"Wir müssen von ihnen lernen": Ein preisgekrönter Fotograf porträtiert Bäume auf Mallorca
Im Zentrum Toni Catany entsteht ein Projekt von Joan Fontcuberta. Ein Gespräch mit dem Fotografen über Porträts der Natur und den Einfluss von KI auf seine Zunft

Der Fotograf Joan Fontcuberta. / Sylvie Bussieres
Hochkarätiger Besuch im Centre Internacional de Fotografia Toni Catany in Llucmajor: Joan Fontcuberta (Barcelona, 1955), unter anderem Preisträger des Premio Nacional de Fotografía, hat bis zum 3. Oktober an einem besonderen Projekt gearbeitet. Unterstützt von Workshop-Teilnehmern entwickelte er eine neue Serie, die im April 2026 in einer Ausstellung gezeigt wird – als Teil eines Trios, denn parallel wird der katalanische Fotograf und Lehrer im Rahmen des Mallorca Photofest auch eine Schau in der Galería Xavier Fiol und das spannende Projekt „Monstrorum historia“ im Casal Solleric präsentieren.
Das Gespräch mit Fontcuberta führten wir kurz vor dem Beginn des Projekts.
Woran genau arbeiten Sie jetzt in Llucmajor?
Mir gefiel die Idee eines neuen, noch nie gezeigten Projekts, das eine Ausstellung und ein Buch umfassen soll. Als ich die Umgebung von Llucmajor erkundet habe, entdeckte ich dort die Plage des Feuerbakteriums (Xylella fastidiosa), das vielen Baumarten Schaden zufügt. Bei einigen Bäumen erschienen mir die Formen gequält, sie hatten eine grafische, plastische, fast skulpturale Persönlichkeit. Es war ein melancholischer, poetischer Blick auf das Verstreichen der Zeit, das Verschwinden und den Tod – mit vielen Parallelen zu der Sensibilität, die dem großen Toni Catany eigen war. Ich entwarf ein Projekt über die Situation dieser Bäume, um sie in diesen besonderen Umständen nach dem Befall zu porträtieren.
"Alles in der Natur lebt und kann porträtiert werden"
Bei „Porträts“ denken wir eher an Menschen …
Das Wort „retratar“ ist auf Katalanisch ein Synonym von fotografieren. In der Geschichte der Fotografie gab es aber auch Fotografen wie zum Beispiel Edward Weston, die auf provokante Weise sagten: „Ich porträtiere Steine. Ich empfinde es so, dass ein Stein eine Physiognomie und eine Persönlichkeit hat, und ich behandle ihn, als wäre er ein Lebewesen.“ Dahinter steckt eine Empfindsamkeit, die ein wenig „Zen“ und pantheistisch ist: Alles in der Natur lebt und kann daher auch porträtiert werden. Mich interessiert seit Neuestem die Denkschule zur „Pflanzenintelligenz“ sehr: In gewisser Weise organisieren sich die Pflanzen untereinander. Und sie gehören zu den langlebigsten Geschöpfen. Daraus können wir Lehren ziehen. Im Grunde müssen wir von den Bäumen lernen. Das hat auch Tradition: In der Fontation Cartier in Paris gab es etwa vor einigen Jahren die Ausstellung „Nous les Arbres“ („Wir, die Bäume“). Dabei ging es um die Bedeutung ihrer Existenz für unser Leben.

Fotografie eines kranken Baums in der Gegend von Llucmajor (2025). / Joan Fontcuberta
Was ist Ihnen bei Ihren Baumbildern wichtig?
Ich selbst möchte verschiedene Genres kreuzen: Da wird die Idee des Porträts mit hineinspielen, aber auch der Landschaft, des Akts und des Stilllebens. Das alles werde ich mischen. Ich glaube, die Fotografie hat diesen Beitrag für die Kunstgeschichte geleistet: In der Malerei waren die Genres sehr festgelegt. Die Kamera erlaubte eine Hybridisierung. Manchmal wissen wir nicht, ob es sich um eine Reportage oder ein gestelltes Bild handelt. Für mich ist das Wichtigste das Konzept, die Intention, der Ausdruck. Ich werde Bilder anstreben, die bestimmte Atmosphären erzeugen und Gefühle vermitteln. Es muss eine Art Vibration geben, die es dem Betrachter erlaubt, seine eigenen Empfindungen, Blicke und Wege des Seins darauf zu projizieren.
"Es geht um eine Interpretation der Natur"
Ein zentraler Aspekt Ihrer Arbeit ist, den Wahrheitsanspruch an die Fotografie zu kritisieren. Spielt das hier in Llucmajor auch eine Rolle?
Ich würde sagen, dass meine Arbeit vier Eckpfeiler hat: die Wahrheit, die Erinnerung, die Materie – also das Bild als Objekt – und die Bildsprache. Von all diesen Facetten waren die populärsten Projekte – wahrscheinlich, weil sie am spektakulärsten sind – aus dem Bereich der Fiktion, die die Wahrhaftigkeit der Fotografie infrage stellt. Im Fall des jetzigen Projekts gibt es keine fiktive Erzählung, sondern einen meta-fotografischen Ansatz. Es geht um eine Interpretation der Natur. Ich erlaube mir dabei die Freiheit, mich von meiner Intuition leiten zu lassen und auch „Unfällen“ Raum zu geben. Zum Beispiel weiß ich noch gar nicht, ob es direkte Fotos werden, oder ob wir sie danach noch mit KI bearbeiten. Die Workshop-Teilnehmer sollen sehen, dass auch ich zweifle und Probleme lösen muss, um zu einem überzeugenden Ergebnis zu kommen.
Sie waren im März zum ersten Mal im Fotografiezentrum und haben eine Konferenz zum Thema „Die Fotografie, von der Alchemie zum Algorithmus“ gehalten. Wie hat KI unsere Wahrnehmung von Fotografie verändert?
Ich glaube, wir können das auf einer abstrakteren Ebene betrachten: Wir entwickeln uns von einer literarischen Sprache hin zu einer mathematischen. Die eine basiert auf Metaphern, die andere auf Statistik. Aber beide wollen uns die Realität näherbringen. Es geht darum, dass diese Sprachen eine Allianz bilden, bis zu einem gewissen Grad verschmelzen müssen. Das lässt sich auf das Gebiet der Fotografie übertragen. Ich spreche hier von den Konzepten der algorithmischen und der alchemistischen Fotografie. Sie entstand einst durch den Einsatz von Licht und chemischen Prozessen, heute ist sie eine Tochter von Daten und Algorithmen. Es gibt eine Art Evolution. Früher standen in unserer visuellen Kultur das Auge und die Kamera im Mittelpunkt, heute nimmt die KI eine zentrale Position ein.
Bilder waren schon immer nur Fiktionen
Sehen Sie diese Entwicklung als Bedrohung?
Jedes Mal, wenn eine neue Technologie auf den Plan tritt und es Innovationen gibt, sind wir alarmiert. Denn wir werden mit etwas Unbekanntem konfrontiert, das uns eine gewisse Angst bereitet und Misstrauen weckt. Aber wenn wir diese Technologie intelligent und in demokratischem und humanistischem Sinne anwenden, glaube ich, dass sie uns nützen wird und uns bereichern kann. Das Problem ist: Was, wenn das so nicht geschieht? Beim Thema KI denken wir automatisch an die Chatbots, die von den großen Tech-Konzernen entwickelt werden. Aber KI bietet mir auch die Möglichkeit, Algorithmen zu programmieren und für meine Projekte eine bestimmte Form der generativen Visualisierung zu nutzen. Da gilt es zu unterscheiden.
Macht uns der Einsatz von KI nun auch misstrauischer gegenüber dem, was wir sehen?
Die Fotografie als „Spiegelbild der Natur“ war eine Ausnahme in der Entwicklung der Bildtradition. Jetzt ist es, als ob wir plötzlich zu einer Art und Weise, Bilder zu konstruieren, zurückkehren, die beinahe malerisch ist. Wir malen aber nicht mehr von Hand mit einem Pinsel, sondern es „malt“ ein Algorithmus. Letztlich kommen Bildschöpfungen dabei heraus, die kein Produkt von physischer Wahrnehmung und Chemie mehr sind. Es ist ein Paradigmenwechsel. Doch Bilder waren schon immer nur Fiktionen – Elemente der Sprache, die wir verwenden, um uns der Welt anzunähern und darüber zu reden. Aber sie waren nie die Welt selbst. Das Problem mit der Fotografie ist: Wir haben beinahe geglaubt, dass sie die Realität ersetzt. Die Nähe war so groß, dass sie uns das Gefühl gab, beides sei fast dasselbe. Und jetzt kehren wir zur Klarheit zurück, dass wir begreifen: Die Fotografie ist – genau wie die Worte – eine Art, die Welt zu beschreiben.
So läuft das Projekt: Bis 3. Oktober erarbeitete Joan Fontcuberta mit einer Workshop-Gruppe das Projekt „Retratar arbres“. Im April 2026 wird das Ergebnis im Zentrum Toni Catany gezeigt. Mehr Infos gibt es auf der Website fundaciotonicatany.cat
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