Wenn man Roberto Menéndez zum 15-jährigen Bestehen seines Jazz Voyeur Festival auf Mallorca gratuliert, lacht er herzlich am Telefon und sagt: „Es ist ein Wunder!“ Über so viele Jahre ein unabhängiges Jazz-Festival auf einem überschaubaren und gesättigten Markt zu veranstalten, sei kein Zuckerschlecken. Seine Strategie, um immer wieder ein hochkarätiges Programm auf die Beine zu stellen, ist ein dynamisches Gleichgewicht zwischen Altem und Neuem sowie verschiedenen Musikgenres. „Die Welt des Jazz und der zeitgenössischen Musik ist ein dicht belaubter Baum“, sagt Menéndez.

Drei prächtige Blätter, die neben dem Jazz im 20. Jahrhundert sprossen, sind der Tango, die brasilianische Musik und der Flamenco. Letzteren liebe er besonders. „Es gibt viele gute junge Sängerinnen. Aber wir wollten schon lange einmal eine weibliche cantaora (Sängerin) dabeihaben, die eine Legende ist“, so der Festivalleiter.

Carmen Linares im Trui Teatre

Eine solche Legende wird nun am 4. November im Trui Teatre das Jazz Voyeur Festival eröffnen: Carmen Linares, eine der bedeutendsten Flamenco-Sängerinnen der Gegenwart. Im Gespräch sei man seit Jahren gewesen, doch wegen der Pandemie habe es erst jetzt geklappt. Dass die 71-Jährige dieser Tage mit dem Prinzessin-von-Asturien-Preis für Kunst geehrt wurde, ist für Menéndez eine glückliche Fügung, quasi die Kirsche auf der Torte.

Die in der Provinz Jaén geborene Sängerin, die 1971 das erste von bislang zwölf Alben veröffentlichte, gehört mit Camarón de la Isla, Paco de Lucía, Enrique Morente, Manolo Sanlúcar, José Mercé und Tomatito einer Generation erstklassiger Musiker an. Ein Meilenstein ihrer Karriere war „Antología de la mujer en el cante“ (1996). Menéndez bewundert die Künstlerin für ihr Repertoire, ihre Zusammenarbeit mit hochkarätigen Musikern des Genres und dafür, dass sie ihre Stimme für Hommagen an spanische Dichter einsetzte. „Von den großen Stimmen, die der Flamenco hervorgebracht hat, ist Carmen Linares heute der höchste Gipfel“, meint er.

Weibliche Superstars

Bei ihrer Show „Cantaora: 40 años de Flamenco“ wird es aber nicht nur Gesang zu hören geben, denn diese Kunst fußt bekanntlich auf zwei weiteren Säulen: Gitarre und Tanz. „Das ist wie die heilige Dreifaltigkeit“, so Menéndez. Linares bringe zwei hervorragende Gitarristen mit, und dazu eine Tänzerin.

Ein unvergesslicher Abend verspricht es nicht nur deshalb zu werden, weil Linares zum ersten Mal seit mehr als 20 Jahren in Palma auftreten wird, sondern auch, weil sie dabei erstmals Unterstützung von einer weiteren Grande Dame bekommt: der lokalen Ikone Maria del Mar Bonet. „Wenn Carmen Linares eine Referenz für die Musik aus Andalusien ist, dann ist Maria del Mar Bonet eine solche Referenz für Mallorca“, sagt Menéndez.

Als Vorgruppe für die Sängerinnen tritt beim Konzert das innovative und aufstrebende Projekt Saxoleá von Formentera auf. Der Festivalleiter bleibt bei seiner Gipfel-Metapher und meint, dass diese Musiker gerade dabei seien, den Aufstieg zu wagen – indem sie eine Brücke zwischen Flamenco und Jazz schlagen und die sensible Ausdruckskraft des Saxofons einbringen.

Männliche Superband

Die Sternstunde dieses Instruments folgt dann allerdings am 10. November im Konservatorium, beim zweiten von insgesamt vier Konzerten des Festivals: Der Saxofonist Bill Evans, der in den 80er-Jahren mit Miles Davis international bekannt wurde und unter anderem mit John McLaughlin, Herbie Hancock und Mick Jagger auf der Bühne stand, spielt dann gemeinsam mit drei weiteren Weltklasse-Musikern als „Jazz/Takes Supergroup“.

Die Idee dazu kam von dem renommierten dänischen Jazz-Pianisten und Komponisten Niels Lan Doky. „Er startet am laufenden Band Projekte“, sagt Roberto Menéndez. Bei diesem vervollständigen zwei weitere große Namen das Quartett: Der Bassist Darryl Jones war Mitglied der Miles Davis Band und ist unter anderem als Begleitmusiker und Sessionmusiker der Rolling Stones bekannt. Schlagzeuger und Pianist Harvey Mason zählt zu den gefragtesten amerikanischen Jazz- und Studiomusikern und arbeitete mit Künstlern wie Carlos Santana, Barbra Streisand oder James Brown.

„Wenn sich so erfahrene und große Talente zusammenschließen, kann dabei nur etwas Außergewöhnliches herauskommen“, versichert der Festivalleiter. Die vier Solisten bieten ein abwechslungsreiches Programm, wenn sie gemeinsam improvisieren: Bei der musikalischen Reise, mit der sie nur zwei Mal in Spanien auftreten, werden sie eigene Kompositionen und Hits aus verschiedenen Genres als Jazz-Version spielen – darunter Songs von Nirvana, Metallica oder The Ramones.

Es sei im Übrigen kein Zufall, dass das Konzert im Konservatorium stattfindet. Denn die Unterstützung kommt bei diesem Konzert von der neuen Big Band mit den Absolventen, unter Leitung von Toni Cuenca. „Natürlich haben sie eine klassische Ausbildung erhalten, aber viele von ihnen fühlen sich zur Jazz-Musik berufen“, sagt Menéndez. Nun dürfen die jungen Mallorquiner vor dem Auftritt der „Supergroup“ dem Publikum einheizen.

Jazz Voyeur Festival: Carmen Linares (+ Maria del Mar Bonet, Saxoleá), 4.11., 21 Uhr, Trui Teatre; „Jazz/Takes Supergroup“ (+ Big Band), 10.11., 21 Uhr, Konservatorium, Eintritt: 20-32 Euro, Karten und Infos zu den weiteren Konzerten: jazzvoyeurfestival.es