Die Bewohner des Ortes Sencelles sind sich sicher: Das Zentrum liegt in einem Brunnen nahe des Weilers Ruberts, genannt Pou de Judí. Die Bewohner der Nachbargemeinde Lloret sehen das anders: Sie orten den Mittelpunkt Mallorcas in einem Brunnen an der Straße zwischen Lloret und Montuïri, dem Pou de Llorac. Und in Costitx ist man überzeugt, dass das Herz der Insel im nach dem Ort benannten Brunnen in ihrem Gemeindegebiet schlägt.

Schuld an dem Durcheinander hat die Form der Insel. Sie lässt sich nicht in die Form eines Kreises oder Quaders zwingen und macht so die Ermittlung des geografischen Mittelpunkts zu einer aufwendigen Rechenaufgabe, die erst im Computerzeitalter befriedigend gelöst werden konnte. Ein Versuch wurde zunächst im Jahr 1992 gestartet, im Auftrag der Gemeinde Costitx. Karten wurden digitalisiert, Daten eingegeben, Küstenlinien berechnet. Und siehe da: Auch der Computer ortete die Inselmitte bei einem Brunnen, im Camino d´es Horts - in der Gemeinde Costitx.

Damit war die Debatte aber nicht zu Ende. Zum einen kommt es auf die angewandte Methode an - zur Auswahl steht der Mittelpunkt eines von Breiten- und Längengraden begrenzten Gebietes, die Berechnung des Schnittpunkts oder die Ermittlung des Schwerpunkts. Zum anderen stellt sich die Frage, welche Erkenntnisse eine mathematische Methode in einem mythenumwobenen Thema überhaupt bringen kann.

Die Spur des Herzens führt jedenfalls nach Sencelles. Auf dem dortigen Brunnen prangte zumindest bis zu seiner Restaurierung im Jahr 1999 ein steinernes Herz, sozusagen el corazón de la isla. Das Wasser war in vergangenen Zeiten besonders bei Mallorquinerinnen beliebt, deren Kinderwunsch unerfüllt geblieben war - der Volksglaube besagte, dass der Brunnen die Fruchtbarkeit förderndes Wasser lieferte.

Die Gemeindeoberen von Lloret ließen sich davon jedoch nicht beeindrucken. Ohnehin können sie mit einem Markstein punkten, auf dem in lateinischer Schrift auf das Inselzentrum verwiesen wird: "Pou de Llorach - Hic Maiorcae Medium". Zudem wurden das spanische Infrastrukturministerium sowie die Balearen-Universität (UIB) eingespannt, um die die exakten Koordinaten zu berechnen.

Die Ergebnisse lagen im Sommer 2005 vor: Die UIB lokalisierte das Zentrum der Insel in der ersten Kurve der Landstraße von Lloret nach Pina. Das Ministerium hingegen kam zu dem Schluss, dass sich die Inselmitte bei den Höhlen von Deniat befinden müsse. Zufälligerweise liegen die Quellen, die die Gemeinde mit Trinkwasser versorgen, nicht weit entfernt. Die Geografen sind sich zwar nicht einig - und die Ergebnisse stimmen auch mit dem Volksglauben nicht überein. Aber dennoch: Lloret kann in Sachen Inselmitte zumindest einen Punktsieg für sich verbuchen.

Der Vollständigkeit halber erwähnt werden sollte noch, dass auch die Bewohner von Sant Joan in ihrem Brunnen, dem Pou de Solanda, die Inselmitte orten. Und Sineu glaubt sich gar im Zentrum der Welt: Der Legende zufolge dreht sich unter dem Kirchturm des Orts die Erdschraube. Wer daran zweifelt, muss sich selbst ein Bild vor Ort machen. In den Dörfern der Inselmitte findet er vielleicht nicht den geografischen Mittelpunkt der Insel. Er hat aber gute Chancen, ihr Herz pochen zu hören.

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