Mutig und integer, rastlos und neugierig. Ein großer Mann, der geistige Spannkraft und Sicherheit und ausstrahlt: So erlebte MZ-Autorin Brigitte Kramer den Künstler Erwin Bechtold im Jahr 2017. Der damals 92-Jährige sprühte vor Tatendrang und arbeitete täglich fünf bis sechs Stunden. Nun trauert die Kunstwelt um den in Köln geborenen Maler, der 1958 nach Ibiza ausgewandert war: Am 1. September starb er im Alter von 97 Jahren. Bechtold gilt als einer der großen Vertreter abstrakter Nachkriegskunst in Deutschland und Spanien.

Statt das Familienerbe einer Großdruckerei anzutreten, entschied er sich für ein radikales und freies Leben. 1950 lernte Bechtold bei Fernand Léger in Paris. Nach einer weiteren Station in Barcelona ließ er sich mit seiner Frau Christina auf Ibiza nieder. Die kubische Architektur der Balearen-Insel wurde für den Mitbegründer der Künstlergruppe Grupo Ibiza 59 zu einer ständigen Inspirationsquelle. Auf der 4. documenta in Kassel präsentierte er seine Kunst im Jahr 1968. Seine Werke sind weltweit in zahlreichen bedeutenden Sammlungen vertreten. Auch wurde er mit vielen Preisen und Auszeichnungen geehrt, so etwa 2006 mit dem Ramon-Llull-Preis.

Auf Mallorca stellte Bechtold unter anderem im Es Baluard, in der Galeria Altair und der Fundació Matthias Kühn aus. Das Museum Küppersmühle für Moderne Kunst (MKM) in Duisburg widmete Bechtold im Jahr 2020 eine große Retrospektive mit Werken aus sieben Jahrzehnten.

Zwischen Vernunft und Gefühl

Erwin Bechtolds Kunst speist sich aus dem Gegensatz von Weiß und Schwarz, dem gleißenden Licht und den tiefen Schatten von Ibiza. Farbe empfand er als zu ablenkend. Denn er strebte nicht nach Schönheit, sondern nach einer klaren Bildsprache. Damit versuchte er, künstlerisch umzusetzen, wie er die Natur des Menschen empfand: als voll von Kontrasten, Spannungen, Störungen, eingebettet in geordnete Unordnung, in ungeordnete Ordnung. So finden sich bei seinen Kompositionen Risse und Brüche in der Oberflächenstruktur. Geometrische Formen existieren neben spontanen Gesten, das Emotionale im Zusammenspiel mit dem Rationalen, das Intuitive im Gegenüber mit dem Intellektuellen.

Die balearische Ministerpräsidentin Francina Armengol bekundete ihre Anteilnahme auf Twitter mit den Worten: „Mein Beileid und eine große Umarmung an die Familie von Erwin Bechtold und die Welt der Kultur. Die Gesellschaft verliert einen guten Menschen und Ibiza einen internationalen Referenzkünstler, der auf der Insel und in der gesamten Branche hochgeschätzt ist.“

Trauerfeier im Museum

Auf Wunsch der Familie des Künstlers hat das Museo de Arte Contemporáneo de Eivissa (MACE) für den 14. September von 17 bis 20 Uhr eine Trauerfeier angesetzt. Dabei wird auch seine Frau Christina Bechtold anwesend sein. Die Mitteilung des Museums enthält einen Brief der Witwe, in dem sie unter der Überschrift „Erwin Bechtold ist von uns gegangen“ den Abschied des Künstlers „an alle seine Freunde, seine Kollegen in der Kunstwelt und alle, die ihm ihre Zuneigung geschenkt und ihm in seinem Ende beigestanden haben“, zum Ausdruck bringt. Zudem teilt sie die letzten Worte des Malers mit der Welt: „Christina, ich möchte dich mitnehmen. Du bist das Einzige, was für mich zählt. Ich lasse dich allein. Ich liebe dich.“