Wenn es um persönliche Erfahrungen mit dem Tod geht, können wohl wenige Marina Abramović (75) das Wasser reichen: Er ist in ihren Arbeiten ein ständiger Begleiter. Schmerzen, Verletzungen und Gefahr für das eigene Leben gehören zu ihren radikalsten Performances seit den 70er-Jahren dazu – etwa bei der Aufführung "Rhythm 0" von 1974, in der sie das Publikum einlud, sechs Stunden lang mit 72 Gegenständen, von einer Rose bis zur Rasierklinge, alle möglichen Handlungen an ihr zu vollziehen. Jemand hielt dabei eine geladene Pistole an ihren Kopf hielt und legte ihren Finger auf den Abzug.

Wer bei ihrer Ausstellung "Life Death Inbetween" in der Galería Horrach Moyà (ab dem 23. Juli) Werke dieses extremen Kalibers erwartet, wird jedoch enttäuscht. Die Kuratorin Sydney Fishman setzte vielmehr auf eine kleine Auswahl von zwei Videos und sieben Fotografien ab 1995, die das Thema poetischer, subtiler und "softer" angeht. Was nicht unbedingt schlecht sein muss, zeigt es doch eine Seite der Künstlerin, die manch ein Besucher in dieser Schau vielleicht zum ersten Mal entdecken wird.

Den Körper an extreme Grenzen bringen

Diskret und leise ist auch die Ankunft von Abramović bei der Pressekonferenz am Vortag der Ausstellungseröffnung in Palma de Mallorca. Fast wie ein Geist, in einem schwarzen Gewand und mit schwarzer Sonnenbrille, gleitet sie in den Raum, passiert rasch die aufgeregt Wartenden und verschwindet wieder. Zunächst überlässt sie der Kuratorin das Feld, die durch die Ausstellung führt. Dann kehrt sie zurück, um (etwas Jetlag-gebeutelt) Fragen zu beantworten.

Schnell wird klar: Die Faszination für die frühen Performances ist ungetrübt und die Anwesenden wollen wissen, wie die Künstlerin selbst zum Thema Sterben steht. "In meiner Arbeit habe ich mich immer dafür interessiert, wie ich meinen Körper an extreme physische und psychische Grenzen bringen kann. Aber ich wollte dabei nie sterben. Ich wollte nur sehen, wie weit ich gehen kann", erklärt sie. "Der Fakt, dass ich jetzt lebend vor Ihnen sitze, zeigt, dass ich das ganz gut gemacht habe."

Bewusst, ohne Angst und Wut sterben

Angst verspüre sie während einer Performance keine. Auch um Vergnügen gehe es dabei nicht, sondern um eine Botschaft, an die sie glaube. Auf die Frage, wie sie trotz der Gewalt, die sie durch andere Menschen erfahren habe, immer wieder den direkten Kontakt zum Publikum suchen könne, antwortet sie mit einer Zen-Parabel: "Ein Mönch und sein Schüler sitzen an einem Flussufer. Ein Skorpion droht zu ertrinken. Der Mönch rettet ihn und wird dabei gestochen. Instinktiv lässt er den Skorpion fallen und dieser fällt wieder in den Fluss. Das Ganze wiederholt sich dreimal. Der Schüler fragt: Warum versuchst du ihn immer wieder zu retten, wo er dich doch sticht? Der Mönch antwortet: Meine Rolle ist, zu retten. Seine ist, zu stechen."

Was ihren eigenen Tod betrifft, wünsche sie sich, nicht in Krankheit oder bei einem Unfall zu sterben – sondern "bewusst, ohne Angst und ohne Wut." Bekanntermaßen traf die Künstlerin für die Zeit nach ihrem Ableben bereits spezielle Vorkehrungen: Eine echte und zwei falsche Marinas sollen an drei verschiedenen Orten beerdigt werden. Es wird ihre letzte Performance sein.

Marina Abramović zur Situation in der Ukraine: "Wir brauchen auch Helden"

Doch so weit ist es noch lange nicht. Es gibt noch viel zu tun. Der Krieg in der Ukraine macht Abramović sichtlich betroffen, schon zuvor war sie in dem Land aktiv gewesen. Die Künstlerin erzählt von ihrer Installation "The Crystal Wall of Crying" ("Die kristallene Mauer des Weinens"), eine 40 Meter lange, interaktive "Klagemauer" für die Holocaust-Gedenkstätte Babyn Jar außerhalb von Kiew, die im Oktober 2021 eingeweiht wurde.

Es sei fast ein Wunder, dass die Mauer immer noch steht und keinen Schaden genommen habe. Das ist fast symbolisch für Abramovićs folgende Überzeugung: "Kunst wird es immer geben. Die Menschheit braucht sie zum Überleben auf einer emotionalen und spirituellen Ebene", sagt sie. "Aber wir brauchen auch Helden. Für mich sind die Frauen in der Ukraine die Heldinnen von heute."

Berühmte Performance in New York: "Die reine Hölle"

Eine Heldin ihrer Jugend war Maria Callas, der sie das Projekt "7 Deaths of Maria Callas" widmete, dessen dazugehöriger Film am Sonntag (24.7.) beim Altàntida Film Fest gezeigt wird. "Ich war erst 14 Jahre alt, als ich in der Küche meiner Großmutter ihre Stimme im Radio hörte. Sie war so unglaublich, dass ich begann zu weinen." Sie habe daraufhin alles über die Sängerin wissen wollen. Mit dem Opern-Projekt wollte sie eine aus vielen Emotionen gespeiste Hommage an Callas kreieren. "Sie selbst starb an gebrochenem Herzen. Mir ist das in meinem Leben auch fast passiert, aber meine Arbeit hat mich gerettet", sagt Abramović.

In diesem Fall sei das Schauspielern eine besondere Herausforderung gewesen: Das Nachstellen der Tode der von Callas verkörperten Figuren, in fremde Rollen zu schlüpfen, habe ihr ganz Anderes abverlangt als ihre Performances. Allein für die Sequenz, von der das Foto "The Jump" in der Ausstellung zu sehen ist, sei sie 70 Mal gesprungen, bis das Bild im Kasten war.

"In meinem Alter war das gar nicht so einfach", erzählt sie. Im Vergleich zu ihrer legendären Performance "The Artist is Present" (2010), bei der sie mehr als 700 Stunden lang Besuchern des New Yorker MoMA gegenübersaß, aber fast ein Kinderspiel: "Das war die reine Hölle", erinnert sie sich. Doch die "unglaublich starken Glücksgefühle", als sie damals wieder vom Stuhl aufstand, seien es wert gewesen.

Fast spielerisch-liebevoller Umgang mit dem Tod

Der Ansatz, sich durch Konzentration und Willenskraft zu überwinden, um höhere Bewusstseinszustände zu erfahren, lässt sich in der Ausstellung am ehesten bei der Fotografie zur Performance "The Onion" nachvollziehen, in der sie sich zwang, eine rohe Zwiebel zu essen.

Die anderen Facetten der Marina Abramović, die mitunter fast liebevoll-spielerisch mit dem Tod umzugehen versteht, kommen etwa bei der Videoarbeit "Cleaning the Mirror II" zur Geltung: Darin liegt sie unter einem Skelett, das durch ihre Atmung, das Heben und Senken ihres Brustkorbes, einen Rhythmus bekommt. Und in "Dozing Consciousness" zeigt sie sich in einem seltsamen Schwebezustand: Halb begraben unter Kristallen (Liegt sie? Steht sie?) wirkt ihr Körper fast leblos, doch die Augen sprühen vor Energie.

In einer aktuellen Arbeit von 2022, "Portrait with Matches", hält die Künstlerin brennende Streichhölzer in den Händen, ihr Haar und ihr Körper verschmelzen mit der tiefen Schwärze des Hintergrunds. Die Szene wirkt wie eine feierliche Zeremonie, die Licht im Dunkel und Hoffnung heraufbeschwört. Denn es geht hier schließlich auch um das Leben. Und um das Dazwischen.