Gestatten: „Mi Explosión" – der Name des schwarzen Vollblüters, der mich gleich im Trabrennwagen hinter sich herziehen wird, ist hoffentlich nicht Programm. Ich sitze zum ersten Mal in einem sogenannten Sulky und bin aufgeregt. „Mi Explosión" anscheinend auch. Der sechsjährige Hengst wirkt hibbelig, schmeißt seinen Kopf hin und her, knallt die Hufe auf den Boden und wiehert wütend. Das kann ja heiter werden.

Heute ist Freitag, Trainingstag in Palmas Hipòdrom Son Pardo. Noch rund eine Woche bis zum 77. Gran Premi Nacional de Trot, bei dem die Gro­ßen der Szene um 100.000 Euro kämpfen. Es ist das wichtigste Turnier Spaniens. 15.000 Zuschauer werden erwartet. Organisiert wird es von der Federació Balear de Trot und dem Institut de l´Esport Hípic de Mallorca. An den Start gehen 16 Fahrer, acht bekommen am Ende ein Preisgeld, der Gewinner die Hälfte. Einziger Deutscher im Starterfeld ist Ulrich Schnieder. Er gewann das Derby bereits vier Mal, zuletzt 2008.

Der Gran Premi findet nicht ohne Grund auf Mallorca statt. „Hier ist spanienweit die Wiege des Trabrennsports", sagt das bayerische Fahrer-Urgestein Ulrich Wieland, mein Trainer für den Tag. 1878 fand in Artà das erste Rennen statt. Auch in Manacor hätten sich die Pferdefreunde zu Gründerzeiten jede Woche nach dem Gottesdienst getroffen, um gegeneinander anzutreten. Heute gebe es Tausende Traber auf der Insel. Seit vier Jahren lebt Ulrich Wieland in Llucmajor. Seine Brötchen verdient der 49-Jährige als Fahrlehrer und Züchter.

Auch „Mi Explosión" kommt aus seinem Stall. Gemeinsam drehen wir mit dem Sulky ein paar Runden, zunächst nur um die Boxen. Wieland sitzt neben mir. Eigentlich wollte ich alleine fahren, aber das sei zu gefährlich. „Außerdem versicherungstechnisch problematisch", sagt er und gibt mir den Helm. Ich werde noch nervöser.

An einem Sulky ist nur das Nötigste dran. Bremsen gibt es keine. Festhalten kann man sich auch nirgends. „Brauchst du nicht, hast ja gleich die Zügel in der Hand", sagt Mentor Wieland. Wir fahren Schrittgeschwindigkeit. Kniffelig genug, denn das Pferd will nicht recht gehorchen. Ich erinnere mich an die Worte von Manfred Wandres, Freund Wielands und dritter deutscher Trabrennfahrer auf der Insel. „Sulky fahren ist eine der schwierigsten Sportarten überhaupt", hat er mir vorhin mit auf den Weg gegeben. Jetzt weiß ich, was er meint.

Theoretisch ist es einfach: Zieht man die Zügel nach hinten, wird das Pferd langsamer oder bleibt stehen. Lässt man wieder locker, wird es schneller. Nach links oder rechts trabt das Tier, wenn man an nur einem Zügel zieht. Lässt man beide Zügel los, hilft eigentlich nur noch abspringen – oder beten, dass man mit dem Sulky nicht umkippt und das Pferd irgendwann von alleine stehen bleibt. So viel zur Theorie.

Die Praxis ist schwieriger. Das Ziel: möglichst schnell voranzukommen. Das Problem: einen Rhythmus zu finden und ihn dem Pferd vorzugeben, ohne dass es anfängt zu galoppieren. Denn erlaubt ist nur der Trab, eine Gangart, bei der jeweils diejenigen Beine abwechselnd vorgeschwungen werden, die sich diagonal gegenüber liegen. Der Schlüssel zum Erfolg ist laut Ulrich Wieland das Feingefühl. Fehle das, könnte „Mi Explosión" seinem Namen im Handumdrehen alle Ehre machen und mit dem Sulky durchgehen.

Doch so weit kommt es zum Glück nicht. Im Gegenteil: „Mi Explosión" und ich verstehen uns gut. Wieland ist zufrieden, übernimmt die Zügel und lenkt den Sulky auf die Rennbahn. Jetzt geht es erst richtig los. Der Traber gibt Gas und schleudert eine Menge Sand und kleine Steine in die Luft. Der Dreck knallt gegen Helm und Sonnenbrille, fliegt in mein Gesicht und setzt sich in jeder Falte meiner Klamotten fest. Mich nervt das. Wieland scheint es nicht sonderlich zu stören.

Ihn stört, dass die Regierung den Trabrennsport finanziell zu wenig unterstützt. Und auch die Vereine sollten mehr investieren, um den Sport bekannter zu machen, vor allem in Preisgelder und Werbung, zum Beispiel in den zahlreichen Hotels der Insel. „Wenn mehr Zuschauer zu den Rennen kommen, steigen die Wettumsätze und dadurch auch die Gewinnausschüttungen. Das wiederum lockt neue Zuschauer an und so weiter."

Zwei Runden habe ich Wieland beim Fahren beobachtet. Dann gibt der Aufpasser die Zügel ab, hält nur noch die Enden in der Hand – zur Sicherheit. Meine Hände zittern, der Puls rast. Wie war das noch? Ziehen, gehen lassen, links, rechts, das alles auch noch mit Gefühl.

Zunächst läuft´s gut und macht Spaß, trotz Dreck im Gesicht. Ich werde euphorisch, bin stolz auf mich und werde unkonzentrierter. Der Vollblüter merkt´s, bremst ab und bleibt fast stehen. Wieland übernimmt wieder, und „Mi Explo­sión" spurt. „Der weiß, wer die Zügel in der Hand hat", sagt er.

Zum Abschluss gibt Wieland richtig Gas, die halbe Sandbahn kommt uns entgegen. „Wir fahren ungefähr 50 Stundenkilometer", brüllt er. Es fühlt sich an wie 100. Der Sulky rüttelt uns durch, in den Kurven spüre ich die Fliehkräfte. Wahnsinn, lange nicht mehr so viel Adrenalin ausgeschüttet.

Doch plötzlich ist es vorbei mit den schönen Gefühlen. „Mi Explo­sión" hebt seinen Schweif. Ich ahne Schlimmes, bin aber hilflos. Was ich kommen sehe, gefällt mir nicht. Dann passiert es: In voller Fahrt erledigt unser tierischer Freund sein Geschäft. Es riecht streng. Die großen und kleinen Stücke fliegen uns um die Ohren, das Gröbste zum Glück vorbei. Wieland lacht, mir bleibt es im Hals stecken. So schnell kann´s gehen: Nie wieder werde ich mich über ein bisschen Sand im Gesicht beschweren.

Die Profis anfeuern:

Auf dem Hipòdrom Son Pardo in Palma (Ma-20, Abfahrt Sóller) steht am Wochenende (15./16.5.) alles im Zeichen des 77. Gran Premi Nacional de Trot. Samstag werden ab 14.30 Uhr 15 Rennen ausgetragen, Sonntag finden ab 15.30 Uhr zehn Rennen statt. Höhepunkt ist der Gran Premi um 18.30 Uhr. Der Eintritt ist frei.

In der Ausgabe vom 13. Mai (Nummer 523) lesen Sie außerdem:

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