Am 29. Juni 1910 setzte sich in Palma eine wahre Völkerwanderung in Gang. Alles, was Räder, Beine und Hufe hatte, schlug dieselbe Richtung ein. Die Chronisten ­sprechen von einer gewaltigen Staubwolke, die nahezu inselweit sichtbar war, die Eisenbahn schickte Sonderzüge los, die Waggons quollen über, jeder kannte nur ein Ziel: die damalige Trabrennbahn Son Macià (beim heutigen ­Alcampo-Einkaufs­zentrum).

Angekündigt war der erste Flug über den Inselboden.

Nur sieben Jahre waren vergangen, seit den Gebrüdern Wright in den USA der erste dokumentierte Motorflug gelungen war. Und nur ein Jahr zuvor hatte der Franzose Louis Blériot den Ärmelkanal überquert.

Der verantwortliche Mechaniker, der ­Blériots Flugzeug in Schuss gebracht hatte, hieß Julien Mamet. Der Franzose war ein begnadeter Tüftler, fühlte sich jedoch zu Höherem berufen. Nachdem er mit dem Flug­pionier halb Europa bereist hatte, machte ­Mamet in der Schule seines Meisters den französischen Pilotenschein (Lizenznummer 18) und zog mit einem von Blériot entworfenen Eindecker los, um Spaniern und Portugiesen das Staunen beizubringen.

In Barcelona hob er im Februar 1910 zum zweiten Motorflug über spanischem Boden ab, im März bot er in Madrid eine Flug-

demonstration in Anwesenheit des Königs.

Auf Mallorca witterten der Fremdenverkehrsverband ­Fomento de Turismo und eine Tageszeitung eine Gelegenheit, den Fortschritt auf die Insel zu locken. Sie ­luden Mamet ein. Natürlich kam der Franzose nicht geflogen (der erste Flug vom Festland nach Mallorca fand erst 1916 statt), sondern mit dem zerlegten Flugzeug im Gepäck auf dem Postdampfer.

Die Flugvorführung war Bestandteil einer „Semana Deportiva" (Sportwoche). Die Fliegerei galt damals noch als Sport, die Flieger verdienten ihr Geld – es war nicht wenig – bei Schauveranstaltungen, Wettbewerben und mit Rekorden. Vor allem Zeitungen waren es, die mit enormen Preisgeldern dafür sorgten, dass es nie an Wagemutigen fehlte, die Kopf und Kragen riskierten.

In Son Macià klingelten die Kassen: Für die Flugvorführung wurde Eintritt verlangt, und obwohl die Bäume in der Umgebung schwer an Zaungästen trugen, machten die Veranstalter wohl das Geschäft ihres Lebens. Dabei bekam das Publikum am 29. Juni nicht wirklich den Erstflug zu sehen. Dieser hatte bereits am Vortag stattgefunden. Mamet, dem die vielen Bäume auf dem Gelände Sorgen bereiteten, flog eine Proberunde. Anwesend waren Journalisten und Offizielle, die über den Mut des Franzosen nur staunen konnten: Die „Blériot XI" war ein zerbrechlich wirkender sieben Meter langer, acht Meter breiter Apparat, der im Wesentlichen aus Gestängen bestand. Der Pilot saß halb im Freien, umgeben von Drähten, und vorne knatterte ein brustschwacher Zweitakter. Um damit in die Luft zu gehen, musste man wahrlich ein Held sein.

Und so machte der gewaltige Trubel, der rund um das Gerät losbrach, als es aus dem Schuppen geschoben wurde, einer ehrfürchtigen, ja gespenstischen Stille Platz, als ­Mamet sich in den Pilotensitz hievte. Sowie die „Blériot XI" vom Boden abhob, kannte der Jubel keine Grenzen.

Um bald darauf einer Schreckstarre zu weichen. Das Flugzeug verlor an Höhe, streifte einen Baum, stürzte ab und machte einen Kopfstand. Mamet klopfte sich den Staub vom Gewand und begutachtete kühl den Schaden. Es war weder sein erster noch sein letzter Absturz. Die geringen Geschwindigkeiten (Mamet stellte später mit 56 km/h einen Rekord auf) brachten es mit sich, dass die Piloten gute Chancen hatten, den Trümmern heil zu entsteigen.

Nicht heil geblieben war der Propeller. Somit musste Mamet abreisen, ohne sein Programm zu Ende geflogen zu haben. Er machte später als Rekordflieger – vor allem aber als Erfinder – Karriere. Nach dem Krieg eröffnete er in seiner Heimatstadt Bourg einen Kneipe. Er nannte sie „Le looping".

So wird gefeiert:

Die Fundación Aeronáutica Mallorquina sieht für das Jubiläumsjahr mehrere Veranstaltungen vor, die sich vor allem auf das Wochenende vom 26. und 27.6. konzentrieren. Am Samstag soll ein Wasserflugzeug in der Bucht landen – mit einem Schwung Zeitungen an Bord, wie anno dazumal. Am Sonntag soll im Festival Park, also nahe dem Gelände des Erstflugs, eine Flugshow veranstaltet werden. Weitere Details in unserer kommenden Ausgabe.

In der Printausgabe vom 17. Juni (Nummer 528) lesen Sie außerdem im Ressort Leben:

- Kindermenu: Besuch in der Eisfabrik

- Hartes Brot und guter Stein: "Picador de Pedra"

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