Die Schuld wiegt nicht nur schwer auf Erzherzog Ludwig Salvator. Sie leuchtet auch hell. In Großbuchstaben. Die Oper "L'Arxiduc", die am Freitag (25.11.) in Palma de Mallorca Weltpremiere feierte, lässt kein gutes Haar am ansonsten vielfach verehrten Habsburger, der die Balearen nicht nur im 19. Jahrhundert erkundete, sondern durch den Kauf großer Anwesen auf Mallorca auch schützte.

Über allem steht die Schuld, die der Forscher und Mittelmeereisende angeblich auf sich geladen hat. Ludwig Salvator ist schuld am Selbstmord des Kronprinzen Rudolf, schuld am Tod des österreichischen Thronfolgers Franz Ferdinand, schuld am Ersten Weltkrieg. In Teilen des ersten Akts steht die Schuld sogar wortwörtlich über dem Geschehen. Ein Schriftzug aus Neonleuchtröhren mit der Schrift culpa (spanisch und katalanisch für Schuld) strahlt dem Zuschauer entgegen.

Das Werk des Komponisten Antoni Parera Fons ist hochkarätig besetzt, die Balearen-Regierung hat für dieses Projekt Geld in die Hand genommen und gut investiert. Das Bühnenbild, die Kostüme, die Sängerinnen und Sänger, die Regie, sie alle können mit denen großer Opernhäuser mithalten. Die Komposition von Parera Fons ist modern und doch melodisch. "L'Arxiduc" ist eine gelungene Oper - und mit ihren steilen Thesen doch verstörend.

Das Libretto stammt von der mallorquinischen Schriftstellerin Carme Riera und basiert auf ihrem eigenen Buch "Les darreres paraules" (zu Deutsch "Die letzten Worte"). Riera hat sich darin viele künstlerische Freiheiten genommen. Ihre höchst umstrittene und nicht belegte Lieblingsthese ist: Ludwig Salvator war in Wahrheit ein Spion. Versatzstücke aus seiner Biografie, die an die Bühnenwand projiziert oder von als Wissenschaftlern verkleideten Sängern vorgetragen werden, sollen dieses Bild untermauern.

Geschichte mit Fiktion vermischt

"Teilweise stimmen wesentliche Aspekte nicht, und trotzdem wird der Betrachter es als Wahrheit mit nach Hause nehmen", kritisiert der Wiener Rechtsanwalt und Erzherzog-Spezialist Wolfgang Löhnert, der eigens zur Premiere angereist ist. In keinem Moment werde erklärt, dass hier Geschichte mit Fiktion vermischt werde.

Unstrittig ist: Der Erzherzog war auch ein Exzentriker. Er trug oft zerrissene Klamotten, hielt wenig von höfischer Etikette, war viel von Menschen aus einfachen Verhältnissen umgeben. Er reiste viel und war ein Forschungsreisender, der nicht nur ein enzyklopädisches Werk über Mallorca und die Nachbarinseln verfasste ("Die Balearen"), sondern auch viele weitere Bücher über andere Mittelmeerregionen. "Doch mit alledem, was er geleistet hat, setzt sich die Oper nicht auseinander", sagt Löhnert. "Stattdessen stellen sie ihn als Zwangsneurotiker dar, der in eine Zwangsjacke gehört und hässlich wie ein Affe ist."

Erzherzog Ludwig Salvator als sexueller Lüstling und Ausbeuter

Historisch belegt ist, dass Ludwig Salvator im einfachen mallorquinischen Volk Geliebte hatte. In der Oper beruht diese Liebe nicht auf Gegenseitigkeit. Er nutzt die Armut der Bevölkerung aus, um junge Frauen und junge Männer in sein Bett zu bekommen. Er wird vom Volk gefürchtet, vom Adel verachtet. Carme Riera, die auch schon eine große Ausstellung über den Erzherzog kuratierte, strebt offensichtlich eine regelrechte Demontage des Habsburgers an.

Der Chor schaffte es, die Szenerien der Oper "L'Arxiduc" lebendig werden zu lassen. B. Ramon

Wer vor der Oper kurz die Geschichte von Ludwig Salvator nachliest, hat zwei Vorteile. Zum einen fällt man dadurch nicht auf die künstlerischen Freiheiten im Libretto von Carme Riera rein. Zum anderen kommt man generell besser mit. Denn vor allem der erste Akt ist ein durchgehendes Hin und Her an politischen Intrigen. Die Zuschauer müssen gut aufpassen und bei den Untertiteln aufmerksam mitlesen. Gleichzeitig erschwert dieses Libretto auch die Arbeit des Komponisten. Denn für schöne Arien, ohrwurmträchtige Melodien ist bei so viel Handlung keine Zeit.

Vor allem Regisseur Paco Azorín trägt durch den ersten Akt. Mit einfachen Effekten holt er extrem viel raus. Da ist das Reh ganz in Weiß als Sinnbild für den Tod, der Ludwig Salvator überallhin verfolgt und im Betrachter wohlige Schauer auslöst. Mit Belichtung, Videoeffekten und wenigen Tänzern weiß Azorín sogar, den Ersten Weltkrieg glaubhaft auf die Bühne zu bringen. Es gibt viele gelungene Szenenbilder in diesem ersten und auch im zweiten Akt.

Die schönste Rolle ist die der Mallorquinerin Catalina Homar

Im zweiten Akt geht es dann um die Liebschaften Ludwig Salvators. María José Montiel als mallorquinische Bäuerin Catalina Homar liefert dann endlich die lang ersehnten Ohrwürmer. Mit einer tonada (traditionelles mallorquinisches Liedgut), die auch vom Chor aufgegriffen wird, und einem Liebeslied an die mallorquinische Rebsorte Malvasia. Montiel singt die Rolle großartig.

Auch Tenor David Alegret (junger Erzherzog) und Bariton José Antonio López (alter Erzherzog) singen ihre Rollen gekonnt und voller Elan. Musikalisch gesehen sticht der Chor unter der Leitung von Francesc Bonnín heraus. Mit Parera Fons wunderschönen Harmonien hauchen die Chorsänger der gesamten Szenerie und der Insel Leben ein.

Im zweiten Akt hatte Antoni Parera Fons eindeutig mehr Luft, um musikalisch mehr aus der Geschichte zu machen. Liebesdramen sind einfach opernfreundlicher als politische Intrigen. Mit einer gewissen Komik, aber auch mit lebhafter und eingängiger Musik geht es nach María José Montiels Auftritt um eine weitere große Liebe des Erzherzogs: seinen Sekretär Wratislaw Vyborny.

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Doch auch hier kommt wieder die Schuld ins Spiel. Ludwig Salvator ist in der Oper wütend, weil Vyborny ihn verlassen will und lässt ihn sterben. In Wahrheit befand sich der Erzherzog gar nicht auf Mallorca, als Vyborny verstarb.

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Miramar - Einblicke in das "Fürstentum" von Erzherzog Ludwig Salvator auf Mallorca