind es noch bis zur Weltpremiere der Oper „L’Arxiduc“, einer Produktion der Balearen-Sinfoniker und die erste Auftragsarbeit der balearischen Regierung dieser Art und Größenordnung: Rund 100 Künstlerinnen und Künstler stehen dafür auf der Bühne. Der Zeitplan ist eng getaktet. Vor der Gesangsprobe quetschen sich drei Solisten und der Opernregisseur Paco Azorín zum Gespräch in eine winzige Garderobe in den Eingeweiden des Teatre Principal in Palma.

Azorín trägt eine Tukan-Schiebermütze und bemüht sich auch mit seinen Worten um Lässigkeit – obwohl er unter Druck steht: Das Ziel ist, dass diese Oper nicht sofort nach ihrer Geburt wieder stirbt, sondern einen festen Platz in den Spielzeiten erobert und an anderen Häusern aufgeführt wird. Ob das gelingt, hängt von der Rezeption der bislang zwei angesetzten Aufführungen ab. „Ich glaube aber an die Notwendigkeit, ein modernes Repertoire zu schaffen. In tausend Jahren werden die Musikwissenschaftler die Opern im 21. Jahrhundert nicht wegen ihrer Interpretationen von ,La traviata‘ studieren, sondern wegen der Werke, die in dieser Zeit entstanden sind“, sagt der Regisseur.

Das Innen- und Liebesleben des Erzherzogs

Zwar sind neue Opern immer ein Risiko, doch die Zeichen stehen nicht schlecht: Für Azorín ist es die dritte Zusammenarbeit mit dem preisgekrönten Komponisten Antoni Parera Fons. Ihr letztes gemeinsames Opern-Projekt, „María Moliner“ (2016), war ein Erfolg. Nun bringen sie die Geschichte des Erzherzogs Ludwig Salvator (1847–1915) auf die Bühne. Eine komplexe Figur, der die Macht in die Wiege gelegt wurde und die zu einem hochgebildeten Mann heranwuchs, der intensiven Kontakt zur Bevölkerung von Mallorca pflegte. Azoríns Vision stützt sich auf das Libretto von Carme Riera: „Der Operntext stellt die traditionelle Vorstellung von einem großartigen Menschen, der Wunderbares für die Insel getan hat, auf den Prüfstand“, so der Regisseur.

Riera äußert dabei nicht unumstrittene Thesen: etwa, dass der Erzherzog als Spion gearbeitet hat. In der Oper geht es weniger um die Rolle des Erzherzogs als Wissenschaftler, sondern um „verborgene Seiten“ wie seine bisexuelle Neigung, um sein „gequältes Innen- und Liebesleben“.

Dazu bedarf es zweier Sänger, die den Habsburger verkörpern: des Baritons José Antonio López als alter und des Tenors David Alegret als junger Erzherzog – im echten Leben sind beide fast gleich alt. „Als Person mögen wir den Arxiduc nicht besonders. Aber das heißt nicht, dass wir es nicht mögen, ihn zu spielen“, sagt Alegret, der auch hinter der Bühne jovialen Charme versprüht und einen imposanten Schnauzer trägt. „Was Parera Fons musikalisch aus der Figur macht, ist fantastisch und für einen Sänger sehr reizvoll.“ López stimmt zu: „Es geht darum, das innere Universum eines der letzten Habsburger zu erforschen.“ Bühnenbild und Kostüme werden zeitgenössisch-konzepuell, trotzdem bleiben Geschichte und Figuren in ihrer Zeit verankert.

Ludwig Salvator kurz vor seinem Tod

Beide Solisten sind während der gesamten Oper eng miteinander verbunden: Der junge Erzherzog setzt in Aktion um, was der alte erzählt – man erlebt Vergangenheit und Gegenwart gleichzeitig, wenn Ludwig Salvator kurz vor dem Tod über sein Leben reflektiert. Trotzdem wird man keinen gebrechlichen Mann präsentiert bekommen, der nur ans Bett gefesselt ist: Auch López ist auf der Bühne aktiv. „Der Fokus verschiebt sich oft – manchmal bin ich es, der mehr beobachtet“, sagt Alegret.

Schlüsselszenen sind etwa, wie der Erzherzog Catalina Homar und seinen Sekretär und Geliebten Wratislaw Vyborny kennenlernt oder der (von Carme Riera vermutete) emotionale Moment, in dem er sein Testament verfasst. Die Sänger wollen nicht spoilern, doch die Schlussszene sei eindeutig die bewegendste: „Sie ist wunderbar, sagenhaft und beeindruckend“, sagt María José Montiel. Die Mezzosopranistin – ganz und gar Diva, aber ohne Allüren – übernimmt den Part der Catalina Homar. Sie betont, dass diese weit mehr als „nur“ Geliebte war: Mit Intelligenz und Intuition verwaltete sie die Güter des Erzherzogs. „Ich bin eine Erinnerung aus seiner Jugend und erzähle, was geschah“, erklärt Montiel. Die Hintergrundgeschichte der Figur werde jedoch nicht ausführlich erzählt – der Fokus liegt klar auf der gemeinsamen Zeit mit Ludwig Salvator.

In „María Moliner“ hatte die Sängerin die anspruchsvolle Hauptrolle, als Catalina Homar ist ihr Auftritt deutlich kürzer. „Die Partien der beiden Erzherzöge sind unglaublich lang. Die stimmliche Herausforderung für sie ist enorm!“, sagt Montiel. „Wir drei waren ‚Azubis‘ bei Antoni Parera Fons und sind für intensive Probentage zu ihm nach Zürich gefahren.“ Es gebe Komponisten, die die Stimmen der Sänger kaputt machen, doch er komponiere wirklich für das empfindliche „Instrument“ der menschlichen Stimme und verstehe dessen Bedürfnisse, sagt Paco Azorín. „Und er hat den Rhythmus und die Theatralik einfach im Blut!“

Komponist Antoni Parera Fons ist bei den Proben dabei

Den Beweis liefert die Probe im Anschluss. Antoni Parera Fons lässt es sich nicht nehmen, fast immer dabei zu sein. Zunächst passiert viel in seinem Inneren, wenn der 79-Jährige konzentriert und still mit verschränkten Armen neben Pablo Mielgo sitzt. Der musikalische Leiter indes wiegt sich mit dem Taktstock energetisch hin und her, bewegt den ganzen Körper und tut ungezügelt seine Begeisterung kund („Bellissima, bravo!“). Dann hält es auch Parera Fons nicht mehr auf seinem Stuhl: Er erhebt sich und verlangt mit ausdrucksstarker Gebärde und Mimik: „Ich will Enthusiasmus!

Enthusiastisch: Komponist Antoni Parera Fons (li.) und Pablo Mielgo, Leiter der Sinfoniker (Mi.). Nele Bendgens

Hauptsächlich sei er stets vor Ort, weil es ihm so viel Freude macht, eine neue Welt entstehen zu sehen, erklärt der Komponist, als man ihn kurz nach draußen entführt. „Manchmal müssen aber auch Dinge gekürzt, hinzugefügt oder verändert werden.“ Und er hat immer ein offenes Ohr. „In der Welt der Oper hat man fast nie den Komponisten vor sich und kann ihn fragen: Gefällt dir das?“, sagt Parera Fons. „Verdi lebt natürlich in seiner Musik weiter. Aber er antwortet in der Regel nicht.“

Text und Musik als Einheit

Neben Katalanisch wird in der Oper auch ein wenig Wienerisch gesprochen. Und die Mutter des Habsburgers, Maria Antonia von Neapel-Sizilien, hält ihm eine Standpauke auf Italienisch. „Das Wort hat eine unersetzbare Würde und Kraft. Es ist das Skelett und die Essenz. Meine Pflicht ist es, ihm die Musik zu verleihen, die es erfordert“, sagt Parera Fons.

Damit Text und Musik als Einheit funktionieren, versuche er zuerst, die Figur und ihre Entwicklung zu verstehen, ihre Gefühle und Zweifel. Daraus ziehe er eine Art Code, der trotz Veränderungen wiedererkennbar bleibt. „Danach braucht es einen klaren theatralischen Impuls, damit etwas Lebendiges entsteht.“ Ist das einmal vollbracht, hat Parera Fons eine „Reisegeschwindigkeit“, wie er sagt, und kann auf einem „stabilen Gerüst“ aufbauen.

Vom Walzer bin zur mallorquinischen "tonada"

In einer Szene gehe es um Wesenzüge, die den Österreichern zugeschrieben werden. „Da gibt es ein Zwischenspiel mit Walzer im Hintergrund.“ Sonst höre man eine Basis mit mediterranen Melodien und Rhythmen von Mallorca. Eingeflochten ist auch eine tonada – traditionelles mallorquinisches Liedgut – die, mit verschiedenen Emotionen verknüpft, vom Chor oder auch von Catalina Homar gesungen wird.

Genau diesen Part übt María José Montiel in der heutigen Probe: Mit geschlossenen Augen singt sie die wehmütigen Klänge. Danach ist Szene acht von insgesamt 17 Szenen an der Reihe. Es geht um die Beziehung zwischen dem Erzherzog und seiner Geliebten. Alle drei Solisten sind beteiligt, sie werfen sich die vokalen Bälle zu, die dramatischen Gesänge überschneiden sich und bilden eine beachtlich melodische und zugängliche Fusion. Ob es darüber hinaus Arien mit echtem Ohrwurm-Potenzial gibt, bleibt bis zur Premiere ein Geheimnis.

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L'Arxiduc (Oper): Weltpremiere: 25. November, 20 Uhr, 27. November, 20 Uhr, auf Katalanisch (mit Deutsch und Italienisch), Teatre Principal, C/. de la Riera, 2, Palma, Eintritt: 12–80 Euro, Karten: teatreprincipal.koobin.com