Ein ewiger Quell der Inspiration: Das Archiv im Kulturzentrum Casa Planas ist derzeit Fundgrube und Spielwiese für zwei deutsche Künstlerinnen. Stefanie Unruh und Lilly Lulay sind die diesjährigen Stipendiatinnen des Künstlerresidenzprogramms „Goethe auf Mallorca“, einer Kooperation mit dem Goethe-Institut Barcelona.

Die MZ hat die beiden in der heißen Phase ihrer Forschung besucht, bei der sie, ausgehend vom Fundus des Fotografen Josep Planas i Montanyà, bis zum 30. November ihre eigenen Kunstprojekte mit Deutschland-Bezug entwickeln.

Verborgenes ans Licht bringen

Stefanie Unruh gräbt dabei tief in der Geschichte. Vor vier Jahren war sie selbst zum ersten Mal als Touristin auf Mallorca. „Da bin ich durch Zufall auf einen Artikel über die Massengräber von Sa Coma gestoßen“, erzählt sie. Unter dem Sand des Traumstrandes vermutet man die sterblichen Überreste von rund 500 Milizionären aus dem Spanischen Bürgerkrieg (1936–1939). Das Thema ließ sie seitdem nicht mehr los.

Als die gebürtige Hamburgerin die Ausschreibung zum Forschungsprogramm in der Casa Planas las, suchte und fand sie eine Verbindung dieses Kapitels zu den deutschen Emigranten, die einst vor Hitler nach Mallorca geflohen waren. „Sie wurden nach der Niederlage der Republikaner verhaftet oder erneut vertrieben“, sagt Unruh und erinnert etwa an den Fall des jüdischen Ehepaars Heinemann, das 1933 aus Magdeburg nach Palma geflohen war und sich auf Mallorca angesichts der drohenden Ausweisung das Leben nahm.

Die multidisziplinäre Künstlerin versuchte nun, konkrete Orte auf der Insel zu recherchieren, an denen die deutschen Emigranten gelebt hatten – etwa in Cala Ratjada, Palma oder Esporles. Auch Port de Pollença interessierte sie, da die Legion Condor der Nationalsozialisten von dort aus operiert hatte.

So weit möglich, recherchierte Unruh im Internet nach historischen Aufnahmen dieser Schauplätze aus den 1930er-Jahren und fotografierte sie dann aus touristischer Perspektive erneut. Ergänzend erhoffte sie sich ältere Fotos derselben Orte oder zumindest aus derem direkten Umfeld im Planas-Archiv zu finden.

Landschaften sind nie unschuldig

Der Grundgedanke, den die Künstlerin mit dieser Gegenüberstellung verfolgt: Landschaften sind nie „unschuldig“, sondern immer historisch konnotiert. Selbst dort, wo seit einigen Jahrzehnten der Tourismus prosperiert, können sich in der Vergangenheit schreckliche Dinge abgespielt haben – und diese verborgenen Schichten der Geschichte möchte sie in Form von künstlerischer Erinnerungsarbeit sichtbar machen. Zum Beispiel mit einer Ansicht von Porto Cristo, im Bürgerkrieg Schauplatz einer Schlacht. „Wenn man an diesem hübschen Strand steht und dann weiß, was dort passiert ist, bekommt man plötzlich einen anderen Blick“, sagt Unruh.

Das Projekt stellte sie vor einige Herausforderungen: Josep Planas hatte seinen Blick vor allem auf Hotelanlagen gerichtet, nicht auf normale Wohnhäuser und Straßen. Und diese wiederum änderten im Laufe der Jahre häufig ihre Namen. Wo sie dennoch fündig wurde und Material sammeln konnte, klebte sie die Fotografien im Anschluss auf reproduzierte Karteikarten. So entsteht nach und nach ein Parallel-Archiv, das einen zeitübergreifenden Kontext schafft. In der jetzigen Phase präsentiert Unruh ihr Werk auf einem Tisch. „Ich würde mir aber später eine Sperrholzplatte wünschen, an der man entlangwandern kann“, erklärt Unruh.

Zwischen Hashtag und Nostalgie

Die in Frankfurt geborene Lilly Lulay verwendet ihre eigenen und fremde Fotografien als Ausgangsmaterial für ihre Kunst. Fasziniert von den Möglichkeiten und Materialien im Planas-Archiv ließ sie zu, dass ihr Projekt für die Residenz unerwartete Wendungen einschlug: Sie entwickelt nun parallel mehrere kleinere Arbeiten.

Diese kreisen um die Thematik der kollektiven und individuellen Erinnerung an Bilder von Mallorca – von alten Postkarten aus dem Archiv bis hin zu aktuellen Schnappschüssen auf Instagram. „Ich finde es interessant, dass eine Postkarte ein Bild ist, das millionenfach reproduziert und dann durch den Text auf der Rückseite individualisiert wird“, erklärt Lulay. „Auf Instagram dreht sich das Ganze um: Man hat ein Bild, das potenziell an Millionen von Adressaten geschickt wird, sich aber in der Sprache durch Hashtags versucht zu standardisieren.“

Eine Sache, die ihr sofort auf Instagram aufgefallen sei: „Wenn man den Hashtag Mallorca oder einen Ort auf der Insel eingibt, sind unter den beliebtesten Bildern zu 90 Prozent Frauen zu sehen: im Bikini, mit einem Drink oder in einer Gruppe“, erzählt Lulay.

Deshalb seien ihr wohl auch die Frauen auf den Postkarten im Planas-Archiv besonders ins Auge gesprungen: Oft seien sie als menschliche Deko-Elemente mit angewinkelten Beinen am Bildrand platziert. Eines ihrer Werke lenkt den Blick darauf: Lulay stanzte die Umrisse der weiblichen Körperformen auf einer Reihe von Postkarten aus, um sie dann an eine Glasscheibe zu kleben. Auf der einen Seite sieht man die Originalmotive, auf der anderen die Silhouetten der Frauen – Bildinformationen, die man normalerweise übersieht.

Infantiles Verhalten der Urlauber

Ein weiteres Mini-Projekt basiert auf einem Kinderspielzeug von 1900, das die Künstlerin zufällig im Archiv entdeckte: dem beweglichen cinematógrafo infantil. Die Originalbilder ersetzte Lulay mit Fotos von Instagram, die mit den Hashtags Mallorca oder Ballermann 6 gepostet wurden, etwa Pyramiden aus Bierdosen oder albern verkleidete Urlauber. „Sie zeigen passend zur Aufschrift des Spielzeugs Szenen, in denen sich Menschen aufgrund ihres Alkoholkonsums eher infantil verhalten“, erklärt die Künstlerin.

Kindliche Neugier im besten Sinn verspürt sie selbst angesichts der Archiv-Fundstücke. Zum Beweis zeigt sie einige Karten, auf die sie stieß und die mit rätselhaften Aufklebern und Zahlen übersät sind, die vom Ordnungssystem und von Reproduktionen erzählen: „Ich fand sie super interessant, weil sie so etwas Kryptisches haben“, meint Lulay. „Und ich habe mich wie ein Computerprogramm gefühlt, das nicht die richtige Software hat, um diese Bilder zu lesen – wie ein Word-Programm, das versucht, ein Foto zu öffnen.“

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In ihrer künstlerischen Arbeit hat sie nun begonnen, die Orte zu den damals beliebten Motiven auf diesen Karten bei Instagram zu suchen und die beliebtesten Beiträge heute herauszufiltern. Danach kommt eine künstliche Intelligenz zum Einsatz, die Inhalte erkennt und den Postkarten-Bildern passende neue Hashtags zuordnet. Sonderlich schlau ist das Programm aber nicht – es findet auf einem Strandbild „96 Prozent Wasser“ und verwechselt schon mal Bäume mit Sonnenschirmen.

Eine Gelegenheit, Stefanie Unruh und Lilly Lulay zu treffen, bekommen Sie am 26. November um 19 Uhr: Die Künstlerinnen sind dann im Es Baluard zu Gast, um bei einem Gespräch ihre Projekte vorzustellen und einige vorläufige Ergebnisse ihrer Arbeit zu zeigen – der Eintritt ist frei.