Hector Campbell verbringt mehr Zeit in Ausstellungen als andere auf dem Sofa. „Dieses Jahr waren es schon mehr als 700“, erzählt der 1994 geborene britische Kunsthistoriker und Kurator im Gespräch mit der MZ. Als er 2018 von Bristol nach London zog, hatte er keine Kontakte zur Kunstszene. Also begann Campbell, so viele Ausstellungen zu besuchen wie möglich. „Nur auf diese Weise bekommt man eine wirklich gute Vorstellung davon, was gerade passiert“, sagt er.

Von seinem Insider-Wissen profitiert aktuell die Galería Pelaires in Palma de Mallorca: Sie beauftragte den jungen Kurator mit einer Gruppenausstellung, die zur Kunstnacht Nit de l’Art startete und noch bis Mitte November besucht werden kann.

Aufbau einer kreativen Gemeinschaft

Die Schau zeigt Werke von zehn jungen oder gerade etablierten Künstlern, die in Großbritannien leben, aber nicht alle dort geboren sind. Mit den meisten hatte Campbell bereits zuvor zusammengearbeitet. Der Titel „Pounding the pavement“ (zu Deutsch etwa: „Den Bürgersteig abklappern“) spielt zum einen auf die rastlose Suche des Kurators nach neuen Talenten an, zum anderen auf die unterstützenden Netzwerke der Künstler untereinander und den Aufbau einer kreativen Gemeinschaft. So finden sich unter den Auserwählten nicht nur Benjamin Spiers (Cornwall, 1972), sondern auch drei seiner Schüler.

„Lynx“ von Minyoung Choi. Galería Pelaires

„Ich wollte einen breiten Querschnitt einiger der aufregendsten Maler zeigen, die derzeit im Vereinigten Königreich arbeiten“, erklärt Campbell. Die Szene blühe gerade auf. „Ihre Stärke liegt definitiv in der großen Vielfalt.“ Vermeintlich ähnlich wirken auf den ersten Blick die nebeneinander präsentierten Arbeiten von Lydia Blakeley und Minyoung Choi: Beide arbeiten mit Tierdarstellungen, allerdings auf sehr verschiedene Weise. Während Blakeley sich für merkwürdige Auswüchse der britischen Gesellschaft von Katalog-Shopping bis Hundeschauen interessiert, kreiert Choi surreale, traumhafte und poetische Bildwelten mit Tierfiguren, die für Menschen schwer auszudrückende Gefühle transportieren.

Dicker Farbauftrag und digitale Referenzen

Das monumentalste Werk ist ein Triptychon von Emma Fineman, die emotionale, rohe, „unfertige“ Kompositionen mit dickem Farbauftrag kreiert. „Sie schafft es in jedem Format, ihre Leidenschaft zu übermitteln. Das können nicht viele“, so der Kurator. Ein ebenso brillanter Maler, der mit Unschärfen und Texturen spielt und dessen Bildsprache Einflüsse von Francis Bacon zeigt, ist George Rouy.

„In Bloom“ von Gori Mora. Kenneth Archbold

Mit Oli Epp wiederum ist ein Vertreter des „Post Digital Pop“ dabei, der traditionelle Pop-Art mit digitalen Referenzen ergänzt und makellose Optik mit düsterem Unterton erschafft. Auch den mallorquinischen Künstler Gori Mora, der in Glasgow lebt, interessieren digitale Welten, was sich in seiner besonderen Arbeitsweise spiegelt: Er malt von hinten auf Kunststoff und muss daher mit dem Vordergrund beginnen. Das fertige Werk erinnert mit der glänzenden Oberfläche an einen Bildschirm. Inhaltlich geht es ihm um die Darstellung sexuellen Begehrens männlicher Körper.

Klassische Bildsprache, zeitgenössische Inhalte

Bei Natalia González Martín ist der Einfluss von Benjamin Spiers zu spüren, der sich oft mit der Kunstgeschichte auseinandersetzt: Die Künstlerin nutzt eine klassische Bildsprache, die an Renaissance-Gemälde denken lässt, um Frauenfiguren aus Geschichte, Mythologie und Religion zu „ermächtigen“.

"Before the Flight“ von Charlie Billingham.

"Before the Flight“ von Charlie Billingham. Reinis Lismanis

Charlie Billingham blickt in die etwas jüngere Vergangenheit: Seine spöttisch-intellektuellen Bilder mit hohem Wiedererkennungswert schöpfen aus den satirischen Cartoons des Viktorianischen Zeitalters und des Regency. Eindrücke und schwindende Erinnerungen aus dem eigenen Leben bannt Lewis Brander atmosphärisch auf die Leinwand: Seine Bilder wirken pudrig, wie in roten Saharastaub gehüllt, ein Porträt seiner Freundin („Isabel“) wie der direkte Abdruck eines Traums auf dem Kopfkissen – oder eine Erscheinung. „Es ist interessant, dieses Werk in Spanien zu zeigen: Drei Leute haben mich in der ersten Woche gefragt, ob das Jesus Christus sei“, erzählt Campbell.

Kunst aus Großbritannien einzuführen, sei in Zeiten des Brexit durchaus eine Herausforderung gewesen, heißt es vonseiten der Galería Pelaires. Campbell schwebt indes schon das nächste Projekt vor, bei dem sich dieses Problem umgehen ließe: Residenzen mit jungen britischen Künstlern auf Mallorca, die sich direkt vor Ort kreativ austoben sollen.

„Pounding the pavement“: Galería Pelaires, bis 16. November, Di.–Fr. 10.30–18.30 Uhr, Sa. 10.30–13.30 Uhr, Carrer Can Verí, 3, Palma