Am Ende des Wegs zum Kloster erwartet den Wanderer ein Irrtum. „Cura - 534 Meter“ steht auf dem Schild kurz vor dem steinernen Eingangsportal. So hoch soll es hier auf dem Tafelberg zwischen Llucmajor und Algaida sein. Doch das stimmt nicht. „Es sind 548 Meter“, korrigiert der Vorsteher der Kloster­anlage, Franziskaner-Pater Jaume Monserrat, und beruft sich dabei auf das heute noch offiziell gültige Ergebnis einer topografischen Vermessung aus dem Jahre 1980. Dass es auf dem Hinweisschild trotzdem 14 Meter weniger sind, schreibt er dem Laisser-faire seiner Landsleute zu. „Mit Details nehmen Mallorquiner es nie so genau“. Ihm persönlich sei die falsche Höhenangabe da draußen vor dem Tor auch egal. „Die Nähe zu Gott misst man nicht in Metern.“ Dass man beim Kloster dem Himmel dennoch ein gutes Stück näher ist, wird bereits auf der Fahrt auf den Berg deutlich. Wie ein Gartenschlauch windet sich die schmale Teerstraße vom Bergdorf Randa durch eine karge, teilweise mit Pinien bewachsene Landschaft und ermöglicht in einigen Kurvenabschnitten fantastische Ausblicke auf die Südküste Mallorcas, das vorgelagerte Eiland Cabrera oder die Bucht von Palma. Besser ist es aber, den Blick stets auf die Straße gerichtet zu lassen, auf der einem nicht selten ganze Horden grellbunter Fahrradtouristen auf ihrer Fahrt ins Tal entgegenschießen.

Pater Monserrat wagt sich bis zu vier Mal pro Woche diesen Weg hinunter, um Erledigungen in Llucmajor oder Palma zu machen. Die meiste Zeit verbringt er jedoch im Kloster, dem er seit nunmehr 18 Jahren vorsteht. Über Langeweile auf dem Berg will sich Monserrat nicht beklagen. „Man glaubt ja gar nicht, was es hier oben alles zu tun gibt.“ Tatsächlich kommt der 68-jährige Franziskaner-Pater zwischen Frühandacht und Abendgebet kaum zur Ruhe. Neben den rund 25 Hochzeiten, 15 Kommunionsfeiern und ein Dutzend weiterer religiöser Zeremonien, die hier pro Jahr stattfinden, organisiert Monserrat auch mehrere Konzert- und Vortrags-abende im Kloster und begleitet die über 40 Lehrausflüge von Schulkassen aus allen Ecken der Insel. Ganz nebenbei ist Herr Pfarrer aber auch noch Hausmeister, Buchhalter, Souvenirverkäufer und nicht selten Fremdenführer von Cura. Unterstützt wird er von drei weiteren Ordensbrüdern und -schwestern, die mit ihm das weitläufige und verwinkelte Kloster in Schuss halten. Die Klosterherberge sowie das Restaurant werden dagegen von einem privaten Konzessionsunternehmen bewirtschaftet.

Bis zu 11.000 Besucher im Jahr, in der Mehrzahl ausländische Urlauber, kommen jährlich nach Cura, das somit zu den meistbesuchten Touristen-attraktionen der Insel zählt. Grund dafür ist ein echter Kloster-Promi: Mallorcas Universalgenie Ramon Llull (1236-1316), den es schon im 13. Jahrhundert auf den Tafelberg zog, um hier oben zu meditieren und die Muße für spätere Lehren zu sammeln, aus denen unter anderem das erste katalanische Grammatikbuch hervorging. In den Chroniken erwähnt wird Cura erstmals nach der Eroberung der Insel durch König Jaume I. als ein Ort der Einsiedler, die damals in Dutzenden von kleinen Höhlen gelebt haben sollen - oftmals handelte es sich dabei nur um zwei bis drei Meter tiefe Felsspalten.

Etwa um die erste Hälfte des 15. Jahrhunderts begann man auf der Spitze des Tafelbergs mit dem Bau einer Kapelle. Dank des Engagements eines venezianischen Eremiten sowie dem Geld einer katalanischen Aristokratin wurde das Gotteshaus zwei Jahrzehnte später um einen Anbau erweitert - und mit ihm der Grundstein für die spätere „Schule Llulls“ gelegt. Bis Ende des 16. Jahrhunderts sollen hier bis zu 160 Schüler pro Jahr katalanische Grammatik gepaukt haben, später wurde im sogenannten Estudio General von Cura neben Katalanisch auch Rhetorik und Griechisch gelehrt.

Anfang des 19. Jahrhunderts entstanden in Palma moderne Lehr- institute, der Grammatik-Unterricht in Randa kam aus der Mode, und 1826 verabschiedete sich schließlich der letzte Lehrer aus Cura für immer. Das Kloster verwahrloste, bis Mallorcas Diözese 1947 mit dem Bau der heutigen beiden großen Hauptgebäude zur Unterbringung von Novizen und zahlenden Gästen begann. Bereits 1913 hatte der damalige Bischof die Anlage von Cura dem Franziskaner-Orden zur Obhut übergeben.

Und heute? „Novizen haben wir hier seit 30 Jahren nicht mehr“, sagt Monserrat mit einem leichten Seufzen. Dafür entdeckten immer mehr ausländische Urlauber die traumhafte Lage des Klosters. Bereits in den 70er Jahren begannen skandinavische Reiseveranstalter, Busladungen voller Schweden auf den Berg zu karren, heute sind es meist Mietwagen, die tagtäglich auf dem großen Parkplatz vor dem Kloster parken. Doch wer glaubt, dass Cura dank Massentourismus sich in eine Goldgrube für die Franziskaner verwandelte, der irrt. „Die jährlichen Ausgaben zur Instandhaltung der Anlage sind gewaltig“, sagt Monserrat. Das Wasser für die beiden Trinkwasserdepots wird im Sommer mit 70 Tankwagen hochgebracht. Das Bohren eines eigenen Brunnens habe man den Klosterbrüdern bisher verweigert. Finanziell sei man hier oben vollkommen auf sich allein gestellt, die Diözese in Palma mache keinen Cent locker. „Wir leben einzig und allein von der Konzession für Herberge und Restaurant sowie den Einkünften aus dem Souvenirgeschäft.“

Im Andenken-Shop, dessen Öffnungszeiten keiner bekannten Systematik unterliegen, wird neben reichlich Kitsch und Tinnef vor allem eines feilgeboten: Randa-Likör, eine hochprozentige Variante des mallorquinischen Hierbas, den die Cura-Mönche bereits im 18. Jahrhundert literweise abfüllten und als Allheilmittel auf dem Markt in Llucmajor verkauften. Sechs Euro kostet der 20-cl-Flachmann. Wer sich nicht sofort entschließen kann, dem hilft Padre Monserrat gern mit ein paar Probegläschen nach.

Neben dem Souvenirladen liegt die Kapelle, von dort weist ein Schild zur „Sala gramática“, also der Ur-Aula aller Katalanischschüler, die heute als Museum dient. Am Eingang links wacht der 82-jährige Franziskaner-Bruder Sebastiá Rosselló darüber, dass jeder Besucher brav einen Obolus entrichtet. Wer das nicht macht, wird von Rosselló gelegentlich barsch angeknurrt. Zu sehen gibt es für die freiwillige Spende zahlreiche Raritäten wie zum Beispiel verstaubte Schriften und Bücher über die Llullsche Lehre, Fotos von anno dazumal oder verblichene Priestergewänder aus rotem und grünen Samt. Diese, so flüstert Padre Monserrat heimlich zu, haben eigentlich nichts mit dem Kloster zu tun, verleihten der Ausstellung aber einen Hauch römisch-katholischen Glamours.

Von der Aula geht es rechts in den wohl skurrilsten Teil des Cura-Museums, in die sogenannte „Sala Misiones Peru“. Hier haben Monserrat und Bruder Rosselló so ziemlich alles an die Wand gehängt und in die Ecke gestellt, was sie bei ihren Aufenthalten in der 3.300 Meter hohen Anden-Mission Huamachucu von 1967 bis 1982 in die Finger bekamen. Neben Ethno-Schmuck, Kleidung, Kopfbedeckungen, Mobiliar, Fotos und anderen Zeugnissen peruanischen Landlebens gibt es hier auch eine tellergroße, in Watte gelegte Vogelspinne sowie ein Einmachglas voller Coca-Blätter zu bewundern. In einem weiteren Raum, der auf den ersten Blick an eine schlecht beleuchtete Rumpelkammer erinnert, finden sich Klosterutensilien vergangener Zeiten wie beispielsweise eine vollmechanische Teigrührmischmaschine oder das Kurbel-Telefon der Franco-Soldaten, die während des Spanischen Bürgerkriegs auf dem Dach des Klosters nach feindlichen Flugzeugen Ausschau hielten. Abgerundet wird das Museum schließlich durch eine permanente Ausstellung von 42 Spielkarten aus der Feder des valencianischen Künstlers Ramon Pérez Carrió mit Motiven aus Llulls Werk „Das Buch der Wunder“.

Eingefleischte Llull-Fans kommen bei einem Klosterbesuch nicht darum herum, einen Blick in die einstige Höhle des Philosophen und späteren Missionars zu werfen, die sich etwa 20 Meter unterhalb eines Bolz- und Barbecueplatzes für Wochenendausflügler an der Südseite des Klosters befindet. Viel gibt es aber nicht zu sehen. Neben dem von einem abgebrochenen Felsbrocken zum Teil versperrten Höhleneingang steht die von Vandalen geköpfte, bereits stark verwitterte Steinstatue Ramon Llulls.

Zum Schluss drängt sich noch eine Frage auf: Was um Gottes Willen hat denn die 500 Meter vom Kloster entfernte riesige weiße Kugel mit den vielen Antennen zu bedeuten? „Das ist eine Radaranlage der Flughafenbetreibergesellschaft Aena, die den Piloten beim Landeanflug auf Palma hilft. Allein auf den lieben Herrn verlässt sich heutzutage ja keiner mehr“, sagt Padre Monserrat mit einem Anflug von Ironie. Dass dieses weiße Radar-Monstrum ein echter visueller Killer in der sonst so pittoresken Landschaft ist, störe ihn aber ebenso wenig wie die falsche Höhenangabe draußen auf dem Schild. „Mit solchen Details nehmen wir Mallorquiner es ja nicht so genau.“

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