Die Deutschen und die Schweizer nennen sie Aprikose, die Österreicher und Südtiroler Marille, die Spanier albaricoque, die Mallorquiner albercoc. Diese in Turkistan und der Mongolei beheimatete und von den Arabern einst nach Spanien und Mallorca gebrachte feinsäuerliche Steinfrucht bescherte vor einigen Jahrzehnten dem Dorf Porreres im Inselinnern einen sagenhaften wirtschaftlichen Aufschwung, von dem man heute noch jedes Jahr einen Abglanz in der landwirtschaftlichen Genossenschaft des Ortes erahnen kann.

Obwohl sich die Marktverhältnisse stark gewandelt haben, ernten noch immer 60 der insgesamt 189 angeschlossenen Mitglieder jedes Jahr Aprikosen und liefern sie der Zentrale zur Verwertung ab. Dank Neuzüchtungen mit unterschiedlichen Reifezeiten ­beginnt die Ernte schon im Mai. Den Reigen pflegen gemäß Genossenschaftspräsident Antonio Martorell die Sorten primerenc und rojo palabras zu eröffnen, es schließt sich die für die Konfitürenzubereitung besonders gut geeignete rojo carlet an, das große Finale bilden murtó und ganz speziell die Hauptsorten canino und galta vermell, deren Erntezeit bis in die zweite Juliwoche hineinreicht und die zur diesjährigen Gesamternte von etwa 80 Tonnen rund die Hälfte beitragen.

Stolz ist man in Porreres ganz besonders auf die galta vermell, laut den Landwirten eine autochthone Sorte, die also nur hier kultiviert und geerntet wird. Diese Aprikose zeichnet sich durch sehr saftiges Fruchtfleisch und äußerlich durch eine rötlich gefärbte Hauthälfte aus. Auf Mallorquinisch bedeutet galta Wange und vermell ein sattes Rot. „Deshalb", sagt Genossenschaftsdirektorin Esperança Mora, „nennen viele Deutsche diese Aprikose gerne Rotwange oder Rotbäckchen."

Wer den Aprikosenanbau nach Porreres brachte, weiß im Dorf niemand mehr zu sagen. Erwiesen ist lediglich, dass die ersten Aprikosenbäume um 1890 herum angepflanzt wurden. Jahrzehntelang pflückten die Bauernfamilien die leicht verderblichen Früchte ausschließlich für den Eigengebrauch. Man aß sie frisch, stellte etwas Konfitüre her und trocknete einen Teil an der Sonne.

Von den Badetouristen, die ab 1950 Mallorcas Küsten zu überfluten begannen, profitierte das weit vom Meer entfernte Porreres zwar herzlich wenig. Und doch sollten sich die Ausländer als Glücksfall für das Dorf erweisen. Für die aus den Ferien heimkehrenden Mittel- und Nordeuropäer wurden die frischen und noch ausgeprägter die an der Sonne getrockneten Aprikosen aus Mallorca zu Symbolen des südlichen Klimas und zu kulinarischen Erinnerungen. Esperança Mora: „In Frankreich, England und Skandinavien riss man sich bald um unsere sonnengetrockneten Aprikosenhälften. Sie glichen großen Ohren und wurden deshalb orejones getauft (von oreja, Ohr). Diese Bezeichnung hat sich bis heute gehalten." Die sprungartig steigende Nachfrage führte dazu, dass in zahlreichen Regionen der Insel Aprikosenplantagen aus dem Boden gestampft wurden.

Als klimatisch und topographisch besonders geeigneter Standort für die mallorquinische Aprikosenherrlichkeit erwies sich Porreres. Die Früchte wurden zur Goldgrube und brachten Wohlstand in einen Ort, in welchem dem deutschen Professor und Reiseschriftsteller Otto Bürger bei einem Besuch 1912 lediglich „die fensterärmsten düstersten Häuser weit und breit" aufgefallen waren.

Die ganz große Zeit des Aprikosenanbaus in Porreres fällt in die Jahrzehnte 1960 bis 1980. Die Anbaufläche betrug damals gut 180 Hektar. In allen Familien im Dorf gab es damals die sogenannten Steigen, also große hölzerne Lattenroste, auf denen die Aprikosen gedörrt und gelagert wurden. Beim Spalten und Entsteinen der Früchte halfen die Kinder und alle Verwandten mit. „In guten Erntejahren", weiß Esperança Mora, „wurden bis zu 600 Tonnen orejones nach Europa und selbst nach Amerika exportiert."

Doch der Höhenflug war nicht von Dauer. Andere Länder wie die Türkei, Marokko oder Algerien kamen ebenfalls auf den Geschmack, stürzten sich ihrerseits auf den Aprikosenanbau und auf die Produktion gedörrter Aprikosen. Und da sie billiger anbieten konnten, drängten sie die Mallorquiner vom Markt. Mit katastrophalen Folgen, wie die Fachjournalistin Susanne van Cleve recherchierte: „In den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts mussten mangels Abnehmer auf der Insel jährlich einige zehntausend Tonnen Aprikosen vernichtet werden."

Es ist den Leuten von Porreres und ganz speziell den leitenden Mitgliedern der 1957 gegründeten landwirtschaftlichen Genossenschaft zu danken, dass sie den Aprikosen­anbau nicht ganz an den Nagel hängten. Eine Produktion in stark reduziertem Umfang blieb auf einer jetzt noch knapp 50 Hektar umfassenden Anbaufläche bestehen. Eine gewisse Renaissance zeichnet sich jedoch ab. Es werden wieder neue Aprikosenbäume gepflanzt. Präsident Antonio Morell fasst die Krisenjahre so zusammen: „Es galt primär, mit neuen Verkaufsstrategien den Insel-Aprikosen trotz der Konkurrenz von außerhalb einen Mindestabsatz zu sichern."

Hilfreich waren die neue Sorten mit unterschiedlich langen Reifezeiten, denn sie ermöglichten, das Angebot an frischen Früchten um Wochen zu verlängern. Auch gelang es, zahlreiche Plantagenbesitzer, unter denen sich auch Ausländer befinden, für die Umstellung auf biologischen Anbau zu gewinnen.

Seit dem Jahrtausendwechsel kocht zudem ein Unternehmen in Sóller aus Porreres-Aprikosen für die Genossenschaft Konfitüre in verschiedenen Qualitäten. Die gefüllten Gläser kommen zurück ins Dorf, werden in der Zentrale beschriftet und in vielen Läden auf der Insel verkauft. „Zwei Tonnen gehen so pro Jahr weg", verrät ­Direktorin Mora. Und ergänzt mit sichtlichem Stolz: „Vor allem unsere Bio-Aprikosenkonfitüre sorgt für eine erfreuliche Umsatzzunahme."

Als Werbemittel und als Verankerung des Aprikosenkonsums in den Inselhaushalten rief die Genossenschaft zusammen mit der Gemeindeverwaltung vor Jahren die Veranstaltung „Tast" ins Leben. Immer an einem Stichtag im Juni werden auf Aprikosen basierende Gerichte und neuerdings auch Konfitürenvarianten, süße und gesalzene Aprikosenbeilagen und Aprikosenglacen vorgestellt, von einer Fachjury getestet und prämiert.

Ganz besonders stark unter der billigeren ausländischen Konkurrenz gelitten hat der Absatz der sonnengetrockneten Aprikosen aus Porreres. In diesem Zusammenhang erfahren wir in der Finca von María Orell: „Lediglich fünf Familien befassen sich jetzt noch mit dem Aprikosentrocknen." Vier von ihnen liefern ihre orejones an die Genossenschaft, die davon pro Jahr knapp zwei Tonnen verkauft. Der junge Gabriel Mora Rosselló als Fünfter der Gruppe sucht mit seinem Familienunternehmen Can Parrí hingegen eigene Vermarktungswege zu gehen und mit neuen Ideen den Absatz zumindest stabil zu halten. Beispielsweise lancierte er Pralinen aus dunkler Schokolade mit einem Kern aus Dörraprikosen, die tiefgefroren und glaceartig in den Handel kommen. Der Jungunternehmer stellt seine Dörraprikosen wie folgt her: „Die halbierten und entsteinten Aprikosen lässt man zwei Tage auf hölzernen Steigen an der Sonne trocknen und lagert sie je nach Luftfeuchtigkeit weitere drei bis fünf Tage im Schatten. Damit ist der Trocknungsprozess abgeschlossen. Die Riesenohren wandern anschließend in klimatisierte Räume von 6 bis 9 Grad Celsius. Hier bleiben sie bis zum Verkauf."

Auch andere uralte Verfahren in der Aprikosenverarbeitung halten sich auf der Insel. So lernten wir in Porreres die drei Hausfrauen Xisca, Angels und Monce aus Porto Cristo kennen, die in der Genossenschaft 40 Kilogramm Aprikosen kauften, aus denen sie in den nächsten Wochen Konfitüre allein mit Hilfe der Sonnenenergie herstellen werden. Dazu verrät das Trio: „Pro Kilogramm entsteinter Aprikosen geben wir 500 Gramm Zucker hinzu. Dieses Gemisch lassen wir eine Nacht stehen. In dieser Zeit löst sich der Zucker auf und verflüssigt sich. Darauf füllen wir die Masse in durchsichtige Gläser ab und schließen sie mit transparentem Cellophan. Diese gefüllten Gläser stellen wir nach alter mallorquinischer Zeitrechnung nun drei lunas – also drei Mondphasen oder rund 21 Tage lang – an die Sonne. Die Gläser bleiben selbstverständlich auch nachts am gewählten Ort stehen." Nach diesen drei Wochen ist die nach Art der einheimischen Groß- und Urgroßmütter hergestellte Aprikosenkonfitüre fertig zubereitet. Sie soll – wie die drei Frauen strahlend versichern – besser munden als jede hienieden gekochte Konfitüre.

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