Zehn Jahre dauerten die Vorarbeiten, 21 Millionen Euro wurden investiert und davon der Löwenanteil buchstäblich verlocht: Die zahlreichen gro-ßen Aquarien befinden sich alle im Boden, also unter Tag, was umfassende Aushubarbeiten notwendig machte. Oberirdisch ragt ein Steinturm in den Himmel. Er gleicht in seiner äußeren Form den einst zur Abwehr der Piraten gebauten Wehrtürmen Mallorcas.

Doch im Unterschied zu seinen antiken Vorbildern soll er nicht abschrecken, sondern vielmehr Besucher anlocken und zum Rundgang im neuen Cabrera- Besucherzentrum animieren. Hier können die Gäste anhand von über 4.000 Fischen, Krebstieren, Muscheln und Wasserpflanzen das Leben der Meeresbewohner der Cabrera-Inselgruppe studieren - und das bei freiem Eintritt!

Ein Deutscher macht sauber

In der am 1. Juli dieses Jahres eröffneten neuen Touristenattraktion im Ferienort Colònia de Sant Jordi arbeiten in verschiedenen Funktionen gegen 20 mehrheitlich junge Angestellte, unter ihnen eine Französin und der Deutsche Olaf Jansen. Er gehört zum fünfköpfigen Team, das die Aquarien betreut und sie täglich reinigt. Zu dieser heiklen Tätigkeit erläutert er: „Wir tauchen in Ganzkörper-Taucheranzügen und mit Sauerstofflaschen ausgerüstet in die Aquarienbecken. Dabei bewegen wir uns im Wasser äußerst vorsichtig, um keines der Lebewesen zu gefährden und möglichst wenig Bodensand aufzuwirbeln.“

In allen 17 Aquarien befindet sich echtes Meerwasser, das vorgängig gefiltert wurde, um das Einschleppen von Krankheiten zu verhindern. Fast überall dominiert schimmrig-blaues Licht. Dazu Olaf Jansen: „Wir simulieren die Lichtverhältnisse im Meer, tragen damit zur Beruhigung der Aquarienbewohner bei und erreichen als sehr erwünschten Nebeneffekt ein nur geringes Algenwachstum.“

Der Einlass ins Zentrum erfolgt normalerweise zu vollen Stunden, zum Rundgang gehören Filmvorführungen. Eine 3-D-Unterwasser-Produktion findet bei den Gästen viel Anklang, ein anderer Film, der Werbung für die Nationalparks in ganz Spanien macht, langweilt mit seinen etwas fantasielos aneinander gereihten Natursequenzen dagegen. Eine dritte Filmpräsentation in einem Studio mit hydraulisch verstellbaren Sitzen fällt derzeit aus.

Obwohl am Eingang ein vierfarbiges Prospektblatt mit Angaben über den heutigen See- und Landnationalpark Cabrera ausliegt, mangelt es vielen interessierten Besuchern an Information über das, was im Zentrum zu sehen ist. Beispielsweise fehlen im ganzen unterirdischen Bereich Angaben über die Aquarienbewohner. Zumindest möchte man doch die Namen von ihnen erfahren! Ebenfalls findet man nirgends auch nur einen einzigen Satz über die wechselvolle Geschichte von Cabrera. Deshalb sei hier kurz auf sie eingegangen.

6.000 kamen auf Cabrera um

Cabreras hervorragend geschützten Naturhafen nutzten schon die phönizischen Seefahrer als Zwischenstation auf dem Weg zu den abendländischen Küsten. Nicht wenige ihrer Handelsschiffe erlitten allerdings im stark zersplitterten Archipel mit seinen zeitweise schwierigen Strömungsverhältnissen Schiffbruch. Aus solchen gesunkenen Schiffen haben die Archäologen vor allem Amphoren und Bleibarren geborgen.

In späteren Jahrhunderten operierten von Cabrera aus immer wieder Piraten und verbreiteten in den Küstensiedlungen Mallorcas Angst und Schrecken. 1808 schlug das spanische Heer im Freiheitskampf die Truppen Napoleons bei Bailén in Andalusien. Die siegreichen Spanier deportierten 10.000 Gefangene auf die Insel Cabrera und überließen sie, so ungeheuer das klingen mag, weitgehend ihrem Schicksal. Verzweifelte, die Mallorca schwimmend zu erreichen versuchten, wurden als Leichen am heutigen Badestrand von Es Trenc angeschwemmt. 6.000 Soldaten des napoleonischen Heeres starben auf Cabrera, nur 3.600 überlebten die mehrere Jahre dauernde Schreckenszeit, an die seit 1847 eine Gedenkstätte auf der Insel erinnert.

Im 20. Jahrhundert erklärte die spanische Armee die Inselgruppe zur militärischen Sperrzone. Damit wurde ihre touristische Entwicklung vereitelt. Erspart blieb Cabrera beispielsweise ein Luxushotel mitsamt Spielcasino, das die einheimische Familie Feliu hier bauen wollte. Spanische Truppeneinheiten führten jahrzehntelang auf dem Archipel regelmäßig Manöver. Langjährige Feriengäste der Colònia de Sant Jordi dürften sich noch an das dumpfe Grollen zu Manöverzeiten auf Cabrera erinnern.

1986 wurde die Schießübungen definitiv eingestellt, 1991 wurde die Inselgruppe zu Spaniens erstem See- und Landnationalpark ernannt. Die weitgehend intakten Ökosysteme ermöglichten seither einheimischen und ausländischen Wissenschaftlern die Realisierung interessanter Studienprojekte.

Feriengäste können Cabrera den Sommer über in speziellen Touristenbooten besuchen und haben sich auf der Insel an strenge Vorschriften zu halten. Auch der private Yachtverkehr untersteht vielerlei Kontrollen. Zum Ankern im Naturhafen sind täglich höchstens 50 Boote zugelassen. Vorgängig haben die Skipper eine Genehmigung im Büro des Nationalparks in Palma einzuholen.

Gespenster zu Allerheiligen

An einem Feiertag im Jahr, an Totsants (Allerheiligen), dürften ältere mallorquinische Seeleute mit einem Hang zum Übersinnlichen die Cabrera-Gewässer auch heute noch meiden. In dieser Nacht sollen laut einer alten Legende die vor Cabrera Ertrunkenen dicht mit Algen behangen aus den Tiefen auftauchen, über das Wasser gehen und Schiffe und Besatzungen in ihre Totengruft auf dem Grund des Meeres mitschleifen.

Das Informationszentrum soll im bisher eher ruhig-behäbigen Ferienort Colònia de Sant Jordi zu einer wichtigen touristischen Attraktion heranwachsen. Der Bau ist so angelegt, dass man im Jahr 500.000 Gäste empfangen kann, was ungefähr 1.300 Eintritten pro Tag entspricht. Von solchen Zahlen ist man derzeit natürlich noch weit entfernt.

Immerhin zieht der Besuch von Woche zu Woche mehr an, was die Deutsche Brigitte Schober ganz besonders freut. Die Gastronomin aus Osnabrück übernahm zu einer Zeit, als das Besucherzentrum noch eine riesige Baugrube war, mit geschäftlicher Weitsicht das in unmittelbarer Nähe gelegene Restaurant „Strandkorb“. Das Lokal profitiert schon jetzt vom zunehmenden Touristenverkehr.

Bezüglich der Besucherzahlen im neuen Zentrum stellt Gastronomin Schober aufgrund ihrer täglichen Beobachtungen fest: „Das Wetter spielt hier eine zentrale Rolle. An sonnigen Tagen kommen wenig Leute, an einem verregneten Oktoberwochenende habe ich dagegen sehr lange Menschenschlangen gesehen. Die Besucher hatten Wartezeiten von zwei oder noch mehr Stunden in Kauf zu nehmen.“

Wer sich solches Ungemach ersparen möchte, wählt also einen schönen Tag und nimmt am besten gleich auch ein Strandtenue mit. Colònia de Sant Jordi ist bekannt für die Sandstrände, die sich teilweise in unmittelbarer Nähe der neuen Anlage befinden. Es besteht also eine günstige Gelegenheit, nach dem Besuch des Naturschutzzentrums einige Stunden am Meer zu verbringen. Auch ein Spaziergang zu den Salzseen des Ortes mit ihren je nach Jahreszeit größeren oder kleineren „Salz-Schneegebirgen“ kann den Ausflug in den Inselsüden schön abrunden.

Öffnungszeiten des Besucherzentrums in Colònia de Sant Jordi:

ganzjährig täglich von 10 bis 14.30 und von 15.30 bis 18 Uhr.

Eintritt frei.

Fotografieren im unterirdischen Bereich ohne Blitzlicht erlaubt.

In der Printausgabe lesen Sie außerdem

:

- Die ganz persönliche Einkaufshilfe

- Bingo und der Rest der Welt