Von Brigitte Kramer

Als die Mallorquiner noch nicht wussten, dass sie im Paradies leben, gab es keine Probleme. Verbrechen, Raub, Diebstahl waren unbekannt, die Menschen bewegten sich frei, allen standen Tür und Tor offen.

Das ist natürlich übertrieben.

Seitdem die Insel am eigenen Erfolg zu ersticken droht, also grob gesagt seit 40 Jahren, ist die Welt nicht mehr so heil, wie sie manche Einheimische gerne hätten. Überall drohen Raub und Diebstahl, keinem ist mehr zu trauen.

Was natürlich ebenso wenig stimmt.

ýWir erleben die Verbunkerung Mallorcas", meint trotzdem Tomàs Vibot, Historiker, Wanderer und Experte für mallorquinische Anwesen, possessions (Besitztümer) genannt. Die Paranoia ums Eigentum habe mit Beginn des Tourismusbooms eingesetzt, meint er, ýals die ersten Ausländer kamen, Landgüter kauften und lückenlos einzäunten". In den 70ern schüttelten die Einheimischen noch mit dem Kopf, wenn sie an Wachhund und Stacheldraht vorbeikamen - da konnte nur ein Ausländer wohnen, so sagten sie.

Heute machen sie es selbst so, zäunen ein und bewachen, was früher Arbeitsplatz für arme Dörfler, auswärtige Tagelöhner und über Generationen hinweg einzige Einkommensquelle für Gutsverwalterfamilien war. ýDie possessió ist kein Nutzland mehr, sie ist Rückzugsgebiet für Millionäre geworden", sagt Vibot, der gerade am vierten Band seiner Reihe ýLes ­possessions de Mallorca" sitzt (El Gall Editor). Früher verliehen die oft immens großen Besitzungen ihren Eigentümern den Beinamen. ­Familienwappen über dem Türrahmen oder am Eingangspfosten verwiesen auf die Identität des Besitzers, der mit senyor angesprochen wurde und meist in Palma lebte.

Heute steht Anonymität an oberster Stelle. Treuhandgesellschaften verbergen mitunter den Namen der Besitzer, die sich oft nur wenige ­Wochen im Jahr auf ihren Gütern aufhalten und schon allein deshalb auf private Wachfirmen und elektronische Überwachung zurückgreifen.

Aber es gibt ein Problem: Die Geschichte der rund 500 possessions auf Mallorca zeigt, dass es um die Öffentlichkeit der Anwesen nicht immer so gut bestellt war, wie das heutige Wanderverbände und ­Heimatpfleger behaupten. Sie fordern die Nutzung traditioneller Wege, machen Stimmung gegen ausländische Neureiche, wollen sich ýihr" Land, ihr Stück vom Paradies, nicht wegnehmen lassen.

Schon zu Zeiten der ersten Adeligen aus Katalonien, die mit dem Eroberer Jaume I. ab 1229 nach Mallorca kamen und sich vom König ihre Dienste mit Land bezahlen ließen, war Besitztum eines der wichtigsten Unterscheidungsmerkmale der Inselbevölkerung überhaupt. Es gab die Landlosen und die Landbesitzer, erstere arbeiteten für letztere, zu Bedingungen, die letztere vorgaben. Das landschaftliche Interesse beider Gruppen tendierte gegen null. Arbeiten, das Land bestellen, ernten, das waren auf den Selbstversorgerhöfen die Vorgaben, tagein, tagaus.

Die heute so scharf verteidigten öffentlichen Wege waren Arbeitswege von Tagelöhnern, waren Verbindungen zwischen Wäldern und Feldern, zwischen Dörfer und abgelegenen Verwaltungshäusern. Freiwillig betrat sie niemand. Es gab auf Mallorca Landarbeiter, die das ganze Jahr die possessió nicht verließen, die vielleicht einmal im Leben nach Palma kamen, die starben, ohne das Meer gesehen zu haben.

Als die Erben der Erben der Erben der katalanischen Eroberer Mitte des 19. Jahrhunderts mit weit weniger Eifer als ihre Ahnen an die Bestellung des Landes gingen, begann die lange Phase der Dekadenz der Anwesen. ýPossessions sind heute defizitär, wer kann sich das noch leisten?", fragt Tomàs Vibot zurück auf die Frage, warum denn so viele Ausländer und so wenig Mallorquiner die kulturprägenden Höfe und ihre Ländereien kaufen.

Einer immerhin mochte und konnte sich die Ländereien leisten: Der Finanzier Joan March, geboren 1880 in Santa Margalida, gestorben 1962 in Madrid. Der erste Tycoon der Insel kaufte Anfang des 20. Jahrhunderts mit Vorliebe Landstriche an der Küste, um dort in Zeiten von Armut und Bürgerkrieg ungestört Schmuggelware zu löschen und sie durch unwegsames Gelände wegtransportieren zu lassen. Die Mitarbeiter fürs Grobe warb er unter den Tagelöhnern der Dörfer. Wo heute Touristen frei durchatmen, schleppten Hungerleider stundenlang Tabakballen und Alkoholfässer.

Dann kaufte Joan March auch possessions im Inselinneren. Die teilte der Geschäftsmann dann in kleine Parzellen und verkaufte sie an landlose Arbeiter, die so ihrer Misere als Tagelöhner entkommen konnten. Entsprechende Kaufdarlehen bot er den Bauern in seiner eigenen Bank, der Banca March.

Damals begann die Zerteilung der Insel, die bis heute andauert. Viele Landschaftsschützer bedauern den Trend, der aber immerhin vielen bettelarmen Mallorquinern zu finanzieller Unabhängigkeit verhalf - und der Joan March noch reicher machte, als er ohnehin schon war. Seinen Nachkommen gehören heute insgesamt ein Dutzend possessions, die zusammen eine Fläche von knapp 93 Quadratkilometern bedecken - das entspricht einem Anteil von knapp 2,6 Prozent der Gesamtfläche Mallorcas.

Im Besitz der Marchs sind die größten Ländereien der Insel, allen voran s´Avall an der Südküste mit rund 38 Quadratkilometern, gefolgt von einigen enorm großen Arealen in der Tramuntana (Mossa, Ternelles, Cosconar), die der Wanderer übrigens auch nicht einfach so durchqueren darf. Sie sind zwar nicht lückenlos eingezäunt, wie das der Brite Stephen Benson mit Es Rafal de sa Planici (Gemeinde Banyalbufar) oder der Deutsche Peter Eisenmann mit Es Fangar in Manacor gemacht haben. Das mag aber vor allem an der Unwegsamkeit des gebirgigen Hochlandes liegen, in dem sich einige Besitztümer der March-Erben befinden. Berggipfel und Schluchten lassen sich schlecht umzäunen. Und wer jemals versucht hat, die possessió s´Avall im Süden zu betreten, der weiß, dass auch Mallorquiner ihre Intimsphäre schützen. Auch die eingeschränkte Nutzung der Wege in den March-Fincas Ternelles und Ariant (beide Pollença) musste auf dem Gerichtsweg erstritten werden.

Auf die Frage, warum in den Alpen niemand ums Wegerecht streitet, antwortet Tomàs Vibot: ýAuch dort laufen wir permanent über Privatgrundstücke, nur erachtet die niemand als Stück vom Paradies."

Formentor

Die Landzunge ist 13,5 Quadratkilometer groß und gehört zur Gemeinde Pollença. Sie ist nur teilweise öffentlich zugänglich. Schon im 13. Jahrhundert wurden die cases de Formentor, eine kleine Gruppe landwirtschaftlicher Nutzgebäude, erwähnt. Sie sind noch erhalten. Zwischen 1926 und 1928 kaufte der argentinische Intellektuelle Adán Diehl die Ost- und Westflanke der Halbinsel für insgesamt 520.000 Peseten (heutiger Wert: 3.000 Euro), um dort 1929 das berühmte Hotel zu eröffnen. Vorherige Besitzerin war die Familie des mallorquinischen Dichters Mossen Costa i Llobera. Formentor war bis 1929 unberührt und nur vom Meer her zugänglich. 1934 ging die felsige Schönheit in den Besitz der Bank Crédito Balear über. Heute gehört sie der mallorquinischen Gruppe Barceló Hotels & Resorts, die auch das Hotel betreibt.

s´Avall (Sa Vall)

Mit knapp 38 Quadratkilometern ist das Landgut in Ses Salines und Santanyí die mit Abstand größte possessió auf Mallorca. Sie ist, abgesehen von einigen Stränden, unzugänglich. Von 1390 bis 1919 war sie in Besitz der Familie Descatlar. Heute gehört s´Avall der über 90-jährigen Carmen Delgado, Schwiegertochter des berühmt-berüchtigten Bankers und Finanziers Joan March (1880-1962). Er hatte das trockene, sandige Stück Land 1919 gekauft, um dessen kilometerlange Strände zum Schmuggeln zu nutzen. Erzherzog Ludwig Salvator beschrieb s´Avall 1884 als eine der wichtigsten possessions, die aus wildem Strauchwerk ­(garriga), Dünen, flachem, felsigem Küstenland und Weizenfeldern bestand. Die Verwaltungsgebäude waren groß und weit verzweigt. In den 1940er Jahren wurden dort friesische Kühe gehalten. Heute gehört s´Avall zu den wenigen unberührten Landstrichen Mallorcas mit einer großen Artenvielfalt.

Mortitx

2002 wechselte ein Teil des 9,3 Quadratkilometer großen Anwesens im Hochgebirge von Escorca den Besitzer. 58 Weinbauern um Antonio Ensenyat gründeten die Kooperative Vinyes Mortitx S.A., seitdem wachsen auf 600 Metern Höhe 27.000 Weinstöcke verschiedener Sorten. Der erste Jahrgang wurde 2006 vorgestellt. Ein großer Teil des ehemals landwirtschaftlich genutzten Anwesens ist heute im Besitz der balearischen Landesregierung, die dort für Wanderer und Beobachter des Mönchsgeiers eine Berghütte und mehrere Routen instandhält. Der Ursprung als landwirtschaftliches Anwesen geht bis ins 13. Jahrhundert zurück. Die eigentliche possessió, also das Verwaltungsgebäude, stammt aus dem Jahr 1300 und liegt an der Straße zwischen Lluc und Pollença. Dort beginnt die Schluchtenwanderung entlang dem Torrent de Mortitx oder der Abstieg zur sagenumwobenen Felsformation Cova des ses Bruixes (Hexenhöhle).

Es Fangar

Das 12,6 Quadratkilometer große Anwesen in Manacor ist die größte possessió der Gemeinde, ein Großteil steht unter Landschaftsschutz. Seit einigen Jahren gehört Es Fangar dem Deutschen Peter Eisenmann, der seinen Besitz vollständig umzäunt und damit den Groll der Einheimischen auf sich gezogen hat. Um die ursprünglichen cases des Fangar entstehen Anlagen, die auf Hotels und landwirtschaftliche Nutzung hinweisen. Die Gemeinde Manacor verhandelte zwischen 2004 und 2006 mit dem Besitzer erfolglos um eine eingeschränkte Nutzung der 14 öffentlichen Wanderwege, die durch die waldige Hügellandschaft nahe bei Son Macià führen. Der Ursprung von Es Fangar liegt im 15. Jahrhundert. Damals gehörte die possessió der Familie Truyols, später den Bonníns, die ihren Besitz schließlich an den Deutschen veräußerte.

Es Rafal des Porcs

Die possessió an der Südspitze Mallorcas ist, ähnlich wie die benachbarte Finca s´Avall, ein unberührter Landstrich. Das Gebiet wird vom spanischen Umweltministerium zu den artenreichsten Regionen der Balearen gerechnet und steht unter Schutz. Die felsigen Küstenabschnitte bieten Fledermäusen und anderen Höhlentieren Zuflucht. Sandbuchten und Jagdgründe im Hinterland machen das 12,5 Quadratkilometer große Areal außerdem zu einem begehrten Ausflugsziel von Hippies, Yachtbesitzern und Neureichen. Der balearische Jagdverband organisiert auf der unzugänglichen Privatfinca regelmäßig Kaninchenjagden mit ibizenkischen Podenko-Hunden.

Das alte Verwaltungsgebäude liegt in der Nähe des Weilers Es Llombards und stammt aus dem frühen Mittelalter. Das gesamte Gebiet des Anwesens ist übersät von prähistorischen Fundstätten.

Mossa

Der wilde Landstrich am Meer wurde früher von Schmugglern genutzt, die im Auftrag von Joan March Tabak und vieles mehr aus Nordafrika oder vom spanischen Festland nach Mallorca brachten. Dessen Nachkommen gehört die 12,5 Quadratkilometer große possessió (Gemeinde Escorca) heute noch. Sie erlauben den Durchgang in Nähe des Verwaltungsgebäudes nur sonntags. Die eigentliche Finca mit gepflegten Olivenhainen, gut erhaltenen, breiten Wegen sowie einem weitläufigen Dreschplatz für Getreide liegt an der Straße von Lluc nach Pollença. Sie ist einfach und großzügig gebaut und stammt, wie viele possessions, aus der Zeit der ersten arabischen Siedler (13. Jahrhundert). Der Name der Finca geht vermutlich auf den arabischen Eigennamen Musa zurück. Spektakuläre Rundwege führen noch heute auf den Spuren der Schmuggler durch das Anwesen.