Es war schon September. Die Luft warm, aber die Brise frisch. Ich war am Meer. Den August über hatte ich viel gearbeitet, die urlaubenden Kollegen vertreten. Mehr Arbeit als sonst. Büro, Computer, neue Themen, neue Menschen, fragen, schreiben, abliefern, im Zeitplan bleiben. Den Sommer hatte ich nur auf der Heimfahrt im aufgeheizten Auto wahrgenommen. Jetzt endlich Tapetenwechsel, an der spanischen Küste. Die anderen wollten einen Ausflug machen zu einer idyllischen Bucht, einem besonderen Restaurant, ziemlich weit weg. Sie wunderten sich, als ich ablehnte. Nein, ich wollte nur zum örtlichen Strand. Der Tag wurde zu meinem persönlichen Inbegriff von Entspannung. Das Gefühl ist in mir konserviert.

Passiert ist an dem Tag eigentlich nichts. Ich lag auf meinem Handtuch, spürte unter den Handflächen den Sand, hörte das Meeresrauschen. Ab und zu ging ich ins Wasser, ließ mich ein bisschen von den Wellen tragen, schwamm ein paar Züge und legte mich dann wieder in die Sonne. Die ein paar Meter weiter liegenden anderen Badegäste wechselten im Laufe des Tages, ich blieb. Das Meer auch. Ich tauchte in mein Buch ab, hörte Musik, schloss die Augen, der Wind wie ein Streicheln auf der Haut döste ich weg, schaute aufs Wasser und zum Horizont.

Warum sich dieser ereignisarme Tag so toll angefühlt hat, erklärt mir ein paar Jahre später die Autorin des Buches ýEinfach schweben. Wie das Meer den Menschen glücklich macht", Eva Tenzer. ýDas Meer ist der perfekte Kontrast zu dem perfekt reglementierten Alltag vieler Menschen. Es bietet eine Form von Sinnlichkeit, die man selten hat. Das Eigengeräusch des Meeres, Buddeln im Sand, die direkte Begegnung mit der Natur, indem man ins Wasser geht", sagt sie. Das sinnliche Erleben und das vollkommene Aufgehen im gegenwärtigen Zustand könne für Hochgefühle sorgen. Ein wichtiger Aspekt für den Feel-good-Effekt des Meeres ist auch das kultivierte Nichtstun, das dort möglich wird. ýDas Meer ist die einzige Landschaft, in der man nichts tun muss. Am Strand kann man einfach nur sitzen und gucken - anders als in den Bergen", sagt Tenzer. Dieser Zustand im Gegensatz zum Alltagsstress sei eine Grundlage für die psychische Gesundheit und Kreativität.

Die schlechte Nachricht für Mallorca-Residenten, wie ich es mittlerweile auch bin: Wer das Meer ständig vor der Nase hat, dem geht diese positive Wirkung verloren. ýEs tritt ein Gewöhnungseffekt auf. Der erste Blick ist immer umwerfender", sagt Tenzer. Stimmt! Der tägliche Blick aus dem Büro zum Meer wirkt bei mir keine Tiefenentspannung aus, und zehn Stunden am Strand sind mir nun auch zu langweilig. Aber man kann es ja auch so machen wie Bianca Barreck. Die Deutsche wohnt zwar in unmittelbarer Nähe zum Meer in sa Ràpita, sie schwimmt aber lieber im Pool und bewahrt sich den Strand für besondere Stunden auf. ýIch geh zum Meer, wenn ich den Kopf voller Gedanken hab und nicht mehr weiterkomme. Ich gehe abends, wenn man das Rauschen besser hört. Das Meer beruhigt mich, ich kann dann einfach mal an nichts denken. Das Meer stellt alles wieder in die richtige Relation. Man sieht sich wieder mehr im Zusammenhang, im Kreislauf der Erde. Man wird selbst kleiner und die Probleme auch."

Psychologen bestätigen diese Wirkung. Die Vorstellung vom Meer wird daher auch bewusst in Therapien eingesetzt. Wichtig ist die Möglichkeit, den Blick in die Weite schweifen zu lassen. Dies sei das Gegenteil von gelenkter Aufmerksamkeit, das Unterbewusstsein, unaufhörlich mit der Auswertung optischer Eindrücke beschäftigt, komme dann zur Ruhe, erklärt Expertin Tenzer.

Nicht jeder aber will das Meer am Ufer in Kontemplation versunken erleben. Es gibt auch ein Meeresglück, das sich erst auf hoher See einstellt. Dann bedeutet Meer vor allem Freiheit und Abenteuer, wie es etwa der Dichter José de Espronceda in seinem berühmten Gedicht ýCanción del Pirata", dem pathetischen Manifest der spanischen Romantik aus dem Jahr 1835, besingt. In den Reimen, die bis heute spanische Schulkinder auswendig lernen müssen, wendet sich der Held von der Gesellschaft ab und begegnet furchtlos der Gewalt des Meeres. Im Refrain klingt aufgewühlte Aufbruchsstimmung:

Que es mi barco mi tesoro,

que es mi dios la libertad,

mi ley, la fuerza y el viento,

mi única patria, la mar.

In der Realität von heute sind es Segler, wie der Schweizer Tom Eugster, die nicht genug bekommen können vom ewigen Blau von Wasser und Himmel und der Konzen-tration auf die Natur. ýWochenlang auf dem Wasser zu sein, begleitet von Sonnenauf- und untergängen ist das Schönste überhaupt", sagt er. Elf von zwölf Monaten habe er jahrelang auf dem Meer verbracht, erzählt der mittlerweile in Llucmajor lebende Skipper. ýMan ist geschützt vor dem Stress in den Städten und gleitet durch die Wellen ohne Lärm. Man konzentriert sich auf die Basics, hat einige haltbare Lebensmittel dabei, angelt sich ansonsten sein Essen, erlebt die Wetterwechsel unmittelbar", schwärmt er.

Für viele einheimische Insel-Bewohner wiederum ist das Meer oft stark mit positiven Kindheitserlebnissen verbunden. ýWir waren im Sommer immer mit der ganzen Familie zusammen am Strand. Das ist fest in meinem Kopf", sagt die Mallorquinerin Alexandra Rueda. Ein Leben ohne Meer kann sie sich nicht vorstellen. ýMan kann dort super lesen, die besten Siestas machen und die Brise vertreibt sogar einen Kater. Es ist einfach die beste Entspannung."

Dem kann ich nur zustimmen. Damals, im Urlaub, als meine Begleiter spätabends von ihrem Ausflug nach stundenlanger Autofahrt abgekämpft zurückkamen und mich bedauerten, angesichts dessen was ich alles verpasst hatte, winkte ich ab. ýMir geht´s gut. Ich war am Meer."

In der Print-Ausgabe lesen Sie außerdem:

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