Frischer Sound dank der 80er: Eine Rockband von Mallorca erfindet sich neu

OR gilt vielen als die beste Live-Band der Insel. Jetzt hat sie mit ihrem neuen Album „Focs Artificials“ einen Stilbruch vollzogen

Die mallorquinische Rockband OR.

Die mallorquinische Rockband OR.

Patrick Schirmer Sastre

Patrick Schirmer Sastre

Wenn eine Band einen radikalen Kurswechsel vollführt und sich plötzlich an der musikalischen Sprechweise eines längst vergangenen Jahrzehnts bedient, ist dies nicht selten ein deutliches Anzeichen für kreative Zahlungsunfähigkeit. Manchmal aber ist es auch ein Befreiungsschlag.

Die mallorquinische Band OR (gesprochen O erra) hatte sich in den vergangenen Jahren auf den Bühnen der Insel mit ihrem schnörkellosen, weitgehend unglamourösen, auf Katalanisch dargebotenen Pop-Rock einen Ruf als gute Liveband erspielt. Sie hätte sicherlich keinen Fehler begangen, wenn sie diese Richtung weiterverfolgt hätte. Das Publikum wäre dabeigeblieben.

Der Song des Sommers

Aber dann probierte das Sextett um den charismatischen Frontmann und Sänger Pau Franch doch einmal etwas Neues aus. Den Auftakt machte der Song „La canción del verano“ (Der Song des Sommers). Eine wunderbare, eingängige Nummer melodiösen Indie-Rocks. Auf den Festivals des vergangenen Sommers sang das Publikum jede Zeile mit. Dass der Text davon handelt, dass zwei Menschen auf einem Dorffest auf Mallorca anbandeln und einander die Kleider vom Leib reißen, war für die Popularität des Liedes sicherlich kein Nachteil.

Der Song dürfte dazu beigetragen haben, dass OR beim balearischen Musikpreis 2022 den Publikumspreis als beste Live-Band bekamen. Der Umstand, dass Pau Franch das Publikum mitzureißen weiß, dürfte der andere Grund sein. Mallorquinische Bands tendieren normalerweise dazu, wie antike Statuen regungslos auf der Bühne zu stehen.

Stilistische Kehrtwende

Nun, einige Monate später, hat die Band ihr viertes Album „Focs Artificials“ (Feuerwerk) nachgelegt. Und tatsächlich hat die Band eine stilistische Kehrtwende gemacht. Es erklingen Synthesizer und in Reverb ertränkte Drums. Die ohnehin schon melodischen Lieder sind noch melodiöser geworden. Und die Songs haben eine Leichtigkeit, die sie sicherlich auch tanzbarer machen als die bisherige Musik der Gruppe.

Feuerwerk für die Bühnen

Feuerwerk für die Bühnen / Patrick Schirmer Sastre

„Hater“ ist die zweite Single. Ein ebenso hymnischer Song wie „La canción del verano“, in der die Band auf ironische Weise mit den verbalen Angriffen umgeht, denen sie bisweilen in den sozialen Medien ausgesetzt sind.

Momente der Trauer

„Llagrimal“ hingegen ist eine mehrstimmig gesungene Ballade über einen Moment, in dem die Trauer und die Depression ausweglos erscheinen. Lieder wie „Ara o mai“ oder „Això s’en va a la merda“ hingegen beweisen, wie wohl sich OR in ihrer neuen Mischung aus dominierenden Keyboards, elektronischen Drumbeats und kleinen Synthesizer-dip-dup-dip-düp-Fillern fühlen. Mal kann auch eine verzerrte E-Gitarre drübergelegt werden.

OR erfinden natürlich nichts neu, diese Art von Musik hat man sicherlich schon gehört. Aber sie beweisen einen Mut zur musikalischen Theatralik, die man bei Bands von der Insel selten findet. Bei der Präsentation des Albums erklärte Franch, das neue Album sei ein „Risiko“ gewesen. Das dürfte Koketterie eines Mannes gewesen sein, der genau weiß, dass er sein bislang bestes Werk vorgelegt hat.

Ende März musste sich die Band erstmals ihrem Publikum stellen. OR spielten an zwei aufeinanderfolgenden Tagen Konzerte im Auditorium in Lloseta. Beide Shows waren innerhalb weniger Stunden ausverkauft. Auf Aufnahmen sieht man ein Publikum, das begeistert mitsingt. Im Laufe dieses Sommers dürfte es sich lohnen, die Band live zu erleben.

THEMEN