Es gibt Zufälle, da bleibt auch einer langgedienten Restauratorin die Spucke weg. Kika Coll hatte begonnen, eine 600 Jahre alte Bank zu restaurieren und war auf der Suche nach Ersatz für ein fehlendes Scharnier. Das Möbelstück stammte aus der Kathedrale in Palma, war Teil des alten Chors gewesen und hatte ab dem 16. Jahrhundert im Kreuzgang herumgestanden. Es würde das älteste Stück der Ausstellung ?El moble a Mallorca" (Möbel auf Mallorca) in der Kapelle des Centro Cultural Misericòrdia in Palma sein (nahe Via Roma), die Coll als Kuratorin gerade vorbereitete.

Die Expertin überlegte, ein Replikat des Scharniers anfertigen zu lassen - eine zulässige Praxis, solange man ehrlich damit umgeht. Zuvor aber warf sie einen raschen Blick in eine Schublade ihrer Werkstatt in Binissalem, wo sie auf Flohmärkten zusammengekaufte Beschläge und anderes Metallzeug aufbewahrt. Man weiß ja nie.

Und Coll traute ihren Augen nicht: Da lag ein identisches Scharnier. Zustand, Form, Größe, Gravuren - ?es musste von einer der anderen Bänke desselben Chorgestühls stammen oder von einem identischen Möbelstück aus der Epoche." Über die Umstände, die das Teil in all den Jahrhunderten möglicherweise aus der Kathedrale bis in die Schublade der Restauratorin transportierten, lässt sich nur spekulieren. Coll: ?Ich habe diesen Zufall bis heute nicht verarbeitet."

Ihr Verhältnis zu Möbeln ist generell von Leidenschaft geprägt. Nicht nur deshalb hat sie zu einer eher kleinen Ausstellung einen gewaltigen Katalog zusammengestellt, der wie ein Standardwerk zur Geschichte der Möbel auf Mallorca daherkommt (derzeit nur auf Katalanisch verfügbar) und vom Herausgeber - dem Inselrat, der auch die Ausstellung veranstaltet - unter den Besuchern gratis verteilt wurde. Nun träumt Kika Coll von einer zweiten Auflage, ?aber die sollte man verkaufen".

Zurück zu jener Bank, die bei der ersten Umgestaltung der Kathedrale aus dem Chor entfernt wurde. In der Ausstellung repräsentiert sie die am weitesten zurückliegende Epoche, nämlich die Gotik. Das Stück war in einem relativ guten Zustand gewesen, es hatte im Freien gestanden, war aber vom Gewölbe des Kreuzgangs gegen direkte Witterungseinflüsse geschützt gewesen. ?In einem abgeschlossenen Raum wäre die Bank verfault." Zur Herstellung war Kiefernholz verwendet worden. Die Ausstellung geht detailliert auf die Arbeit der Möbelhersteller ab dem 13. Jahrhundert ein, u.a. auf Werkzeuge und Materialien. Kiefernholz war erste Wahl, ?weil es verfügbar und naheliegend war". Dass ein heute als eher minderwertig verpöntes Material sechs Jahrhunderte durchstand, überrascht Coll nicht. ?Das Holz war dichter als heute und bei der Verarbeitung wesentlich besser getrocknet, somit resistenter." Zwar haben Holzwürmer ihren Weg in das Chorgestühl gefunden, aber mächtig geschmeckt hat es ihnen nicht. ?Man hatte schon damals Holzschutztinkturen, und mit den Jahrhunderten verlor das Holz seine Nährstoffe, Öle und trocknete komplett aus. Für Holzwürmer ein sehr unattraktives Ambiente."

Trotz der versteckten Lage an einer Gasse, durch die Palmesaner nur ungern gehen - ?die Menschen verbinden die Misericòrdia mit schlechter Gesellschaft" - war die Ausstellung bislang ein Publikumserfolg. Coll hat eine Erklärung: ?Fast jede mallorquinische Familie hat historische Möbel zu Hause herumstehen. In Notzeiten versetzte man den Schmuck, aber nur ganz selten die Möbel, denn die gehören zur Identität einer Familie - und sind auch schwerer zu transportieren."

Das Interesse am Thema ist also da, dennoch gibt es auf Mallorca kein Museum, das sich des Kulturschatzes Möbel annimmt. Kika Coll erinnert sich, dass die erste links-nationalistische Regierung vor Jahren einen Anlauf nahm, mit den Erträgen der verunglückten ecotasa (Umweltabgabe) ein ?Museum für dekorative Künste" einzurichten. Als Sitz war eines der wenigen noch erhaltenen gotischen Wohnhäuser Palmas vorgesehen: Can Serra (Plaça Quadrado), das freilich zu restaurieren wäre. So etwas wie ein zweiter Anlauf scheint sich abzuzeich­nen. Inzwischen wirkt Kika Coll neben ihrer Arbeit im Atelier, das sie mit Mariano Santos betreibt, am im Aufbau begriffenen Jugendstil- museum Can Prunera in Sóller mit.

Die Restauratorin ist immer wieder von den Stücken fasziniert, die ihre Kunden anschleppen. Die Möbel erzählen einiges über ihre früheren Besitzer. ?An einem Tisch sehe ich anhand der Spuren der Abnutzung, ob dort jahrelang jemand allein gesessen ist oder eine ganze Familie, ob geraucht oder Wein getrunken wurde, manchmal sogar, wo das Ding gestanden hat."

?El moble a Mallorca", bis 4. April in der Kapelle des Centro Cultural Misericòrdia, Palma. Eintritt frei.

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