Während rund um die Pfarrkirche von Santanyí Touristen und Einheimische durch den Wochenmarkt drängen, bunte Sommerkleider im Wind flattern und zwei Kilo Erdbeeren zum Schnäppchenpreis von vier Euro angepriesen werden, ertönen im Inneren des Gotteshauses Bach-Kantaten. Mal zärtlich perlend, mal kräftig aufbrausend, zu hören von Besuchern, die den Weg vom Markt durch die kleine Seitentür durchs Kirchenmuseum auf die Kirchbank gefunden haben. Denn das große Eingangsportal wird leider nur zur Messe aufgeschlossen.

Von der Kirchbank kann man die prächtige Orgel in aller Ruhe studieren. Mit den Augen an den schlanken Orgelpfeifen entlangfahren und die goldfarbenen Ornamente begutachten. Hinter einer Reihe von Putten und Engeln liegt, für die Zuhörer unsichtbar, ein Strohhut. Er gehört Higinio Martínez, der die Orgel mittwochs und samstags für Musik-liebhaber „aus purer Leidenschaft“ spielt. „Um die Register zu ziehen, muss man gut gefrühstückt haben“, sagt Martínez. Er hat heute morgen gut gegessen und zieht mit der linken Hand rasch die octava heraus. Das Register knarzt und klemmt, doch der Mexikaner kennt alle Tücken der über 200 Jahre alten Musikdame - und weiß sie mit Bedacht und Respekt zu behandeln.

Schließlich ist das Instrument nicht irgendeine Orgel, sondern die erste große Arbeit des genialen Hoforgelbauers Jordi Bosch, der 1739 in Palma geboren wurde. Schon mit diesem Erstlingswerk brach der damals 24-Jährige mit vielen Traditionen und begründete eine neue Schule des Orgelbaus. Das ursprünglich auf drei Tasten-Ma­nualen angefertigte Instrument besitzt ein Cornett mit zehn Chören und eine Hauptwerksmixtur mit 25 Chören, erläutert Orgelbauer Gerhard Grenzing, der das kostbare Stück von Santanyí bereits zweimal restaurierte. Mit ihren 1.104 Pfeifen sei die Orgel das wohl pfeifenreichste Register der Welt. Laut Gerhard Grenzing stand die bis heute gut erhaltene Bosch-Orgel zuerst in der gotischen Kirche Santo Domingo in Palma. Als Folge der Säkularisierung wurde sie 1837 an die Pfarrkirche in Santanyí verkauft.

Die Flöten mussten einzeln abgebaut und per Schiff nach Cala Figuera transportiert werden. „In Eselskarren brachte man die Orgel dann vom Hafen in die Kirche“, so Higinio Martínez. Ein Drittel des ursprünglichen Instruments sei bei dem Transport verloren gegangen, wie etwa das Punktpedal. „Vor einigen Jahren kam mal ein Kirchenbesucher aus München zu mir an die Orgel hoch und hat spontan ein neues Punktpedal gespendet“, erzählt Martínez mit einem Lächeln.

Doch nicht nur die Orgel hat eine spannende Vita zu erzählen, die Lebensgeschichte des Hobby-Pianisten ist ebenfalls kurzweilig. Seit 25 Jahren verbringt der 1931 in Puebla in Zentral­mexiko geborene Martínez einen Teil des Jahres auf Mallorca. Die Bosch-Orgel in Santanyí hatte es dem früheren Theologiestudenten sofort angetan. Das Orgel- und Harmo­niumspielen hat er mit 16 Jahren im Priesterseminar in Rom gelernt. Doch Pfarrer wollte der junge Martínez damals doch nicht werden, ging mit 22 Jahren nach Münster und studierte dort Medizin. In Deutschland lernte er auch seine jetzige Frau kennen, mit ihr eröffnete er in Köln eine Arztpraxis. In den Sommermonaten verlegte er die Praxis dann auch mal nach Santanyí.

Heute hält Dr. Martínez an Mallorcas Ostküste noch immer zweimal die Woche Sprechstunde. Mittwochs und samstags kann man ihn von elf Uhr bis zwölf Uhr in der Kirche von Santanyí konsultieren, seinen Bach-Kantaten lauschen und nach einer Stunde geläutert, innerlich gereinigt und beschwingt wieder nach Hause gehen.

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