Zum Hauptinhalt springenZum Seitenende springen

Latex und "gepolsterte Liebende": Die deutsche Künstlerin Charlie Stein stellt auf Mallorca aus

Die Werke, in denen die Grenzen zwischen Körpern und Objekten verwischen, gibt es im CCA Andratx und im Kulturzentrum La Misericòrdia in Palma zu entdecken

Ein Werk von Charlie Stein.

Ein Werk von Charlie Stein. / Charlie Stein

Brigitte Rohm

Brigitte Rohm

Es gibt Künstlerinnen, deren Aura genauso eindrucksvoll ist wie die ihrer Werke. Charlie Stein gehört definitiv dazu: Mit ihrer kunstvoll aufgetürmtem Frisur und ihrer Präsenz stand die 1986 geborene, in Berlin lebende Künstlerin, Dozentin, Schriftstellerin und Kulturtheoretikerin ihren bei der Nit de l’Art gezeigten Arbeiten ästhetisch in nichts nach.

Die Schau „The Real Thing“ im Kulturzentrum La Misericòrdia bot einen Vorgeschmack auf die sehenswerte und vielschichtige Solo-Ausstellung, die nun in der Kunsthalle 2 des CCA Andratx eröffnet hat. Einige Werke sind im Rahmen ihrer kurzen, aber äußerst produktiven Residenz entstanden. „Das trockene Klima hat meine Malerei direkt beeinflusst – Öl trocknet hier deutlich schneller, wodurch ich an mehreren Bildern gleichzeitig arbeiten konnte. So entstand eine stärkere Vernetzung der Arbeiten untereinander“, so Stein zur MZ.

Die Künstlerin Charlie Stein.

Die Künstlerin Charlie Stein. / Dale Grant

Nintendo-Spiel-Warnung wird zur Metapher

Der Titel der Ausstellung in Andratx, „Everything not saved will be lost“, greift die mittlerweile ikonische Videospiel-Warnung („Alles, was nicht gespeichert wird, geht verloren“) auf. Diese Botschaft, ursprünglich eine simple Erinnerung an Nintendo-Spieler, ihren Fortschritt zu speichern, wird hier zu einer Metapher für unsere prekäre Ära, in der Beziehungen zerbrechen, unser kulturelles Gedächtnis verblasst und Lebensräume verschwinden – alles, was wir nicht bewahren, droht uns durch die Finger zu gleiten, heißt es in einem Erklärungstext zur Ausstellung. In einem Zeitalter der Vergänglichkeit beharre Stein demnach auf der Erinnerung: Ihre Leinwände werden zu „analogen Festplatten – sie speichern Zärtlichkeit, Widerstand und das Schimmern dessen, was sich weigert, verloren zu gehen“.

Beim MZ-Besuch wenige Tage vor der Vernissage machen wir Bekanntschaft mit einem sehr robusten, glänzenden, rosa-schwarzen Duo, das mehrere großformatige Leinwände beherrscht: Es sind Figuren, die anmuten wie knautschige, gepolsterte Liebende. Halbhumanoide Wesen, die in stiller Dringlichkeit und in einer zarten, doch zugleich unheimlichen Umarmung gefangen sind – irgendwo zwischen Tanz und Kampf, Nähe und Abstand, menschlicher Geste und Synthetik. Sie sprechen von einer Verbindung, die durch Technologie und durch die Isolation, die wir während der Pandemie erlebten, geprägt wurde.

Zugleich realistisch und unwirklich

Geht man selbst zügig durch den Raum und nimmt die Werke aus dem Augenwinkel wahr, scheinen die Protagonisten dieser Serie sich wahrhaft zu bewegen, immer neue Posen einzunehmen. Hinter den Kompositionen steckt ein komplexer Prozess, wie Stein erklärt: Nach Fotografien, Bildern und der Arbeit mit Modellen montiert sie am Computer Collagen, die sie dann auf die Leinwand überträgt, wobei die Malerei ihre eigene Sprache behält. „So entstehen Szenen, die zugleich realistisch und unwirklich wirken“, sagt die Künstlerin.

Sowohl bei diesen als auch bei anderen Werken in der Schau verwischen die Grenzen zwischen Körpern und Objekten: mit Latex überzogene Torsi und Gesichter oder auch Bäuche von Schwangeren, behandschuhte Hände, die eine Spritze festhalten oder Ausschnitte von Körpern, die halb Roboter sind. Die Motive zeigen Vertrautes und Fetischisiertes, sie entziehen sich einer einfachen Interpretation und halten flüchtige Empfindungen fest: Haut unter Druck, Intimität unter Bedrohung. In einem Zeitalter der Überstimulation durch Körper und Bilder, der wir ausgesetzt sind, und in dem es immer weniger echte Berührung und immer mehr Touchscreens gibt, fragt die Künstlerin, was noch Bestand hat.

Identität in der Schwebe

„Im Grunde zeigt die Ausstellung keine Frauen im klassischen Sinn, sondern Körper – Fragmente, Oberflächen, Hüllen“, erklärt Stein. Sie seien nicht als „weiblich“ festgeschrieben, sondern bewegten sich in einer Schwebe: Sie könnten an weiblich gelesene Körper erinnern, aber genauso gut nonbinär oder Drag sein. „Mich interessiert genau dieser Zwischenraum, in dem Identität nicht fixiert, sondern als etwas Performatives, Fluides, vielleicht sogar Technisches erscheint“, sagt die Künstlerin.

Wenn manche Figuren wie Kriegerinnen wirkten und zugleich an den Zwang zur Selbsoptimierung erinnerten, dann deshalb, weil sie beides zuließen: Widerstand und Anpassung, Rüstung und Verletzlichkeit. Stein betont: „Ich lese sie weniger als Abbild ‚der Frau‘, sondern als Spiegel einer Kultur, die Körper permanent zwischen Überformung und Auflösung oszillieren lässt.“

Kitsch trifft auf Schauder

Neben den menschlichen Körpern finden sich übrigens auch vereinzelt Tiere unter den Bildmotiven: So sehen wir in einem Raum ein Gemälde von einem Kätzchen, dessen Halsschleife Feuer gefangen hat sowie ein Werk, das mehrere Katzen in einem stillen Ozean treibend zeigt. Kitsch trifft Schauder. „Die Katzen sind weniger Haustiere als Chiffren. Sie stehen für das kulturell aufgeladene Bild des ‚Niedlichen‘, also etwas, das Sicherheit und Zuneigung verspricht“, sagt die Künstlerin. „Indem dieses Versprechen ins Bedrohliche kippt – ins Brennende, ins Ertrinkende – interessiert mich der Moment, in dem Fürsorge und Gewalt ununterscheidbar werden.“

Ausstellungs-Duo in Palma und Andratx:

Charlie Stein, „The Real Thing“, bis 22. November, Kulturzentrum La Misericordia, Via Roma, 1, Palma.

„Everything not saved will be lost“, bis 20. Dezember, CCA Andratx, ccaandratx.com.

Abonnieren, um zu lesen

Tracking Pixel Contents