Von Karl-Heinz Eiferle

„Du bist ja völlig lebensmüde", meinte meine Tochter entsetzt am Vorabend, und ihre Mutter befürchtete gar einen gewaltsamen Abbruch der Unterhaltszahlungen. Umsichtige Freunde schickten mir Links von Prothesenanbietern. Ein anderer einen Film, in dem eine Robbe von einem Weißen Hai zerfetzt wird. Die war zwar nur aus Gummi, aber das bin ich in dem nagelneuen Tauchoverall auch.

Neben mir sitzt Christophe Boulaire. Er ist ein erfahrener Tauchlehrer und hat schon vielen Menschen in der Karibik die Flora und Fauna unter Wasser gezeigt. Für das Palma Aquarium führt er aber erst zum zweiten Mal einen Gast durch das Haifischbecken. „Keine Panik, das wird schon alles gut gehen. Wir werden eine tolle Zeit unter Wasser haben", ist der 32-Jährige überzeugt. Bei neuen Angeboten kann man nicht erwarten, dass das alles schon tausendfach erprobt ist. Das ist ja auch der Reiz. Und dennoch, ganz wohl ist mir nicht.

Vielleicht weil mir gerade die obligatorische Verzichtserklärung eingefallen ist, die jegliche Haftung seitens des Veranstalters ausschließt. „Ich weiß, dass Haie potenziell gefährliche Tiere sind und ich selbst die Verantwortung für mögliche Verletzungen oder gar den Todesfall trage", steht da geschrieben. „Die Unterschrift war einfach eine Formsache", rede ich mir ein. Richtig überzeugen kann ich mich nicht.

Beim Anlegen der Ausrüstung stelle ich mich so dämlich an, als ob ich das noch nie zuvor gemacht hätte. Bin mit den Gedanken schon ein paar Schritte weiter. Und rasend cool bin ich auch nicht. Boulaire muss denken, dass ich meinen Padi Advanced Open Water Diver bei ebay ersteigert habe. Aber Haie haben einfach einen verdammt schlechten Ruf. Das macht nervös.

Letztes Briefing. „Wenn wir da unten sind, haben die Haie absolute Priorität. Sie haben immer Vorfahrt. Wenn einer direkt auf uns zu schwimmt, weichen wir ihm ohne Hektik aus. Auf gar keinen Fall einen Hai anfassen, beim Abtauchen auf ihn treten oder beim Auftauchen mit dem Kopf gegen ihn stoßen. Das kann ihm möglicherweise nicht gefallen. Die Haie immer im Auge behalten. Noch Fragen?" „Ja! Haben die schon gefrühstückt?" Zugegeben, das ist eine blöde Frage, aber sie interessiert mich wirklich. „Keine Sorge, die sind satt. Außerdem entsprechen wir nicht ihrem Beuteschema. Wenn tatsächlich einer noch Appetit hat, schiebst du mich einfach vor", versucht Boulaire mich aufzumuntern.

Bloß nicht erschrecken!

„Wie erkennt man denn einen schlecht gelaunten oder hungrigen Hai?" „Gar nicht." „Na super!" „Du brauchst dir wirklich keine Sorgen zu machen. Wenn wir uns richtig verhalten, machen die nichts." Au Mann, das haben mir auch schon dutzendfach Halter von Kampfhunden gesagt, die ihren Liebling unangeleint und ohne Maulkorb Gassi führten.

„Ach so, noch etwas. Sollte ein Hai von hinten extrem nah an uns vorbeischwimmen, bloß nicht erschrecken." Keine Ahnung, wie ich das vermeiden kann, aber gut. „Bloß nicht erschrecken, bloß nicht erschrecken, bloß nicht erschrecken!", präge ich mir ein. Noch ein letzter aufmunternder Blick von Boulaire, und hinein ins feuchte Element.

Paco Valdés ist bereits im Wasser. Er ist der Dritte im Bunde und wird den Tauchgang für die Nachwelt filmen. Es geht hinab auf acht Meter Tiefe. Kaum ein Aquarium in Europa ist tiefer. Trotz des Superlativs, eine Herausforderung ist das selbst für einen Tauchanfänger nicht. Im Hintergrund sind bereits die ersten Haie deutlich zu erkennen. Ich habe Probleme mit dem Austarieren und steige auf und ab wie ein Jojo. Das fängt ja gut an.

Ein Sandtigerhai steuert gemächlich auf uns zu. Oh Gott, muss denn gleich der allergrößte im Becken den Anfang machen. Gelangweilt dreht der Koloss von sich aus nach links ab. Nicht ohne vorher noch einen imposanten Blick auf sein Gebiss zu gestatten. Eine Kettensäge ist im Vergleich dazu Kinderbesteck. Hoffentlich reagiert der nicht allergisch auf Adrenalin.

Gitarrenhai auf der Flucht

Ein Gittarenhai liegt flach wie eine Flunder auf dem Boden. Noch bevor ich mir einschärfe „bloß nicht drauftreten", ergreift er bereits die Flucht und wirbelt jede Menge Sand auf. Das gibt ein wenig Selbstvertrauen. Endlich bin ich auch halbwegs austariert und kann mich nun problemlos in alle Richtungen bewegen. Ich werde etwas entspannter. Das hält jedoch nicht lange an. Eine dreiköpfige, finster dreinblickende Gruppe von Schwarz- und Weißspitzen-Riffhaien nimmt Kurs auf uns. „Ganz ruhig bleiben", sage ich mir, aber die Haare sträuben sich gewaltig. „Die Gefahr eines Haiangriffs ist statistisch gesehen geringer, als vom Blitz erschlagen zu werden." Aber die Hochrechnung, und das mag ich mir nicht so gerne eingestehen, hat blöderweise einen Haken. Denn sie geht nicht von einem derart hohen Haiaufkommen pro Kubikmeter Wasser aus. Die Wahrscheinlichkeit, im Meer auf einen Hai zu treffen, ist gleich null. Hier trifft man auf fast nichts anderes. Doch auch das furchteinflößende Trio interessiert sich kaum für uns. Zum Glück halten sie uns für neue Nachbarn und nicht für Eindringlinge in ihr Revier.

Immer wieder bestätige ich Christophe mit dem O.K.-Zeichen, dass bei mir zumindest technisch alles im grünen Bereich ist. Richtig genießen kann ich den Ausflug immer noch nicht. Haie, fällt mir wieder ein, leben überwiegend in großen Tiefen. Hier haben sie nur fünf bis acht Meter bis zur Oberfläche. Was, wenn einer von denen einen Höhenkoller kriegt und ausflippt?

Nach etwa zehn Minuten hören die Zweifel schlagartig auf. Alle Haie haben uns längst gesehen, und wir sie auch. Selbst dem Prachtexemplar, das mir von hinten dicht über die Schulter schwimmt, gelingt es nicht mehr, mich zu erschrecken. Ich habe zwar nach wie vor einen Höllenrespekt, aber zunehmend registriere ich, dass es auch noch andere Fische in dem etwa hallenbadgroßen Becken gibt. Doraden, Wolfsbarsche, Rochen, all das, was man sonst nur vom Fischtresen in der Markthalle kennt. Und noch vieles mehr.

Alle Finger noch dran

Eine Muräne schlängelt sich an den Felsen entlang, ein gewaltiger Schwarm von Gelbschwanzmakrelen glitzert in der Ferne. „Die können auch froh sein, dass die Haie bereits gefrühstückt haben", denke ich. „Die passen bestimmt perfekt ins Beuteschema." Erst jetzt bemerke ich auch die Besucher des Aquariums, die sich dicht gedrängt ihre Nasen an der 28 Zentimeter dicken Scheibe platt drücken, die sie von der Unterwasserwelt trennt. Wir tauchen weiter zwischen den Haien. So, als wäre dies das Normalste auf der Welt. Und es fasziniert mich immer mehr.

Paco liegt schräg unter mir auf dem Boden und filmt. Längst bin selbst ich davon überzeugt, dass der Film nicht „Shark Attack" heißen wird, und genieße den Tauchgang. Das merkt auch Boulaire. Wir schwimmen über dem Glastunnel und haben die Besucher nun unter uns. Dann wieder hinab, durch einen Felsdurchgang hindurch. Die Konzentration auf die Haie lässt keine Sekunde nach, aber jetzt ist alles relaxt. Rochen schweben, Vögeln gleich, an uns vorbei. Schwarmfische weichen aus, so, als ob sie uns auch für einen gefährlichen Raubfisch halten.

Nach etwa 30 Minuten knien Christoph und ich auf dem tiefsten Punkt des Aquariums, schauen uns an, geben ein abschließendes doppeltes O.K.-Zeichen und schütteln uns die Hand. Dann fordert er mich auf, die Finger an beiden Händen abzuspreizen. Trotz Atemgerät ist sein Schmunzeln nicht zu übersehen. Mit seinem Zeigefinger zählt er meine Finger ab. „Na bitte, fehlt ja nicht mal einer", heißt das wohl in der Zeichensprache. Und das, obwohl ein jeder weiß: „Und der Haifisch, der hat Zähne, und die trägt er im Gesicht ?" In der Druckausgabe lesen Sie außerdem:

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